Gärtnerstaat
Kapitel 24 Die menschengerechte Wirtschaft
Kapitel 25 Die solidarische und souveräne Schutzmacht Europa
Kapitel 26 Die lebenswerten Heimaten
Einleitung
»Wenn das Alte stirbt, und das Neue nicht geboren werden kann, dann kommen Monster zum Tanz.«
Antonio Gramsci
Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Demokratiekrise, Klimakrise, Coronakrise. Krise überall. Die Welt kommt scheinbar gar nicht mehr zur Ruhe. Kaum ist ein Feuer ausgetreten, lodert ein anderes auf. Jetzt aber ist der Feuerlöscher leer, und es brennt weiter lichterloh. Die Krisen hängen zusammen, verstärken und bedingen sich gegenseitig. Sie sind die Symptome einer großen Systemkrise, die unsere Welt erschüttert. Warum ist das so? Und was können wir dagegen tun?
Die Wurzeln der Systemkrise reichen weit zurück. Im »Goldenen Zeitalter« der Nachkriegszeit schien es nur eine Richtung zu geben: nach oben. Doch in den 1970er-Jahren ging dem Industriekapitalismus die Puste aus. Die Nachfrage brach ein und mit ihr die Profite.
Um aus der Profitkrise herauszukommen sahen die Anbieter fünf Möglichkeiten. Erstens, ihre Produkte billiger zu machen. Zweitens, neue Märkte zu erobern. Drittens, die Verkaufsschlager von morgen zu entwickeln. Viertens, die Nachfrage durch Schulden anzuheizen. Oder ganz einfach die Flaute auszusitzen, indem sie ihr Geld an den Finanzmärkten parken. Das Programm der Deregulierung, Privatisierung, Globalisierung und Liberalisierung wurde zum Glaubensbekenntnis der kapitalistischen Welt. Der Neoliberalismus war geboren und trug seine Ideen bis in die entferntesten Winkel des Planeten.
Aber der Neoliberalismus war nie dafür geeignet, die Systemkrise zu lösen. Im Gegenteil, das neoliberale Programm hat die Krisen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, hervorgerufen und verschlimmert. Um zu verstehen, wie sie sich zu einer großen Systemkrise verdichten, schreiten wir ihre vielen Brandherde im ersten Teil des Buches in schnellen Schritten ab.
Die Hoffnung auf eine neue Produktivitätsexplosion hat sich bis heute nicht realisiert. Im Gegensatz zu den vorangegangenen industriellen Revolutionen führt die Digitalisierung nämlich nicht zu vergleichbaren Produktivitätssprüngen (Kapitel 1).
Wächst die Arbeitsproduktivität nicht schnell genug, bleibt den Anbietern nur, ihre Kosten zu senken, um im immer härter werdenden globalen Wettbewerb mithalten zu können. Die Herstellungskosten wurden durch Automatisierung und Auslagerung in Billigstandorte minimiert. Gleichzeitig drückten die neoliberalen Reformer Löhne, Steuern und soziale Abgaben. Doch wer das Geld aus den Taschen der Konsumenten nimmt, verschärft die Nachfragekrise in den alten Industrieländern nur noch weiter (Kapitel 2).
In den Schwellenländern hat die Globalisierung eine neue Mittelschicht geschaffen, die eifrig konsumiert. Allerdings provozierte die Verlagerung von Arbeitsplätzen eine protektionistische Gegenreaktion in den alten Industrieländern. Der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China um die globale Vorherrschaft, könnte nun das Ende der Hyperglobalisierung einläuten (Kapitel 3). Setzen sich die globalen Entkopplungs- und Abschottungstendenzen fort, verlieren die Unternehmen den Zugang zu den neuen Märkten, die eigentlich die Sättigung ihrer Heimatmärkte kompensieren sollten.
