Vladislav Bajac

Hamam Balkania


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      Vladislav Bajac

      Hamam Balkania

      Vladislav Bajac

      Hamam Balkania

      Ein Roman und andere Geschichten

      Aus dem Serbischen von

      Angela Richter

      Herausgegeben von

      Nellie und Roumen Evert

      Die editionBalkan im Dittrich Verlag ist eine Gemeinschaftsproduktion mit CULTURCONmedien

      Dieses Buch wurde unterstützt vom

      Ministerium für Kultur in Serbien und

      Bibliografische Information der Deutschen

      Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-937717-62-3

      eISBN 978-3-943941-38-8

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2011

      Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Hamam Balkanija« im Verlag Arhipelag, Belgrad, 2008.

      Lektorat: Janja Marijanović

      Umschlaggestaltung: Guido Klütsch

      unter Verwendung eines Bildes von Dimitrije Tadić

      www.dittrich-verlag.de / www.culturcon.de

      Alle Namen in diesem Buch sind erfunden. Ebenso alle Figuren, einschließlich der des allwissenden Autors.

      HAMAM ODER DIE KUNST ZU LEBEN

      Sehr wahrscheinlich ist, dass das berühmte Syntagma »ein Wunder der Natur« von dem altgriechischen materialistischen Philosophen Epikur (341-270 v. u. Z.) stammt. Warum das so ist? Seine Ethik vom menschlichen Glück basierte auf der Überzeugung, dass »ohne die Kenntnis der Natur kein echter Genuss erzielt werden kann«. Ihm zufolge ist glückseliges Genießen das höchste Gut. Diese Postulate bezogen sich nicht auf vulgäre Genüsse von wollüstigen Menschen, auch nicht auf ungezügelte kulinarische Befriedigungen, wie Uneingeweihte meinen, sondern vor allem meinten sie die Beseitigung physischen Leids und seelische Ausgeglichenheit.

      Das Erreichen der Seelenruhe beruht auf einem naturalistischen und individualistischen Fundament.

       Epikurs Glaube an den Hedonismus war derart fest, dass ihn nicht einmal die finsteren Zeiten des Zerfalls des Alexanderreichs erschüttern konnten (Epikur war Zeuge seiner einstigen Größe und Stärke), dessen Konsequenzen alles andere als ein Vergnügen boten. Dennoch war er der Ansicht, dass »die Worte des Philosophen, der menschliches Leid nicht lindern kann, nichts taugen. Denn wie die Medizin nutzlos ist, die nicht imstande ist, die Krankheit aus dem Körper zu verbannen, ist auch die Philosophie nutzlos, wenn sie nicht fähig ist, das Leid aus der Seele zu vertreiben.«

      Der also, der es verstand, körperlichen Schmerz und seelische Unruhe zu vermeiden und für den sinnliche Genüsse und geistige Freuden (als Einheit) den höchsten Wert im Leben darstellten, derjenige nämlich, dem die Lebenskunst vertraut war, gehörte zur epikureischen Bruderschaft, die bis heute fortbesteht.

      Sein geistiger Vater ist Aristipp von Kyrene (435-355 v. u. Z.), der schönsten und fortschrittlichsten griechischen Kolonie in Libyen, Begründer der kyrenaischen Schule. Pindar beschrieb diesen Ort als einen Hügel in außerordentlicher Lage, voller Quellen, die künstlich seine Gartenterrassen bewässerten. Die herrliche Umgebung schmückten Olivenhaine, Weingärten und das weithin bekannte Silphium wie auch ausgedehnte Weideflächen mit Schafen, Ziegen und Pferden, aus denen die berühmte arabische Züchtung entstand. Und trotz der schweren Kämpfe mit den Ägyptern und Libyern hielten die Kyrener ihren hoch entwickelten Handel aufrecht, der ihre Heimat zu einem der reichsten griechischen Staaten machte. So mussten seine Bewohner ihre Kräfte nicht einzig für die Arbeit aufwenden, sondern übten sich auch in der Kunst des Wohllebens und des Genießens dessen, »was Überfluss und ein raffiniertes Lebensgefühl mit sich bringen«. Ein Ort, der als antiker Prototyp für utopische Städte und Staaten und vor allem für Gesellschaften bei Thomas More und Thomas Campanello diente.

