Francis Bacon

Essays


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der Verschwiegenheit darstellt.

      Was den dritten Grad, die Heuchelei und Falschbekundung, angeht, so halte ich diesen für tadelnswerter und weniger klug, außer in überaus wichtigen und selten auftretenden Angelegenheiten. Deshalb ist die so oft anzutreffende Gewohnheit der Heuchelei (die diesen letzten Grad darstellt) ein Laster, das entweder aus angeborener Falschheit oder Ängstlichkeit oder aus einem Verstand erwächst, der größere Makel besitzt, die verborgen werden müssen, weswegen es dann auch in anderen Dingen zum Einsatz gelangt, damit der Heuchler nicht aus der Übung komme.

      Es gibt drei große Vorteile der Verstellung und Heuchelei. Erstens vermögen sie Widerspruch zu besänftigen und zu überrumpeln, denn wenn jemand seine Absichten öffentlich macht, so ist das ein Weckruf für alle, die gegen ihn sind. Zweitens vermögen sie einen angenehmen Rückzug zu verschaffen, denn wenn sich jemand durch eine eindeutige Verlautbarung festlegt, muss er sie entweder durchfechten oder daran zugrunde gehen. Drittens können auf diese Art und Weise die Ansichten des anderen besser enthüllt werden, denn demjenigen gegenüber, der sich den anderen öffnet, werden sich die Menschen kaum feindlich erzeigen, sondern ihn weiterreden lassen und sich bei seinen offenen Worten das Ihre denken. Daher kennt der Spanier dieses gute und gewitzte Sprichwort: „Sprich eine Lüge aus, und du entdeckst eine Wahrheit.“ Doch zum Ausgleich gibt es auch drei Nachteile. Der erste besteht darin, dass Verstellung und Heuchelei oft mit einem Gebaren der Ängstlichkeit einhergehen, die bei jeder Gelegenheit verhindert, dass das anvisierte Ziel erreicht wird. Der zweite besteht darin, dass sie viele Menschen zurückstoßen und verwirren, die ansonsten möglicherweise mit dem Heuchler zusammengearbeitet hätten, sodass er nun fast allein auf sein Ziel zumarschieren muss. Der dritte und größte besteht darin, dass es den Menschen eines der wichtigsten Werkzeuge zum Handeln beraubt, nämlich des Vertrauens. Die beste Mischung und Methode ist, Offenheit des Geistes zu zeigen und dafür in hohem Ansehen zu stehen, Verschwiegenheit zu üben, sich angemessen der Verstellung zu bedienen und die Gabe der Heuchelei zu besitzen, falls nichts anderes mehr helfen sollte.

      SIEBENTE ABHANDLUNG:

      ÜBER ELTERN UND KINDER

      Die Freuden der Eltern bleiben verborgen, ebenso wie ihr Kummer und ihre Ängste. Die einen können sie nicht äußern, und die anderen wollen sie nicht äußern. Kinder versüßen die Mühsal, aber sie machen das Unglück noch bitterer; sie vermehren die Sorgen des Lebens, aber sie mildern den Gedanken an den Tod. Die ewige Abfolge der Generationen haben wir mit den Tieren gemeinsam, aber Erinnerung, Verdienst und edle Werke sind nur dem Menschen eigen. Es ist gewisslich zu sehen, dass die edelsten und bedeutendsten Werke von kinderlosen Menschen stammen, die danach strebten, den Abbildern ihres Geistes Ausdruck zu verleihen, wo ihnen jene ihres Körpers versagt blieben. Daher kümmern sich diejenigen am meisten um die Nachwelt, die selbst keine Nachkommen haben. Diejenigen, die ein Haus begründen, sind am nachsichtigsten gegenüber ihren Kindern, denn sie sehen diese nicht nur als den Fortbestand ihrer Art, sondern auch als den ihrer Arbeit an, und somit sind sie sowohl ihre Kinder als auch ihre Geschöpfe.

      Die Wertschätzung, welche die Eltern ihren Kindern entgegenbringen, ist oft höchst unterschiedlich und manchmal auch ungerecht, vor allem auf Seiten der Mutter. Wie Salomo sagt: „Ein weiser Sohn macht seinem Vater Freude, ein törichter ist seiner Mutter Kummer.“ Es ist oft zu beobachten, dass dort, wo ein Haus voller Kinder ist, das Älteste und auch das Zweitälteste geachtet und die jüngsten verzogen werden, während diejenigen dazwischen vergessen werden, obwohl sie sich doch oft als die besten erweisen. Die Engstirnigkeit der Eltern in Bezug auf das Taschengeld ihrer Kinder ist ein schädlicher Irrtum, denn dieses Verhalten macht sie niederträchtig, verleitet sie zur Lüge, treibt sie in schlechte Gesellschaft und führt dazu, dass sie noch mehr wollen, wenn sie bereits viel erlangt haben. Daher ist es das Beste, wenn Eltern ihre Autorität zwar gegenüber ihren Kindern, aber nicht gegenüber ihrer Geldbörse ausüben. Sowohl Eltern als auch Schulmeister und Diener haben die dumme Angewohnheit, Wetteifer zwischen Brüdern in deren Kindheit hervorzurufen und zu bestärken, was oftmals zu Zwietracht führt, wenn sie ins Mannesalter gekommen sind, und den Familienfrieden stört. Die Italiener machen kaum einen Unterschied zwischen den eigenen Kindern und den Neffen und Nichten oder anderen nahen Anverwandten; wenn sie zum selben Stamm gehören, dann ist es ihnen gleichgültig, ob sie aus dem eigenen Körper hervorgekrochen sind oder nicht. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, verhält es sich in Charakterdingen oft genauso, denn bisweilen gleicht der Neffe dem Onkel mehr als dem eigenen Vater, je nachdem, wie das Blut geflossen ist. Es sei den Eltern angeraten, rechtzeitig die Berufungen und Laufbahnen festzulegen, die ihre Kinder ihrer Meinung nach ergreifen sollten, denn in jungen Jahren sind sie noch am besten formbar. Überdies sollten sie sich den Neigungen ihrer Kinder nicht allzu sehr anpassen, indem sie glauben, dass diesen auch später das am besten gefallen wird, was sie gegenwärtig am meisten interessiert. Es stimmt, dass, wenn ein Kind eine außergewöhnliche Neigung oder Begabung zeigt, man sich ihm nicht in den Weg stellen sollte, aber im Allgemeinen ist dieses Prinzip das beste: „Optimum elige, suave et facile illud faciet consuetudo [Wähle des besten Beruf; die Gewohnheit wird ihn angenehm und leicht machen].“ Jüngere Brüder können sich zumeist glücklich preisen, was jedoch selten oder gar nie gilt, wenn die älteren enterbt wurden.

