Alexander Broicher

Slumlords


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ging Julia bald nach Hause, weil sie morgens früh ins Office musste. Ich blieb an der Bar sitzen und dachte über die Verabredung nach, die ich gerade mit der hübschen Karrierefrau ergattert hatte. Kurz vor Mitternacht winkte mich der Türsteher heran, was bedeutete, dass es am Eingang ein Problem gab. Ich schob mich zwischen den Gästen hindurch nach vorne. Unser durchtrainierter Aufpasser im Anzug deutete auf den Spion. Ich guckte durch das Fischauge und sah verzerrt zwei braun gebrannte Bodybuilder, die leider wie Schutzgelderpresser aus dem Rotlichtmilieu wirkten.

      »Die warten da schon eine Weile«, informierte mich Torsten. Mit diesem Hünen an meiner Seite öffnete ich die Ladentür. Ich sah den beiden Kampfmaschinen direkt ins Gesicht. Sie waren nicht begeistert, dass sie so lange draußen anstehen mussten.

      »Bist du Ronnie?«, erkundigte sich das Rattengesicht.

      »Wer will das wissen?«, fragte ich zurück.

      »Jemand, der Hakan sucht. Hast du ihn zuletzt mal gesehen?«

      Na, herzlichen Glückwunsch, Hakan. Das waren also die Typen, mit denen er Ärger hatte.

      »Welcher Hakan?«, stellte ich mich blöd.

      Der mit dem Irokesen und der fetten Zornesader an der Schläfe trat vor. »Der Hakan, den du aus dem Main fischen kannst, wenn er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommt.« Zornig zog er ein Blatt Papier hervor, auf dem etwas gekritzelt war. Der Schwachkopf hatte tatsächlich einen Schuldschein unterschrieben. Ich versuchte uns zu Leidensgenossen zu machen.

      »Mir schuldet er auch noch Geld.«

      »Da musst du dich aber ganz weit hinten anstellen«, teilte mir das Rattengesicht mit. Aber wenigstens war er kein Zivilbulle. Ich wollte den beiden schon sagen, dass ich im Unterschied zu ihnen nicht so kreuzdämlich gewesen war, Hakan größere Summen zu leihen, aber das würden sie wohl nicht so irre komisch finden, also ließ ich meine Bemerkung stecken.

      »Irgendeine Ahnung, wo er so rumhängt?«, fragte der deutsche Wichser mit dem kantigen Schädel.

      »Früher war er immer in einer Kellerbar in Bornheim.« Ich wusste, dass Hakan dort schon seit Jahren nicht mehr dealte. Doch diese Spur würde die zwei Schläger erst mal ins Nichts führen.

      Das ahnte die Ratte wohl und spuckte durch seinen Überbiss so ungeschickt auf den Boden, dass er sich fast selbst auf die Schuhe rotzte. Der Irokese griff in seine Prolo-Lederjacke und holte ein Kärtchen vor, das er mir ungebeten in meine vordere Hosentasche stopfte. »Für jeden Hinweis, der uns weiterhilft, zahlen wir 500«, sagte er. Zum Beweis, dass er das Geld wirklich hatte, fummelte er eine fette Rolle mit Scheinen aus seiner Moonwashed-Jeans und hielt sie mir vor die Augen. Nach dieser Show stiegen die beiden in einen teuren Flitzer und zischten ab.

      Ich klopfte meinem Türsteher dankbar auf die Schulter, dass er mir während der Unterredung nicht von der Seite gewichen war.

      Ich machte mir einen Drink, mit dem ich ins Lager verschwand. Dort betrachtete ich die Visitenkarte. Es war eine Handynummer drauf. Mehr nicht. Die 500, die sie als Belohnung anboten, würden sie bei Hakan mit auf die Rechnung packen. Ihren Lohn ebenfalls. So lief das. Und wenn er nicht zahlen konnte, würden sie wiederkommen und bei mir das Geld eintreiben wollen. Weil ich welches hatte. Jetzt steckte ich mit drin. Noch nicht bis zum Hals. Aber bis zu den Eiern.

      5

      Die führenden internationalen Großbanken mussten zuletzt über 280 Milliarden Euro Strafe zahlen für irgendwelche Sauereien, die sie heimlich begangen hatten: Mittlerweile waren sie verpflichtet, für solche Fälle enorme Rücklagen zu schaffen. Sie führten in ihren Bilanzen nun mehr als 100 Milliarden auf, die für Prozesse, Geldbußen oder Schadensersatzzahlungen angespart wurden. Einer der Gründe, warum Aktienkurse von Banken abschmierten, war, dass sie nicht genug Kohle auf der Seite hatten, um einen Krieg mit der Bankenaufsicht zu überstehen.

