Francis Bacon

Essays


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ist es, das Böse nicht tun zu können. Aber die Macht, Gutes zu wirken, ist das wahre und rechtmäßige Ziel allen Strebens. Denn gute Gedanken allein (auch wenn Gott sie gerne annimmt), sind für die Menschen kaum besser als gute Gedanken, wenn sie nicht in die Tat umgesetzt werden, und dies kann nicht ohne Macht und eine herausgehobene Stellung geschehen, welche die günstige Ausgangsposition dafür liefern. Gute Werke und deren Anerkennung sind das Ziel menschlichen Wirkens, und das Bewusstsein desselben verschafft dem Menschen Frieden. Denn wenn der Mensch schon auf Gottes Schaubühne stehen muss, dann soll er auch an Gottes Frieden teilhaben. „Et conversus Deus, ut aspiceret opera quae fecerunt manus suae, vidit quod omnia essent bona nimis [Und Gott wandte sich um, betrachtete die Werke, die er geschaffen hatte, und sah, dass sie gut waren].“ Und darauf folgte der Sabbat.

      In der Erfüllung deines Amtes nimm dir die besten Vorbilder, denn Nachahmung ist die sicherste Richtlinie. Und nach einiger Zeit nimm dir dich selbst zum Vorbild und frage dich ernsthaft, ob du früher nicht besser gehandelt hast. Vernachlässige auch nicht das Beispiel jener, die sich auf dem gleichen Platz wie du schlecht benommen haben, nicht um dich selbst hervorzuheben, indem du ihre Erinnerung belastest, sondern damit du dir verdeutlichst, welche Fehler du vermeiden musst. Führe also Reformen durch, ohne dich hervorzutun oder vergangene Zeiten und Personen herabzuwürdigen, sondern mache es dir zur Aufgabe, ein gutes Beispiel abzugeben und ihm auch zu folgen. Führe alle Dinge zu ihrem Ursprung zurück und finde heraus, ob und wie sie entartet sind. Nimm vom Vergangenen, was gut daran war, und vom Gegenwärtigen, was am besten passt. Strebe danach, beständig in deinen Handlungen zu sein, damit die Menschen wissen, was sie erwarten können, aber sei nicht zu entschieden und gebieterisch und erkläre dich, wenn du von deiner eigenen Regel abweichst. Bewahre die Rechte deiner Stellung, aber rühre nicht an Fragen der Zuständigkeit und nimm deine Rechte stillschweigend und de facto wahr, anstatt mit lauter Stimme Ansprüche und Forderungen zu stellen. Bewahre ebenso die Rechte der untergeordneten Stellungen und erachte es als ehrenvoller, die Gesamtleitung innezuhaben, als dich in alle Einzelheiten einzumischen. Heiße im Hinblick auf die Ausübung deiner Stellung Hilfe und Rat willkommen und jage diejenigen, die dir Informationen bringen, nicht fort, als ob sie Wichtigtuer wären, sondern akzeptiere das, was sie sagen. Es gibt in der Hauptsache vier Untugenden der Autorität: Verzug, Bestechlichkeit, Grobheit und Gefälligkeit. Was den Verzug angeht, so solltest du leichten Zutritt zu deiner Person gewähren, vereinbarte Zeiten einhalten, das dir Vorliegende abarbeiten und nichts anderes dazwischenschieben, es sei denn, es ist höchst dringend. Was die Bestechlichkeit angeht, so halte nicht nur deine eigenen Hände und die deiner Diener davon ab, etwas anzunehmen, sondern auch die Hände der Bittsteller davon, etwas anzubieten. Wer rechtschaffen ist, erreicht das Erstere, aber wer Rechtschaffenheit bekundet und Bestechungsgelder öffentlich verabscheut, erreicht das Letztere. Vermeide nicht nur die Tat, sondern bereits den Verdacht der Tat. Wer wankelmütig ist und sein Verhalten grundlos ändert, nährt dadurch den Verdacht der Bestechlichkeit. Wenn du also deine Meinung oder dein Verhalten änderst, sollst du es in klaren Worten verkünden und gleichzeitig die Gründe für deine Änderung bekannt geben, anstatt sie zu verheimlichen. Einen Diener oder Günstling, der dir nahe steht und keinen anderen sichtbaren Grund für seine Verdienste aufweist, wird man als Anzeichen für Bestechlichkeit werten.