Um die schwächelnde Nachfrage anzukurbeln, haben manche Länder die Verschuldung der Konsumenten begünstigt. Wenn Banken Kredite vergeben, schöpfen sie neues Geld. Weil es kaum attraktive Investitionsmöglichkeiten in der Realwirtschaft gab, nahmen die Gläubiger dieses unproduktive Geld und zockten damit in den Casinos des Finanzkapitalismus. Dieses um den Globus marodierende Kapital heizt die Vermögens- und Immobilienmärkte an. Können die Schulden jedoch nicht mehr bedient werden, kommen Anleger und Banken ins Rutschen. Platzen die Blasen, erschüttern sie das gesamte Finanzsystem, mit verheerenden Folgen für die Realwirtschaften. Die regelmäßigen Rettungsaktionen haben die Staaten an den Rand des Bankrotts gebracht (Kapitel 4).
Im Euroraum droht die Staatsschuldenkrise die Gemeinschaftswährung auseinanderzureißen. Um die Staatsfinanzen zu konsolidieren, wurden den Bevölkerungen im Süden Europas eiserne Sparprogramme aufgezwungen. Immer mehr Südeuropäer haben daher das Gefühl, die Verlierer der Gemeinschaftswährung zu sein. Hier liegt das eigentliche Dilemma Europas: Die Fehlkonstruktion der Währungsunion erschwert die Lösung der Eurokrisen innerhalb der bestehenden Verträge. Solange die europäischen Bürger das europäische Projekt jedoch als Bedrohung empfinden, sind die zur Überwindung der Krise notwendigen Integrationsschritte politisch kaum durchsetzbar (Kapitel 5).
Um den Infarkt des Finanzkapitalismus zu verhindern, drucken die Zentralbanken seit über einem Jahrzehnt Geld. Doch das billige Geld beschleunigt die Konzentration von Vermögen und Macht an der Spitze der Gesellschaft, während am unteren Ende immer mehr Menschen in die Prekarität abrutschen (Kapitel 6). In den westlichen Industrieländern ist die Schere zwischen reich und arm, oben und unten so groß wie nie zuvor.
Nun hat die Coronakrise neue Löcher in die Staatsfinanzen gerissen. Wer wird am Ende die Zeche für die gigantischen Rettungspakete zahlen? Wie schon nach der letzten Finanzkrise werden Rufe laut, die Kosten durch harte Einschnitte bei den Sozialtransfers zu decken. Doch jeder Euro, der den Bürgern abgetrotzt wird, verschärft das Nachfrageproblem, an dem der Kapitalismus krankt. Die neoliberale Medizin tötet also ihren Patienten, statt ihn zu heilen. Aber auch politisch ist der Weg in die Austerität versperrt. Ein weiteres Jahrzehnt drakonischer Sparprogramme würde einen Tsunami populistischer Revolten provozieren, den weder die Demokratien Südeuropas noch die Europäische Union überleben würden (Kapitel 7).
Viele Menschen sind verunsichert und fragen sich, ob der demokratische Staat noch den Willen und die Mittel hat, diese Fehlentwicklungen in den Griff zu bekommen. Der Rückzug des neoliberalen Marktstaates aus der Fläche hat bei vielen Bürgern die Angst, im Stich gelassen zu werden, noch verstärkt (Kapitel 8).
In allen Bevölkerungsschichten wächst die Angst vor dem sozialen Abstieg. Ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft für alle, verteidigen Individuen verbissen ihre Stellung in der sozialen Hierarchie. Die Gesellschaft wird zerrissen von Verteilungskämpfen, in denen um materielle Absicherung und Teilhabe, aber auch um Anerkennung und Sichtbarkeit gerungen wird. Sie zerfällt in Stämme, die sich in Schreikämpfen gegenseitig bekriegen. Bei manchen wächst das Gefühl, in den von Lobbyisten dominierten Postdemokratien kein Gehör zu finden. Abgehängt zu werden von den rasanten wirtschaftlichen Umbrüchen. Keine Anerkennung zu erfahren in der pluralistischen Gesellschaft im Allgemeinen und von den libertären Eliten im Besonderen. All jenen versprechen die Rechtspopulisten Schutz und Halt (Kapitel