»angenehmer« als die Bewegung10, dass er damals wirklich noch Anhänger des ptolemäischen Weltsystems war. Weiterhin aber finden wir, dass er in der Bewegungslehre die Anschauungen Benedettis, der freilich in keiner galileischen Schrift namentlich erwähnt wird11, im Wesentlichen sich aneignet und in eigentümlicher Weise weiterbildet. In erster Linie bekämpft er in ganz ähnlicher Weise wie im Dialog über die Weltsysteme12 die sonderbare aristotelische Anschauung, dass bei »gewaltsamen« Bewegungen (wie z. B. bei horizontalem und vertikalem Wurfe) die Ursache des Andauerns der Bewegung in der Bewegung des Mediums zu suchen sei; G. führt dasselbe vielmehr wie Benedetti auf eine virtus impressa, auf eine dem Körper von der ursprünglichen Bewegungsursache (etwa dem schleudernden Arme) eingeprägte Kraft zurück, mit anderen Worten auf das Beharrungsvermögen. Er hat über diese virtus impressa freilich noch sehr unrichtige Anschauungen, nimmt namentlich an, dass dieselbe mit der Zeit abnehme und schließlich erlösche; hingegen gibt er sich keiner Täuschung darüber hin, dass dieses Wort das Wesen der Sache nicht enthülle, wie gleichfalls im Dialog über die Weltsysteme ausgeführt wird.13 Zu einem völlig konsequenten Standpunkte bezüglich des Beharrens der Bewegung ist er, wie sich später zeigen wird, zeitlebens nicht gelangt, sodass es nur sehr bedingt richtig ist, Galilei die Entdeckung des Beharrungsgesetzes zuzuschreiben. – Auch die Unterscheidung zwischen gewaltsamer und natürlicher Bewegung, die eines der schwersten Hindernisse für den Fortschritt der Mechanik bildete, wird in den Sermones beibehalten, und auch diese Fessel hat Galilei nie ganz abgestreift. Mit Lebhaftigkeit bekämpft er hingegen unter Bezugnahme auf seine Studien zu Archimedes die Existenz absolut leichter Körper, während er wiederum die aristotelische Lehre von den übereinander geschichteten vier Elementarsphären und von deren Umschließung durch die Mondsphäre anerkennt. Weiterhin folgt die Untersuchung, ob bei Übergang einer Bewegung in die entgegengesetzte ein Ruhezustand eintreten müsse; er verneint diese Frage im Gegensatze zu Aristoteles. Auch im Dialoge über die Weltsysteme wird die Sache gestreift, ohne aber ausführlichere Behandlung zu finden.14 Sodann kommt G. auf die falsche, ja törichte aristotelische Behauptung zu sprechen, dass die Fallgeschwindigkeit proportional dem Gewichte und umgekehrt proportional der Dichtigkeit des Mediums sei. Neben vielen zutreffenden und scharfsinnigen Bemerkungen über diesen Gegenstand tritt doch noch eine völlig unzureichende Anschauung über den Verlauf der Fallbewegung und die dabei wirksamen Ursachen hervor. G. meint, die Verzögerung beim Emporsteigen eines in die Höhe geworfenen Körpers rühre von der Abnahme der virtus impressa her; im Augenblicke, wo diese sich bis zum Betrage der Schwere vermindert habe, finde der Umschlag der Bewegung in die entgegengesetzte statt; anfänglich sei dabei noch immer ein Rest derselben vorhanden, sodass aus diesem Grunde die Bewegung nach unten erst langsamer, dann schneller erfolge; von dem Momente, wo die virtus impressa ganz aufgezehrt sei, werde die Bewegung gleichförmig. Diese letzteren Ansichten stehen sogar hinter dem, was Benedetti geleistet hatte, beträchtlich zurück, einen so großen Fortschritt gegen die herrschenden Anschauungen andererseits schon die Art der Problemstellung, nämlich das Eingehen auf den faktischen Verlauf der Bewegung, bekundet. Übrigens begnügte sich G. nicht mit diesen theoretischen Erörterungen, er stellte auch wirkliche Fallversuche an und zwar von dem berühmten schiefen Glockenturme von Pisa, der sich zu solchen ganz besonders eignete. »Von der Höhe dieses Turmes erlitt die peripatetische Philosophie einen Schlag, von dem sie sich nie wieder erholte.«15
Der Hass seiner Kollegen und eines Halbblutprinzen des Hauses Medici, welchen er durch eine freimütige Kritik einer von diesem erfundenen Maschine sich zum Gegner gemacht hatte, zwang ihn nach Ablauf des Trienniums im Jahre 1592 seine Stellung in Pisa aufzugeben. Galilei, dessen Vater inzwischen gestorben war, und auf dem die Sorge für seine Geschwister lastete, musste sich nach einer anderen Stellung umsehen. Wiederum leistete ihm der Marchesed e lM o n t evortreffliche Dienste; durch seine Empfehlung gelang es Galilei, die seit vier Jahren vakante Stelle eines Lektors der Mathematik in Padua zu erhalten. Die Bestallungsurkunde ist datiert vom 26. September 1592, am 7. Dezember hielt er in Padua seine Antrittsrede. – Eine glücklichere Wahl hätte G. nicht treffen können, denn nirgends sonst in Italien wurden der Forschung so wenig äußere Hindernisse in den Weg gelegt als auf dem Boden der Republik Venedig. Die Jahre, die er in Padua verlebte, waren denn auch seine glücklichsten und an wissenschaftlichen Ergebnissen reichsten. Zwar sind seine bedeutendsten Werke erst nach Ablauf dieser Periode geschrieben, das Material dazu aber hatte er größtenteils in Padua gewonnen. Uns interessiert dabei vorwiegend sein Verhältnis zur kopernikanischen Lehre und den sonst im Dialoge behandelten Materien.
