Franziska zu Reventlow

Herrn Dames Aufzeichnungen


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sich eben so schlecht benommen, daß man ihm alles mögliche zutraut und sich in Zukunft vor ihm hüten wird.«

      Ich war ihm recht dankbar für diese Aufklärung, nur kam es mir befremdlich vor – nein, befremdlich ist nicht das rechte Wort, aber jener junge Mann und die Dame hatten eine so verwirrende Art, sich dunkel und geheimnisvoll auszudrücken und dabei, als ob von ganz realen Dingen die Rede sei, daß ich selbst etwas unsicher geworden war. Wie sie von dem Meister als von einem ganz übernatürlichen Wesen sprachen – von seinem Ring und seiner ›Substanz‹ – am Ende ist er auch ein Magier – ein Zauberer – ein Nekromant oder dergleichen.

      Ich war Susanna im Grunde recht dankbar, daß sie mich auslachte und sagte, es sei leicht zu merken, daß ich mich noch nicht lange hier aufhalte.

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       8. DEZEMBER

      Heute wollte ich nicht ins Café, aber ich ging doch hin und fand wieder eine ungünstige Konstellation vor; der Philosoph saß mit der lebhaften älteren Dame von neulich zusammen. Ich mochte nicht aufdringlich erscheinen, so setzte ich mich an den Nebentisch, den einzigen, der noch frei war, und las Zeitungen. Sie sprachen aber so laut, besonders die Dame, daß ich nicht umhinkonnte, zuzuhören, und hinter der Zeitung mein Notizbuch vornahm, denn es schien mir wieder sehr bemerkenswert, was sie da redeten. Die Dame erzählte von einem Professor Hofmann, dessen Name neulich schon verschiedentlich erwähnt wurde – er habe ihr gesagt, sie sähe ausgesprochen ›kappadozisch‹ aus.

      Kappadozien kommt, soviel ich weiß, in der Bibel vor, aber ich begriff nicht recht, wieso jemand ›kappadozisch‹ aussehen kann, und warum sie das mit solcher Wärme erzählte. Woher will man denn wissen, wie die Kappadozier ausgesehen haben? Der Philosoph lächelte auch.

      Nun kam einiges, was ich nicht recht verstand, und dann das, was ich mir notiert habe.

      »Nein, es sollten die Posaunen von Jericho sein – hören Sie nur: sie waren alle bei mir auf dem Atelier …«

      »War er auch dabei?« fragte der Philosoph, und die Dame warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

      »Aber ich bitte Sie, wenn Sie spotten wollen …«

      »Nein, nein, ich dachte nur – aber bitte, fahren Sie fort.«

      »Also der Professor, seine Frau und einige von den jungen Dichtern. Einer von ihnen ging gleich an meinen Flügel, betrachtete ihn von allen Seiten und sagte irgend etwas. Dann fragte die Frau Professor ihren Mann: ›Wollen wir es jetzt sagen?‹, und er nickte. Dieses Nicken sehe ich noch deutlich vor mir, aber ich kann es nicht beschreiben, es lag etwas ganz Besonderes darin. Dann war plötzlich ein Paket da, es wurde ausgewickelt, und ein Kästchen mit einem Schlauch daran kam zum Vorschein – es sah etwa aus wie ein photographischer Apparat. Und Frau Hofmann sagte lebhaft, dieses Kästchen habe ein Freund ihres Mannes aus dem Orient mitgebracht, es gäbe auf der ganzen Welt nur noch ein ebensolches, und das gehöre dem Oberrabbi von Damaskus. Wenn man es an ein Klavier anschraube, innerlich erhitze und dann hineinbliese, so gäbe es genau denselben Ton wie die Posaunen von Jericho.«

      »Hatten Sie nicht Angst, daß auch bei Ihnen die Mauern einfallen könnten?« fragte der Philosoph.

      »Nein, von den Mauern war gar nicht die Rede – ich weiß nur, daß ich dann nach Spiritus suchte, um das Kästchen zu füllen, und ihn nicht finden konnte, aber mit einemmal war er doch da, und das Kästchen war auch schon am Klavier angebracht. Der Professor blies in den Schlauch, und es gab einen dumpfen Ton – aber dann muß der Spiritus ausgelaufen sein, und plötzlich stand alles in Flammen. Niemand kümmerte sich darum, und ich dachte an meinen Perserteppich, der unter dem Flügel liegt. Sie wissen ja, ich bin etwas eigen mit meinen Sachen. Aber der Professor sagte, es sei gar kein Perser, es sei ein ›Beludschistan‹, und er habe keine Beziehung zum Wesen der Dinge – ist das nicht merkwürdig? Ja, und nun kam noch etwas ganz Triviales, ich meinte, der Flügel würde sicher auch anbrennen, und in diesem Moment stand der Professor in seiner ganzen Größe vor mir und sagte: ›Wenn Fräulein H … mir ihren Verlust genau beziffert, soll alles ersetzt werden.‹«

      »Und dann?« fragte der Philosoph.

