Vladislav Bajac

Das Buch vom Bambus


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      Vladislav Bajac

      Das Buch vom Bambus

      Vladislav Bajac

      Das Buch vom Bambus

      Roman

      Aus dem Serbischen von

      Angela Richter und Jana Mayer-Kristić

      Herausgegeben von

      Nellie und Roumen Evert

      Die edition Balkan im Dittrich Verlag ist eine Gemeinschaftsproduktion mit CULTURCONmedien

      Die Übersetzung dieses Buches wurde unterstützt von:

      Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Kultur-Kontakt Austria, das Goethe-Institut, die Slowenische Buchagentur JAK und die S. Fischer Stiftung angehören.

      REBUBLICA OF SERBIA – MINISTRY OF CULTURE; MEDIA AND INFORMATIC SOCIETY

      Bibliografische Information der Deutschen

      Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-943941-08-1

      eISBN 978-3-943941-29-6

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2013

      Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »knjiga o bambusu« im Verlag Čigoja štampa, Belgrad 1989

      Umschlaggestaltung: Guido Klütsch

      www.dittrich-verlag.de/www.culturcon.de

      INHALT

       Erster Teil

       Zwischenwort

       Zweiter Teil

       Editorische Notiz

      ERSTER TEIL

      I

      Obuto Nissan zog sich an und machte sich zur morgendlichen Besichtigung der Haine seines Herrn auf. Gewöhnt an die Einsamkeit, in der er so viele Jahre lebte, pflegte er beim Laufen Selbstgespräche zu führen. Seinen Entschluss, sich nicht unter die Leute zu mischen, wenn es nicht nötig war, hatte er wenige Monate nach der Hochzeit, am Todestag seiner Auserwählten gefasst. Das ganze Jahr über wütete in der Gegend die Pest und alles, was Nissan zu begreifen vermochte, war die Unendlichkeit menschlichen Leids. Als er schließlich einsah, dass das Schicksal ihn nicht um sein Leben bringen würde, meldete er sich bei Daimyō Bonzon als Hüter der entlegensten Bambushaine auf dem Berg Shito. Von da an stieg Nissan volle dreißig Jahre nicht vom Berg herab. Die einzige Berührung mit Menschen kam zustande, wenn einmal im Verlauf mehrerer Monate einer der Zen-Priester des Tempels Dabu-ji auf seiner Pilgerschaft in seine Hütte einkehrte um sich auszuruhen.

      Sein Lohn wurde ihm einmal im Jahr von einem der Aufseher des Herrschers, dem Samurai Ishi gebracht, zusammen mit Nachrichten aus dem Kaiserreich. Mit ihm tauchten zur Bambusernte gewöhnlich auch Arbeiter auf, die nach verrichteter Arbeit zu ihren entlegenen Häusern zurückkehrten, ohne mit Nissan auch nur ein einziges Wort gesprochen zu haben. Nissan verbrachte seine Zeit in Gesellschaft des Riesengrases, dessen Seele er gar zu kennen glaubte.

      An diesem Morgen erwartete ihn eine besondere Aufgabe: Er nahm Werkzeug mit, um das größte Bambusrohr der Plantage zu schneiden, und zwar auf Anweisung des Aufsehers Ishi. Der hohe Bambus schien sich zu sträuben und Nissan brachte all seine Kraft auf, um ihm beizukommen. Einige Stunden später lag der Bambus zu seinen Füßen. Müde ließ sich Nissan auf den Stamm nieder, starrte versunken auf die endlosen Reihen des Heeres, dessen Anführer er war. Er hatte die Angewohnheit, sich oft mit seinen Soldaten zu unterhalten. Diesmal antwortete ihm auf eine seiner Fragen ein undeutlicher Ton aus dem Stamm, auf dem er saß. Nissan erhob sich langsam, neigte seinen Kopf in Richtung Ton und wiederholte die Frage. Als er aus dem Innern des Stammes ein deutliches Klopfen vernahm, sprang er vor Schreck zur Seite.

      »Da drinnen muss ein Tier sein. Aber wie ist es hineingekommen?«, fragte sich Nissan laut.

      »Das werde ich dir nicht sagen, aber hilf mir hier heraus«, antwortete ihm eine schrille, deutliche Stimme.

      Nissan sprang auf und versteckte sich schnell hinter dem erstbesten größeren Bambus. Von dort aus starrte er auf das, was sich vor seinen Augen abspielte.

      Aus dem Bambusrohr krabbelte ein Kind, richtete sich auf und streckte seine Arme nach ihm aus. Nissan machte große Augen; er konnte einfach nicht glauben, was er da sah. Er rührte sich nicht von der Stelle. Das kleine Mädchen sprach:

      »Ich fürchte mich nicht vor dir. Warum kommst du nicht zu mir?«

      Nissan sammelte sich und eilte zu ihm hin. Noch immer gebührlich Abstand haltend, fragte er:

      »Wer bist du?«

      »Ich heiße Kagujahime. Ich habe niemanden und bin gekommen, um bei dir zu leben, falls du mich aufnimmst.«

      »Aber woher bist du gekommen?«, fragte Nissan, um noch ein wenig Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.

      »Na, du hast es doch gesehen. Aus dem Bambus.«

      »Hmm. Du wirst mir das später erzählen.« Er fasste einen Entschluss. »Ich nehme dich als meine Tochter auf.« Danach beendete er wortlos die begonnene Arbeit, während Kagujahime ihn schweigend beobachtete.

      Gemeinsam machten sie sich zu Nissans Hütte auf. Die Kleine nahm dabei seine Hand. Er beobachtete sie heimlich aus dem Augenwinkel und schritt beinahe stolz aus. Bis jetzt hatte niemand Schutz bei ihm gesucht, geschweige denn seine Hand gedrückt!

      Kagujahime war erst zehn Jahre alt, doch sie verrichtete alle häuslichen Arbeiten flink und geschickt und machte Nissans Hütte zu einem echten Heim. Auf einmal hatte alles seinen Platz, jeder Winkel strahlte Ruhe aus. Nissan war überglücklich, hatte aber Sorge, nicht imstande zu sein, ihr seine Dankbarkeit zu zeigen. Doch die Kleine bemerkte auch das geringste Zeichen seiner Aufmerksamkeit und gab ihm das deutlich zu verstehen.

      Immer wenn die Zen-Mönche bei Nissan einkehrten, zog sie sich, nachdem sie diese bedient hatte, sittsam in einen Winkel des Raums zurück und reagierte lediglich auf Nissans Geheiß. Nach und nach, angespornt von ihrer Zurückgezogenheit, bezogen sie die Kleine ins Gespräch ein. Es stellte sich heraus, dass sie sehr flink im Denken und sehr gebildet war.

      Ein Jahr später vollzog sich auch eine erste merkliche Veränderung in Nissans Verhältnis zu den Menschen oder besser gesagt: der Menschen ihm gegenüber. Der Samurai Ishi war nicht der Einzige, der sich für die kleine Kagujahime interessierte. Die Plantagenarbeiter erfanden nach und nach verschiedene Ausreden, um irgendwie zur Hütte zu kommen oder diese gar zu betreten, und alles nur, um die Kleine zu sehen.