bei der Ernte geholfen haben«, sagte sie freundlich. »Ich finde das großartig. Welcher Fakultät gehören Sie an? Ich hätte gern studiert. Aber meine Mutter hat es mir nicht erlaubt.«
Claudias Mißtrauen war zwar noch nicht besiegt, aber Dianas liebenswürdiger Offenheit vermochte sie nicht zu widerstehen.
Sie setzte sich zu den beiden, und wenig später waren alle drei in ein interessantes Gespräch über die Vorzüge und Nachteile eines Hochschulstudiums vertieft.
Als der Fürst später noch einmal nach seiner Kusine sah, lächelte er zufrieden. Diana hatte eine Beschäftigung gefunden, das war großartig.
Er kam sich ihr gegenüber mit seinen zweiunddreißig Jahren doch schon recht alt vor. Sie war noch ein solches Küken. Es war besser und sicher viel netter für sie, wenn sie unter Gleichaltrigen war.
*
»Am Sonntag ist Erntefest. Dann tanzen alle Leute und sind lustig. Werden Sie auch mit mir tanzen?«
Klein-Wolfram sah Sybill, die mit ihm mit der großen Eisenbahn spielte, erwartungsvoll an.
»Ich werde am Sonntag nicht mehr hier sein. Ich reise übermorgen ab.«
»Nein! Bitte nicht! Bitte bleiben Sie doch bis Sonntag! Bitte, bitte!« Die großen Kinderaugen bettelten.
Sybill seufzte. Was sollte sie tun? Sie hatte der Mutter zwar ihren Ankunftstermin noch nicht mitgeteilt, aber sie hatte es sich doch fest vorgenommen, am Sonntag daheim zu sein.
Wolfram stellte die Lokomotive, die er gerade an den Personenzug koppeln wollte, aus der Hand und schmiegte sich an ihre Knie.
»Bitte, bitte«, wiederholte er. Die kleine Kinderhand legte sich schüchtern auf ihre Rechte.
Sie strich ihm zärtlich übers Haar.
»Also meinetwegen. Wenn du doch so sehr darum bittest.«
»Prima!«
Er drückte sie stürmisch an sich.
»Das ist prima, prima, prima!«
Er hüpfte und sprang im Zimmer umher und schnitt übermütig Fratzen.
Der Fürst, der leise hereingekommen war, staunte. So ausgelassen hatte er seinen Sohn noch nie erlebt.
»Was ist denn mit dir los?« fragte er gutgelaunt. »Du bist ja so munter heute.«
Wolfram lächelte den Vater schüchtern an und trat wieder zu Sybill, an die er sich zärtlich schmiegte.
»Sie bleibt noch zum Erntefest«, sagte er leise und sah strahlend zu ihr auf.
»Und das macht dich so froh?«
Der Fürst strich seinem Sohn behutsam übers Haar.
»Es ist lieb von Ihnen, daß Sie bleiben wollen.«
Er sah Sybill nachdenklich an. »Warum bleiben Sie nicht noch ein bißchen länger? Ihre Kommilitonen bleiben doch auch noch?«
Sybill sah verlegen die beiden Augenpaare, die einander so sehr ähnelten, mit der gleichen Bitte darin auf sich gerichtet.
Sie brachte es nicht fertig, noch einmal nein zu sagen.
»Also gut. Ich nehme Ihre Einladung an, Durchlaucht. Vielen Dank.«
Sie drückte den Kleinen zärtlich in ihre Arme.
»Bist du nun zufrieden, Wolfram?«
»Sehr!«
Die Kinderaugen strahlten. Ehe sie es sich versah, hatte der kleine Prinz ihren Kopf zu sich heruntergezogen und küßte sie zärtlich auf die Wange.
Verlegen ob dieses spontanen Zärtlichkeitsausbruchs, senkte er gleich darauf den Kopf mit den dunklen Locken.
Sybill legte liebevoll den Arm um ihn, und der Fürst sagte lächelnd:
»Ich hätte mich furchtbar gern in der gleichen Form bedankt, aber ich fürchte, ich würde da auf große Ablehnung stoßen. Ich traue mich nicht.«
Sybill lächelte, und unter diesem Lächeln errötete sie tief.
Der Fürst sah es mit Entzücken. Dieses Mädchen verzauberte ihn von Tag zu Tag mehr.