Wie und wann Galilei zuerst von der kopernikanischen oder der »pythagoreischen«16 Lehre, wie man sie damals nannte, Kunde bekam, steht nicht fest; auch ist dieser Frage eine besondere Wichtigkeit nicht beizumessen. Denn mag auch die neue Lehre in jener Zeit wenig Anhänger auf italienischem Boden gezählt haben, bekannt war sie allenthalben. Jeder Verfasser eines Lehrbuchs der Astronomie fühlte sich verpflichtet von ihr zu reden, freilich nur um sie zu verurteilen, wo nicht gar sie lächerlich zu machen. Ja selbst vor den Zeiten des Kopernikus pflegte man die Unmöglichkeit einer Erdbewegung nach dem Vorgange des Aristoteles, des Ptolemäus und speziell des Sacrobosco, des Verfassers der oftmals kommentierten »Sphaera«, zu beweisen. Es lag also jetzt umso näher, auf die moderne Erneuerung und Vertiefung des antiken Gedankens der Erdbewegung hinzuweisen, wie sie von Seiten des Kopernikus stattgefunden hatte. Was in den früheren astronomischen Kompendien dem Leserkreise und selbst dem Verfasser mehr als müßiger Ballast, als übertrieben gewissenhafte Gründlichkeit erscheinen mochte, insofern es sich um die Widerlegung einer Ansicht handelte, die niemand mehr ernstlich teilte, das gewann immerhin, seitdem wieder Vertreter dieser Ansicht unter den Lebenden geweilt hatten, aktuelles Interesse. Freilich wurde die Bedeutung des Mannes und seiner Sache in Italien, wenn wir vonG i o r d a n oB r u n oabsehen, verkannt17 und die Argumente, die man gegen die neuerstandene Lehre anzuführen hatte, waren noch immer die fadenscheinig gewordenen, bis zum Überdruss wiederholten der Vergangenheit. Aber der Name des Kopernikus und die Schlagworte seiner Lehre, wenn auch nicht immer die gründliche Detailausführung seines Systems, waren jedem Fachmanne bekannt, nicht sowohl durch das Studium seines Werkes18 als in der Regel durch Darstellungen aus dritter und vierter Hand. Danach ist die Frage, wer Galilei mit dem kopernikanischen Systeme bekannt gemacht habe, ebenso unberechtigt, wie wenn man heutzutage feststellen wollte, durch welchen Anlass ein Gelehrter von der Deszendenztheorie Kenntnis erhalten habe; er selbst würde wahrscheinlich die Frage nicht beantworten können. Damit soll keineswegs behauptet werden, dass der BaselerC h r i s t i a nW u r s t e i s e n ,möglicherweise auchM ä s t l i n ,der Lehrer Keplers, von denen der eine gewiss, der andere nach unverbürgten Nachrichten vielleicht in Italien für das System Propaganda machte, sich keine Verdienste um die Sache erworben hätten; aber anzunehmen, dass Galilei durch Zufälligkeiten, wie die Wandervorlesungen Wursteisens,19 zu dem sein Leben und Wirken beherrschenden Standpunkte gebracht worden sei, ist verfehlt. Galilei war wahrlich nicht der Mann, der die Argumente gegen eine Lehre immer wieder zu seinen Ohren dringen ließ, ohne eine selbstständige vorurteilsfreie Prüfung derselben anzustellen. Er wird sehr bald das Werk des Kopernikus zur Hand genommen haben, ob er nun zu Füßen Wursteisens gesessen, oder von dessen Vorträgen durch Dritte Kunde bekommen hat, oder ob nichts derart geschehen ist. Da Wursteisen schon 1588 starb, Galilei aber noch nach dieser Zeit, wie wir sahen, dem kopernikanischen Systeme fremd gegenüberstand, so ist eine unmittelbare Einwirkung des einen auf den anderen unglaublich. Man kann höchstens zugeben, dass eine gewisse mittelbare Anregung durch solchen äußeren Anlass gegeben wurde. Genug, wir wissen mit Bestimmtheit von keiner Lebensperiode Galileis, in der er beide Systeme kannte und dabei dem ptolemäischen vor dem kopernikanischen innerlich den Vorzug gegeben hätte. – Dass ihn freilich äußere Rücksichten bewogen, seine wahren Überzeugungen zu verschweigen, ja zu verleugnen, ist ebenso gewiss. In seiner Stellung als Lektor der Mathematik in Padua, welche ihm die Kollegien »Sphaera« und »Theoricae planetarum« zur Pflicht machte, war es unvermeidlich in der Frage der Weltsysteme Partei zu ergreifen; in welchem Sinne er es tat, lehrt uns ein gedrängter, für die Hand seiner Schüler bestimmter Auszug seines Kollegs über sphärische Astronomie, der erst nach seinem Tode im Jahre 1656 gedruckte Trattato della Sfera o Cosmografia (Op. III, 1–52). Galilei behandelt darin in der damals üblichen Weise, nur mit ganz besonderer Klarheit, den üblichen Stoff. Er beweist die Kugelgestalt und diek r e i s f ö r m i g eB e w e g u n gd