die Zusammenkunft, die er für heute mit seinen aufständischen Herrschern einberufen hat, ohne dass er selbst auftauchen werde, nicht ein einziger Daimyö lebend verlassen dürfe. Bis zum Ende des Tages sickerte in der Residenzstadt die schreckliche Geschichte von der Köpfung aller Statthalter des einstigen Shoguns durch.
Am nächsten Tag verkündete Osson seine Entscheidung, dem Samurai Senzaki den Prozess zu machen.
Als dieser einige Tage später begann, waren alle Anwesenden verwundert, dass auch Osson kam, der erklärte, dem ganzen Prozess beiwohnen zu wollen.
Zunächst wurde die Anklageschrift verlesen, in der Senzaki der grässlichen Folter des Herrschers bezichtigt wurde, die zu dessen Tod geführt habe. Die Anwesenden waren schockiert. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Schändung eines Shoguns nicht zulässig ist.
Im Brief des Samurai Seko wurde die Foltermethode des Anführers mit einem bis dahin unbekannten Mittel beschrieben. Man hatte den Shogun auf eine fest eingelassene Bank gelegt und ihn auf dem Bauch liegend darauf festgebunden. Die Bank hatte zwei Vertiefungen: eine runde für den Bauch und eine zweite, etwas engere, in Höhe der Augen des Shoguns, sodass er die Bodenfläche unter sich sehen konnte. Exakt unter die Öffnung für den Bauch pflanzten die Soldaten einen Bambussetzling und zogen sich dann zurück. Senzaki blieb in der Nähe, um die Wuchsrichtung des Bambusstängels zu kontrollieren. Aus der Erde schoss ungezügelt der schnell wachsende, in Japan von allen Arten am meisten verbreitete Madakebambus seinem Ziel entgegen. Zur Überwindung der Distanz von sechzig Zentimetern bis zur Bank brauchte er etwa zwölf Stunden. Ein aufmerksamer Beobachter, und ein solcher war Senzaki als auch der sich versteckt haltende Seko, konnte sehen, wie der Setzling gedieh. Als der Shogun Zeichen des Schmerzes zu zeigen begann, ließ Senzaki die Wache nach den Daimyōs schicken. Der Setzling bahnte sich mit seiner scharfen Spitze fast zwei Stunden lang einen Weg durch den Körper des Shoguns. Bis der Bambus den Rücken durchbohrt hatte, war der Shogun lebendig. Mit letzter geballter Kraft verkürzte er seine Qualen, indem er seinen Kopf auf die Bank aufschlagen ließ. Das war das Ende.
Senzaki gab die Tat, wegen der Anklage gegen ihn erhoben worden war, nicht zu. Er wiederholte, dass der Shogun ohne Folter umgebracht worden sei und dass er die Todestrafe ausgeführt habe, auf Befehl der Daimyös. Weder die eine noch die andere Wahrheit ließ sich beweisen: Der Körper des Shoguns wurde nicht gefunden.
Das Gericht verurteilte Senzaki zum Tode.
IV
Mein Geliebter,
erst jetzt, da ich durch andere Gewölbe wandle, die sich von denen unterscheiden, auf deren Oberfläche Du voller Trübsal und Leidenschaft zurückgeblieben bist, darf ich gestehen, wie viel von meiner Liebe ich bei Dir gelassen habe. Du müsstest sie spüren wie das Bündel Holz, das Du zum Feuermachen in Dein Haus getragen hast: Es ist hier, aber es ist nicht schwer. Und wie hast Du dieses Bündel verwendet? Du hast es nicht als Ganzes in den Ofen getan und angezündet, sondern immer nur Scheit für Scheit, um die Kohle zu entzünden. Und wann hast Du es gebraucht? Immer dann, wenn Dir kalt war. Hat es Dir geholfen, eines der Rätsel des Lebens zu lösen? Nein, aber es hat Dir die Möglichkeit eingeräumt zu beginnen, in Ruhe darüber nachzudenken. Hat es Dich ein wenig gewärmt? Ja, das ist sicher.
Als Du das ganze Bündel verbrannt hattest, war da nur noch Asche übrig oder hast Du in Deinem Blut noch die Wärme der einstigen Flamme gespürt?
Ich habe zehn Jahre meines Lebens in Pflanzen verbracht, wissend, dass es Dich gibt. Weitere zehn bei meinem Pflegevater, Deinem Untertanen mit dem schönsten Beruf der Welt. Jenen wunderbaren Hüter Deiner Haine habe ich ins Unglück gestürzt, um Deiner ansichtig zu werden. Ich weiß, dass ich ihn auch glücklich gemacht habe.
Niemand weiß, und es muss auch niemand wissen, dass ich nur wegen unserer zwei Begegnungen existiert habe, und wegen eines einzigen Jahres, in welchem ich in Deiner Nähe war.