*
Erntefest auf Schloß Degencamp. Die Knechte und Mägde tanzten ausgelassen auf der großen Tenne, es gab Freibier, soviel jeder wollte, und an langen Spießen in der großen Schloßküche drehten sich langsam Spanferkel und zarte Hähnchen.
Der Fürst war nicht knauserig. Die Ernte war gut gewesen. Grund genug, dem Personal ein großartiges Fest zu geben.
Traditionsgemäß feierte auch der Fürst selbst mit und alle Gäste des Schlosses.
Die Gräfin Kingsbird allerdings hielt sich sehr zurück, und als sie bemerkte, daß ihre Tochter im Begriff war, sich ebenfalls unter die Tanzenden zu mischen, zog sie sie sanft, aber bestimmt zurück.
»Du trägst Trauer, mein Kind. Vergiß das bitte nicht. Du wirst doch nicht so pietätlos sein und wenige Wochen nach dem Tode deines lieben Vaters leichtfertig zum Tanz gehen«, sagte sie vorwurfsvoll.
Diana ließ traurig den Kopf hängen. Aber der Fürst, der die Worte gehört hatte, legte der geknickten Diana lachend den Arm um die Schulter.
»Sei nicht traurig, du wirst in deinem Leben sicher noch Gelegenheit genug haben, Feste zu feiern und dich zum Tanz führen zu lassen. Hast du eigentlich schon an deinen Kranken gedacht? Wie mir scheint, hast du da eine Pflicht übernommen. Bist du ihr heute schon nachgekommen?
Ich könnte mir vorstellen, daß dein Pflegebefohlener ebenso wie du des tröstlichen Zuspruchs bedarf.«
»Aber Hasso! Du kannst Diana doch nicht fortwährend auf das Zimmer eines jungen Mannes schicken«, empörte sich die Gräfin.
»Der junge Mann befindet sich nicht in seinem Zimmer, sondern auf der Terrasse. Wenn du unbedingt möchtest, kannst du dich ja dazusetzen, liebe Kusine«, lachte der Fürst, der in einer eleganten hellgrauen Flanellhose und einem am Halse offenstehenden Seidenhemd blendend aussah.
Diana lachte und lief durch den Salon zur Terrasse hinüber. Die Gräfin folgte ihr kopfschüttelnd. Merkwürdige Sitten herrschten auf Schloß Degencamp. Es war an der Zeit, daß hier einiges geändert wurde.
Sie erinnerte sich seufzend der herrlichen Schloßbälle, die zu Lebzeiten der Fürstin regelmäßig stattgefunden hatten, Bälle, auf denen der gesamte Hochadel sich zu versammeln pflegte. Was waren das für glanzvolle Feste gewesen. Aber Hasso war ein richtiger Einsiedler. Das hatte es wohl noch nie gegeben, daß ein Fürst Degencamp so zurückgezogen lebte wie er. Er war schon ein seltsamer Kauz, ihr Vetter. Hoffentlich gelang es Diana, ihn für sich zu interessieren. Bis jetzt war davon allerdings relativ wenig zu bemerken.
Die Gräfin runzelte unwillig die Brauen. Sie sah durch die offenstehenden Terrassentüren hinaus und bemerkte, daß Diana und dieser Student sich lebhaft unterhielten.
Es würde wohl tatsächlich am besten sein, wenn sie sich im Salon niederließ, um die beiden zu beobachten. Man konnte schließlich nie wissen. Diese jungen Männer taugten heutzutage nichts, dachte die Gräfin.
Sie nahm eine Handarbeit und ließ sich auf einem der kleinen Biedermeiersofas nieder.
Während sie ab und zu einen Blick zu den beiden jungen Leuten hinauswarf, hing sie ihren Lieblingsgedanken nach. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihre Diana bereits als Fürstin auf Schloß Degencamp residieren. Selbstverständlich würde sie selbst dann ebenfalls ihren ständigen Wohnsitz hier nehmen. Kinder müßten kommen, dann würde man sie brauchen, und sie wollte sich dem jungen Ehepaar unentbehrlich machen.
Die Gräfin lächelte siegesbewußt.
Bisher hatte sich alles nach ihren Plänen gefügt. Warum also sollte sich dieser, ihr Lieblingswunsch, nicht auch erfüllen?
*
Jürgen