       Es ist nicht verwunderlich, dass der Denker Aristipp, der Lust als Grundprinzip des Lebens verkündete, gerade in Kyrene geboren wurde. Der Nachwelt ist er allerdings weitaus bekannter als Begründer des Hedonismus. Er verkündete Lust als das einzig Gute; ebenso hielt er Schmerz für das einzig Böse. Das Gefühl der Lust, behauptete er, zeige sich in der Bewegung: »Die leichte Bewegung des Fühlens, ähnlich einem günstigen Wind, der gut für das Boot ist, stellt die Quelle der Zufriedenheit dar; die grobe Bewegung des Fühlens, ähnlich einem Meeressturm, ist die Quelle der Unzufriedenheit; das Fehlen der Bewegung des Fühlens, ähnlich der Stille auf dem Meer, ist die Quelle der Gleichgültigkeit, vergleichbar mit der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit eines Fremden.« Aber Aristipp hielt es auf keinen Fall für möglich, den Menschen voll und ganz auf die Jagd nach momentanen sinnlichen Gelüsten zu reduzieren; im Gegenteil, er lehrte, ein weiser Mann, der sich von seinem Verstand leiten ließe, würde nicht zum Sklaven der Gelüste werden, sondern diese beherrschen. Diesen Standpunkt bezeugte er in seinem keineswegs gleichgültigen Verhältnis zur Hetäre Lais und mit seinem bekanntesten Diktum: »Ich besitze, werde aber nicht besessen.«

      Diesem Standpunkt sehr ähnlich war die ethische Richtung des Eudämonismus (nach der altgriechischen Göttin des Glücks und der Seligkeit), die Glück seligkeit als Hauptmotiv, Anlass und Zweck all unseres Strebens erachtet. Allen Formen des Hedonismus – vom betont lustvollen bis zum rational geistigen – ist jedoch ein stark ausgeprägter Individualismus eigen.

      Die auf diese griechischen »Schulen des Genießens« folgende Geschichte zeigte, dass einige ihrer wichtigen und einprägsamen Schöpfer wie auch zahlreiche anonyme und in der Geschichte nicht erwähnte Einzelpersonen, bei aller Rauheit ihres Lebens und des Lebens ihrer Völker und Staaten, versuchten, teilweise Genießer zu werden und zu bleiben. Sie bemühten sich beharrlich, Befriedigung zu empfinden, und sei es auch im Rahmen des breiten, absurden Verständnisspektrums des Hedonismus, als Genießen der eigenen oder fremden Schönheit oder des eigenen oder fremden Todes.

      Wenn sie sonst nichts weiter bewiesen, so die Beständigkeit der Rolle des ethischen Relativismus.

      VOR BEGINN

      Višegrad hat wie jeder andere Ort sein reales Leben. Aber wie kaum ein Ort hat die Stadt auch ein imaginäres. Meine Erfahrung mit der Metaphysik Višegrads begann im April 1977, auf den Zufahrtswegen zur Stadt, bevor ich zum ersten Mal die Brücke über die Drina erblickte, die sicher dazu beigetragen hatte, dass die Stadt für ewig in die Geschichte einging. In mein kleines Heft für Haikus, das ich noch habe, notierte ich damals zu einem Gedicht, das ich durch die Scheiben des Busses entdeckte, den geopoetischen Kommentar »auf dem Schotter von Višegrad«:

      Ein Stein zwischen ihnen

      Zwei Kiefern zog

      im Wald einen Scheitel.

      Žarko Čigoja, mein Gastgeber und Freund aus der Studienzeit, ging davon aus, dass die Brücke von Mehmed Pascha Sokolli (präzise türkisch Sokollu) aus dem Jahr 1571 – Ivo Andrićs Brücke – Gewinn und Genuss genug für diesen Anlass war, und so zeigte er mir gar nicht erst weitere Sehenswürdigkeiten seines Geburtsstädtchens. Er hatte keinerlei Vorstellung davon, wie egoistisch ich war, und eigentlich auch