      »Das weiß ich selbst nicht mehr, es war ganz verschwommen. Aber sagen Sie selbst, liebster Doktor, ist es nicht wirklich seltsam? Meinen Sie nicht, daß es kosmische Bedeutung hat?«

      Damit brach das Gespräch ab, denn Gerhard kam, und die Dame ging bald darauf fort. Ich setzte mich zu ihnen und fragte Sendt, was denn das für eine rätselhafte Geschichte sei, ich hätte leider nicht vermeiden können, sie mitanzuhören. Und jetzt zweifelte ich nicht mehr daran, daß man hierzulande Zauberei treibt.

      »Haben Sie denn nicht gemerkt, daß die Dame mir einen Traum erzählte?«

      »Nein – darauf bin ich gar nicht gekommen.«

      »Lieber Dame«, sagte Gerhard, und es klang beinah wehmütig – er hat überhaupt immer etwas Schmerzliches im Ton – »Sie machen Fortschritte. Schon können Sie Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden. Das geht uns allen hier wohl manchmal so – nicht wahr, cher philosophe?«

      »Traum oder nicht Traum«, antwortete der Philosoph nervös, »was sie mir da auftischte, war wieder einmal eine Wahnmochingerei, wie sie im Buch steht.«

      »Wahnmochingerei – was ist das?«

      »Nun, was Sie da eben mitangehört haben.«

      Doktor Gerhard wollte wissen, was für ein Traum es gewesen sei.

      »Natürlich ein kosmischer«, sagte der Philosoph, »sie hoffte es wenigstens und wollte von mir wissen, ob es stimmt. Sonst traut sie sich nicht, ihn bei Hofmanns zu erzählen.«

      Ich hätte gerne noch gewußt, was eine ›Wahnmochingerei‹ ist und ›kosmische Träume‹. Aber der Philosoph schien mir nicht gut aufgelegt, und ich kann doch nicht immer fragen und fragen wie ein vierjähriges Kind.

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       14. DEZEMBER

      Ein komischer Zufall, daß ich Heinz Kellermann hier treffe. Wir haben uns seit dem Gymnasium nicht mehr gesehen. Er behauptet zwar, es gebe nichts Zufälliges, sondern was wir Zufall nennen und als solchen empfinden, sei gerade das Gegenteil davon, nämlich ein durch innere Notwendigkeit bedingtes Geschehen. Man sei nur im allgemeinen zu blind, um diese inneren Notwendigkeiten zu sehen.

      Trotzdem schien er ebenso verwundert wie ich und fragte mit der gedehnten und erstaunten Betonung, die ich so gut an ihm kannte:

      »Wie kommst du denn hierher?«

      Ich konnte diese Frage nur zurückgeben, und dann sagte er etwas überlegen: Oh, man könne nur hier leben, und hier lerne man wirklich verstehen, was Leben überhaupt bedeute. Ich habe ihm erzählt, daß das auch mein sehnlichster Wunsch sei, und wie ich mich mit meiner Biographie herumquäle – na Gott ja – daß ich eben ein Verurteilter bin und nicht recht weiß, was ich mit mir und dem Leben anfangen soll.

      Daraufhin ist er gleich viel wärmer geworden und lud mich für den Abend in seine Wohnung ein – es kämen noch einige Freunde von ihm, auf die er mich sehr neugierig machte.

      Ich ging hin, und es war auch wirklich der Mühe wert. Aber ich werde jetzt wieder ein paar Tage daheim bleiben und mich sammeln. Es sind zu viel neue und verwirrende Eindrücke von allen Seiten. Wohin ich komme und wen ich kennenlerne – alles ist so seltsam, wie in einer ganz anderen Welt, und ich tappe noch so unsicher darin herum. – Ob das nun Zufall ist oder innere Notwendigkeit, daß ich hierher kam und gerade diese Menschen kennenlernte? Aber es lockt mich, ich kann dem allen nicht mehr entfliehen – ich bin wohl dazu verurteilt, und der Gedanke gibt mir meine innere Ruhe etwas wieder.

      Doktor Gerhard rät mir ja immer wieder, ich solle etwas schreiben – jeder Mensch habe einiges zu sagen und müsse, was er erlebt, in irgendeiner Form nach außen hin gestalten. Wenn es auch nur wäre, um meinem Stiefvater Vergnügen zu machen, er hat ja schon immer gemeint, ich