      Was die Grobheit angeht, so ist sie ein überflüssiger Grund für Unzufriedenheit. Strenge erzeugt Angst, aber Grobheit erzeugt Hass. Selbst der Tadel der Obrigkeit sollte zwar ernst, aber nicht beleidigend sein. Und was Gefälligkeit angeht, so ist sie schlimmer als Bestechlichkeit. Denn Bestechlichkeit zeigt sich nur hin und wieder, aber wenn sich ein Mensch durch Aufdringlichkeiten oder unnötige Parteinahme leiten lässt, wird er sich ihrer nie mehr erwehren können. Wie Salomon sagte: „Parteiisch sein ist nicht in rechter Ordnung; um einen Bissen Brot verfehlt sich mancher.“ Von tiefster Wahrheit ist das, was die Alten sagten: „Das Amt zeigt den Mann“; einige zeigt es in gutem Lichte, andere in schlechtem. „Omnium consensu capax imperii, nisi imperasset [Nach der herrschenden Meinung wäre er ein fähiger Herrscher, wenn er nicht geherrscht hätte]“, sagte Tacitus über Galba, aber über Vespasian sagt er: „Solus imperantium Vespasianus mutatus in melius [Nur Vespasianus wurde durch seine Herrschaft zu einem besseren Menschen].“ Beim Ersteren meinte er dessen Fähigkeiten, beim Letzteren dessen Benehmen und Neigungen. Es ist ein sicheres Anzeichen für einen wertvollen und großzügigen Geist, wenn er durch die ihm erwiesene Ehre besser wird, denn die Ehre ist der Ort der Tugend, oder zumindest sollte sie es sein. So wie in der Natur die Dinge auf gewalttätige Weise ihren Platz finden und sich beruhigen, wenn sie ihn erreicht haben, so ist die Tugend in Strebsamkeit gewalttätig, an der Macht jedoch ist sie gelassen. In eine hohe Stellung gelangt man nur über eine gewundene Treppe. Wenn es unterschiedliche Parteien gibt, ist es gut, sich an eine von ihnen anzuschließen, solange man sich im Aufstieg befindet, und sich ins Gleichgewicht zu bringen, sobald man oben angekommen ist. Behandle das Andenken deines Vorgängers schonend und gerecht, denn wenn du das nicht tust, wird es dir heimgezahlt werden, wenn du deine Stellung dereinst verlässt. Wenn du Amtsbrüder hast, respektiere sie und ziehe sie vor allem dann zu Rate, wenn sie es nicht erwarten. Übergehe sie jedoch keineswegs, wenn sie es erwarten dürfen, zu Rate gezogen zu werden. Stelle in Gesprächen und persönlichen Antworten auf Anfragen dein Amt nicht allzu sehr heraus, sodass von dir gesagt werden kann: „Wenn er im Amte ist, ist er ein anderer Mensch.“

      ZWÖLFTE ABHANDLUNG:

      ÜBER DIE DREISTIGKEIT

      Es ist ein unbedeutender Schulbuchtext, aber dennoch ist er der Betrachtung eines Weisen würdig. Demonsthenes wurde gefragt: „Was ist das wesentliche Element eines Redners?“, und er antwortete: „Die Gestik.“ Und was komme danach? „Die Gestik.“ Und was danach? „Die Gestik.“ Das sagte er, der es am besten wusste, obwohl er selbst von Natur aus keine Begabung dazu hatte. Es ist seltsam, dass diese Eigenschaft eines Redners, die doch nur oberflächlich ist und eher zu einem Schauspieler gehört, so hoch über die Phantasie, die Vortragskunst und alle anderen Eigenschaften eines Redners gesetzt wird, als ob sie allein nur wichtig wäre. Doch der Grund dafür ist klar. Die menschliche Natur besitzt mehr vom Narren als vom Weisen, und deshalb sind jene Eigenschaften, die eher den närrischen Teil des menschlichen Geistes ansprechen, mächtiger als alle anderen. Gleichermaßen wundersam verhält es sich mit der Dreistigkeit in öffentlichen Angelegenheiten. Was ist das Wichtigste? Die Dreistigkeit. Und was ist das Zweit- und Drittwichtigste? Die Dreistigkeit. Aber die Dreistigkeit ist das Kind der Unwissenheit und der Niedertracht und steht viel tiefer als andere Eigenschaften. Trotzdem fasziniert und fesselt sie all jene, deren Urteilsvermögen entweder schlecht ausgeprägt ist oder die nur wenig Mut haben, was auf die meisten Menschen zutrifft, ja, bisweilen, in Zeiten der Schwäche, sogar auf die Weisen unter ihnen. Wir können erkennen, dass sie in Demokratien Wunder gewirkt hat, weniger jedoch bei Senaten und Fürsten. Am meisten bewirkt sie beim ersten Auftreten des Dreisten, denn sie löst ihre Versprechen nur selten ein. So wie es Quacksalber für den menschlichen Körper gibt, so gibt es sie auch für den Staatskörper. Es sind Männer, die großartige Heilmittel anwenden und vielleicht bei zwei oder drei Experimenten Glück hatten, aber keine wissenschaftlichen Grundlagen besitzen und daher nicht dauerhaft wirken können. Ein Dreister vermag mehrfach das Wunder Mohammeds zu vollführen. Mohammed hat nämlich die Menschen glauben gemacht, er könne einen Berg zu sich rufen und vom Gipfel aus Gebete für jene sprechen, die seine Gesetze befolgten. Die Menschen versammelten sich; Mohamed rief den Berg zu sich herbei, wieder und wieder, aber als der Berg sich nicht bewegen wollte, war er keinen Augenblick lang verlegen, sondern sagte: „Wenn der Berg nicht zu Mohammed kommt, dann geht Mohammed zum Berge.“ Genauso machen es jene Menschen, die großartige Dinge versprochen haben und daran schmählich gescheitert sind: wenn sie die Gabe der Dreistigkeit in vollkommener Weise besitzen, überspielen sie ihr Versagen, drehen sich um und reden nicht mehr darüber. Für Menschen von beträchtlichem Urteilsvermögen sind die Dreisten ein netter Zeitvertreib, und selbst in den Augen der Gewöhnlichen haftet der Dreistigkeit etwas Lächerliches an. Denn wenn Absurdität der Gegenstand des Lachens ist, dann sei versichert, dass große Dreistigkeit nur selten ohne Absurdität daherkommt. Besonders drollig ist es anzusehen, wenn ein Dreister die Fassung verliert, denn dann wirkt sein Gesicht plötzlich eingefallen und hölzern, was zwangsläufig geschieht. Bei einem Verlegenen ist immer ein gewisses Mienenspiel zu beobachten, doch beim Dreisten ist es zur gleichen Gelegenheit erstarrt. Es ist wie das Patt beim