      ACHTE ABHANDLUNG:

      ÜBER EHE UND ALLEINLEBEN

      Derjenige, der Frau und Kinder hat, hat damit dem Schicksal Geiseln verschafft, denn sie hindern an großen Taten, sowohl an solchen der Tugend wie an solchen des Unheils. Es ist gewiss, dass die besten Werke, die der Allgemeinheit zum größten Vorteil gereichen, von unverheirateten und kinderlosen Männern geübt wurden, die ihre Zuneigung und ihr Vermögen der Allgemeinheit schenken und diese damit gleichsam geheiratet und versorgt haben. Doch sollten sich eigentlich diejenigen, die Kinder haben, am meisten um die Zukunft sorgen, denn sie wissen, dass sie dieser ihr liebstes Unterpfand hinterlassen müssen. Doch es gibt auch solche, die allein leben und deren Gedanken nicht über ihr eigenes Ende hinausreichen und die die Zukunft als Zumutung ansehen. Und es gibt andere, welche Frau und Kinder nur als kostspielige Belastung betrachten. Mehr noch, manche närrische, reiche und gierige Männer sind stolz darauf, keine Kinder zu haben, weil sie glauben, deshalb als noch reicher zu gelten. Vielleicht haben sie gehört, wie jemand sagte: „Dieser dort ist ein großer, reicher Mann“, und ein anderer einwandte: „Ja, aber er trägt die Bürde vieler Kinder“, als ob dieses eine Minderung seines Reichtums bedeutete. Aber der hauptsächliche Grund für das Alleinleben liegt in der Freiheit, besonders bei jenen selbstgefälligen und launigen Geistern, die so empfindlich auf jegliche Beschränkung reagieren, dass sie bereits glauben, ihre Gürtel und Sockenhalter seien Stricke und Fesseln. Unverheiratete Männer sind die besten Freunde, die besten Herren, die besten Diener, aber nicht immer die besten Untertanen, denn sie suchen gern das Weite; fast alle Flüchtlinge gehören diesem Stande an. Ehelosigkeit eignet sich für Kirchenmänner, denn Mildtätigkeit vermag kaum noch den Boden zu wässern, nachdem sie zuvor einen Teich füllen musste. Bei Richtern und Magistraten ist sie von keiner großen Bedeutung, denn wenn sie oberflächlich und bestechlich sind, findet man unter ihnen Diener, die fünfmal schlimmer sind als eine Ehefrau. Was die Soldaten angeht, so stelle ich fest, dass die Generäle sie in ihren Ansprachen immer wieder an ihre Frauen und Kinder erinnern, und ich glaube, dass die Ablehnung der Ehe bei den Türken den gemeinen Soldaten noch gemeiner macht. Gewiss stellen Frau und Kinder eine Art Lehrstube der Menschlichkeit dar, und Unverheiratete mögen zwar einerseits mildtätiger sein, weil ihre Geldmittel nicht so stark erschöpft werden, aber auf der anderen Seite sind sie grausamer und hartherziger (eine gute Voraussetzung für das Amt eines strengen Inquisitors), denn ihre Zärtlichkeit wird nicht so oft in Anspruch genommen. Ernste Gemüter mit festen Gewohnheiten sind gemeinhin liebevolle Ehemänner, so wie es von Odysseus gesagt wurde: „Vetulam suam praetulit immortalitati [Er zog seine Alte der Unsterblichkeit vor].“ Keusche Frauen sind oft stolz und eigensinnig, weil sie sich auf ihre Keuschheit etwas einbilden. Es ist die beste Versicherung für Keuschheit und Gehorsam bei einer Frau, wenn sie ihren Mann für weise hält. Beides wird sie niemals sein, wenn er eifersüchtig auf sie ist. Eine Frau ist die Geliebte des jungen Mannes, die Gefährtin des mittleren Alters und die Krankenschwester des Greisen. So mag es dem Manne schwerfallen, den richtigen Zeitpunkt für eine Heirat zu finden. Als Weiser wurde derjenige bezeichnet, der auf die Frage,