Weit weg von Deinem Land lebt ein Tier, das von den Menschen König der Tiere genannt wird. Es ist tatsächlich das stärkste, schnellste, schlauste und furchteinflößendste Tier. Alle Menschen und Tiere wissen, dass es der König ist, nur das Tier selbst weiß das nicht. Es scheint fast alles zu können, als gäbe es keine Hindernisse. Und wenn es sich vor dem Menschen in Sicherheit bringt, geschieht das nicht aus Angst, sondern aus List und Schläue.
Das Schicksal des alten Shoguns und seiner Mörder ist mir bekannt. Verbrecher muss man bestrafen, nicht aber den Madake. Der Bambus hat eine Seele, aber das weißt Du nicht. Er würde niemals einen menschlichen Körper durchbohren. Er würde ihn berühren und sich einen anderen Weg suchen, würde einen Umweg machen. Pflanze einen in Deinem Heim, und zwar so, dass er über sich ein Hindernis hat, ganz gleich aus welchem Material. Du wirst sehen, er wird nicht einmal versuchen hindurchzukommen, sondern er wird wie die Weinrebe Raum, nicht Gegenstände für sein Leben fordern. Menschen wachsen und leben durch andere Menschen, Positionen, Gegenstände, nicht durch Raum, der ihr geistiges Zuhause ist. In ihm gibt es keine Hindernisse, denn hier kämpft der Mensch mit sich selbst, mit seinem Willen, seiner Kraft. Hier gibt es keine Materie.
Deshalb kann man eine Person sein ganzes Leben lieben, wenn man sich dazu entschließt: Das ist abermals ein Kampf mit sich selbst, nicht aber ein Kampf gegen sich.
Hast Du Dich jemals gefragt, was es heißt, erfolgreich zu sein, und besonders ein erfolgreicher Herrscher zu sein? Ist das Herrschen vielleicht die schlimmste Form, persönliche Unzufriedenheit zu offenbaren, das Scheitern der Aussöhnung mit sich und seinen Einstellungen? Die unnachgiebigsten (und eigentlich tyrannischsten) Herrscher sind die unglücklichsten Menschen auf der Welt. Ihre undefinierbare Unruhe versuchen sie durch den Kampf um die Macht zu kompensieren. Obuto Nissan hat mir einmal Wissen darüber vermittelt, das er in zwei Sätzen zusammenfasste:
1) Wenn Du nicht gelernt hast, Dich selbst zu beherrschen, wirst Du es vermutlich über das Herrschen über andere lernen. Wenngleich vergessen wird, dass das Herrschen über andere mit der Zeit die Notwendigkeit auslöscht, (über) sich selbst zu (be-)herrschen.
2) Wenn Du nicht gelernt hast, Dich selbst zu beherrschen, wirst Du das vermutlich durch das Herrschen über andere kompensieren.
Die Wahrheit über ein unerfülltes Leben wird einzig auf dem Sterbebett zugegeben. Diejenigen, die das selbst dann nicht begreifen, spüren vor dem Dunkel des Todes als Letztes einen seltsam bitteren Geschmack im Mund. Sie wissen nicht, dass jenes Bittere das Unglück ist. Und das Glück? Glück hat sich stets durch etwas eingestellt, was man am wenigsten erwartet: durch eine Hand auf dem Bauch der Gebärenden, durch eine gleichmäßig geformte Schöpfkelle, die in die Suppenschüssel eintaucht, durch ein Wort, das Dir gehört, aber von einem anderen ausgesprochen wird, durch einen Blick zum armseligen Himmel, aus dem eine Sternschnuppe ihren nicht vorhandenen Schenkel herausstreckt … Es gibt wenige weise Menschen, die nicht versuchen, aus ihrem Alltag das an die Oberfläche zu bringen, was ihnen wichtig erscheint. Denn die Größe gewöhnlicher Dinge hängt davon ab, welche Wichtigkeit und Größe wir ihnen beimessen, und man braucht ihnen nicht gegenüber anderen den Vorrang zu geben. Alle kleinen Dinge sind gleichermaßen schön, notwendig ist lediglich, sie in ein seidenes Knäuel ohne Knoten einzuwickeln und es kullern zu lassen.
Von hier aus, von wo ich auf Dich schaue, sieht alles, was Du siehst, ganz anders aus. Schlachten sind wie ein sinnloses Jagen nach dem Wind. Diejenigen, die sich für groß halten, sind genauso klein oder groß wie alle anderen. Als Obuto die Haine abschritt, bestaunte er nicht die erdachten Formen und Besonderheiten des Bambus, sondern das, was er auf ihm sah und das, was er von ihm wusste. Einzig das, was er im Unterschied zu anderen sah und wusste, unterschied ihn von ihnen. Er war auf der Suche nach etwas, was hier in seiner Nähe war, klein, einfach, alltäglich, aber existent und nicht jenseits des Lebens, das er führte.
Wenn der Mensch sich in seiner Umgebung nicht zu finden vermag, gäbe es ihn besser gar nicht. Die Umgebung ist immer nahe, mitunter zu nahe, um von uns wahrgenommen zu werden.
Kagujahime
V
»Habe