      Meine eigenen Ersparnisse reichten, um mindestens 18 Monate ohne Einkünfte gut leben zu können. Aber in meinem Beruf musste man immer mit allem rechnen. Die Cops waren nicht dämlich, deswegen hielt ich meine Bude blitzblank sauber. Die Jungs vom Rauschgiftdezernat würden sich kaputtlachen, wenn sie im Badezimmerschränkchen eine Dose für Vitamintabletten sahen, in der sich aber Ecstasy-Pillen befanden. Wenn sie im Spülkasten des Klos wasserdicht verpacktes Kokain sicherstellen konnten, Haschtütchen aus einer Packung mit Kaffeebohnen fischten oder auf größere Mengen Bargeld stießen, das in Sofakissen gebunkert war. Notfalls brachten sie Hunde mit, die für all das ein verdammt gutes Näschen hatten. So war das einzig wirklich Verdächtige meine Feinwaage, denn die ließ wenig Interpretationsspielraum zu, und die Spezialisten im Labor würden irgendwelche Reste vom Kokain ganz einfach sichtbar machen. Eine Feinwaage im Haushalt eines potenziellen Dealers war fast so belastend, wie bei einer Vergewaltigung auf dem Opfer liegend von der Polizei geschnappt zu werden. Deshalb stopfte ich sie betont achtlos zu anderen überflüssigen Utensilien, die sich bei mir angesammelt hatten: Taschenrechner mit integrierter Weltzeituhr, Stifte in Etuis, USB-Sticks, der typische Schnickschnack eben, den man so zugesandt bekam, wenn man eine Zeitschrift abonnierte.

      Um den Bullen keine Verdachtsmomente zu liefern, achtete ich selbst auf meinen Müll penibel. Nichts sollte darauf hinweisen, womit ich mein Geld in Wirklichkeit verdiente, daher entsorgte ich alles, was ich zum Herstellen meiner Ware brauchte, nie vor meiner Haustür, sondern schleppte es in einem Rucksack in irgendeine Wohnanlage und stopfte es dort in deren Mülltonnen.

      Ich musste vor allem wegen meiner auffälligen Hausapotheke vorsichtig sein, denn ich hatte einen gewaltigen Verbrauch an Schmerztabletten, die ich zum Strecken brauchte. Das meiste davon beschaffte mir der Besitzer der Cocktailbar, der einen Nachmittag lang herumfuhr und sie in diversen Apotheken ganz offiziell für den Verbandskasten des Ladens einkaufte. Er holte in jeder Zweigstelle höchstens zwei rezeptfreie Schachteln und überreichte mir dann einen Schuhkarton voll. Es war ein Gefallen, den er mir tat, denn er war Teil unserer Abmachung. Er brauchte seinerzeit einen Investor für die Renovierung der ehemaligen Erotik-Bar, ich benötigte eine seriöse Fassade.

      Zu meinen Sicherheitsmaßnahmen gehörte, meine Wohnungstür mit einem Spezialriegel aus Stahl zu versperren, der nicht nur Einbrecher fernhalten sollte, sondern vor allem minutenlang standhalten musste, falls die Polizei meine Tür aufstemmte, um mich dranzukriegen. Das massive Schloss würde mir genug Zeit lassen, dass ich alles in der Toilette wegspülen konnte, damit sie keine Beweismittel gegen mich hatten. In einer solchen Situation musste ich zwar blitzschnell Ware für mehrere tausend Euro ins Klo schütten, aber das war mein Berufsrisiko und immer noch besser als Gefängnis.

      Das Strecken funktionierte letztendlich wie Kuchenbacken. Ich benötigte ein paar Zutaten, die ich miteinander verrührte, um dann kleine Leckereien daraus zu formen. Ich nahm ein Küchenbrett als Arbeitsplatte und bedeckte es mit einer Klarsichtfolie, um keine Spuren zu hinterlassen. Darauf zermalmte ich die Dragees mit einem handelsüblichen Gewürzmörser, bis sie pulverisiert waren. Danach gab ich basisches Nahrungsergänzungspulver aus der Drogerie hinzu, das geschmacksneutral und homöopathisch war, denn ich war an der Gesundheit meiner Kundschaft interessiert. Ich wälzte das Kokain darin wie in Mehl und knetete es durch wie einen Teig. Den Klumpen bestrich ich mit einem Pinsel mit Wasser, damit sich alles miteinander verband. Anschließend breitete ich die zähe Masse auf dem Blech im Backofen aus wie einen Pizzateig. Das vorsichtige Erwärmen diente dem Trocknen, denn irgendwie musste ich die Flüssigkeit wieder herauskriegen. Meine Kunden wollten sich ja keinen Schleim reinziehen, sondern guten Stoff, von daher war dieser Arbeitsaufwand nötig, um die Qualität zu halten, obwohl das G zur Hälfte mit Schmerztabletten und Basenpulver versetzt war. Das Kokain nahm ich direkt vom Backpapier, wog die Portionen ab und wickelte sie filigran wie ein Chirurg in Gummikügelchen ein. Anschließend reinigte ich den Mörser mit Spülmittel und heißem Wasser, denn was Sauberkeit anbetraf hatte ich beruflich das Ethos eines Chefchirurgs.

      Ich band mir eine Schürze um, bevor ich mich an die Operation machte. Das nervigste waren die festen Pillen, die ich zu Pulver zermalmen musste. Jedes Mal 250 Stück. Ich schlug mit einem Hammer drauf und nahm den Mörser nur noch für die Feinarbeit. Anstrengend war es trotzdem. Und dann klingelte mein Handy. Hoffentlich keine