Reiner Hänsch

Die Faxen Dicke


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Stimme, die sich an einem sehr gewagten Englisch versucht.

      Leichenhalle? Nein. Das sind wir nicht. Das ist ja gruselig.

      „Ah JU Missa änn Missi Leichenhalle?“, versucht die kleine rote Bojenfrau es weiter und wendet sich jetzt an ein älteres, etwas verkrampft und irgendwie unzufrieden wirkendes Paar. Bayern, wie wir schon vorher an ihrem niedlichen Dialekt eindeutig erkannt haben.

      „Schorsch, jetzt moch holt! Du Hirsch, du dammischer!“

      Die Reise hat auch bei ihnen ihre Spuren hinterlassen, und sie scheinen jetzt schon alles zu bereuen. Beim Aussteigen haben sie ein gehöriges Tempo vorgelegt, das ich den beiden in ihrem Alter gar nicht mehr zugetraut hätte. Sie wollen wohl auf jeden Fall die ersten sein, die hier in die trügerische Freiheit des Flughafens von Ko Samui entlassen werden, haben es aber leider nicht ganz geschafft, obwohl die stämmige Frau ihren Gatten durch kasernenhofähnliche Anfeuerungen immer wieder zu Höchstleistungen angetrieben hat.

      Aber unsere Koffer waren einfach schneller. Sie waren nur Zweite. Ätsch. Die Bayern müssen nicht immer gewinnen. Und jetzt steht dieser unzufriedene, gebeutelte, bayrische Mann mit seiner noch unzufriedeneren Gattin direkt neben uns, und sie klammern sich, schon sichtlich geschwächt, an die rettende Boje, um nicht doch noch in letzter Minute abzusaufen.

      „Jetzt sog halt wos!“, sagt sie.

      Und er sagt dann artig: „Na. Des san mir a net! Mir hoaß’n Reichenhaller!“, mit der letzten verbliebenen Würde.

      „Yes, Leichenhalle“, sagte die freundliche, mandeläugige Boje und zeigt auf ihre zerknitterten Papiere, die sie fröhlich in der linken Hand schwenkt. „Here look, Lei-chen-hal-le, two Pörssen.“

      Der wuchtige Bayernmann wirkt zunächst verwirrt und wischt sich den strömenden Schweiß von der breiten Stirn, aber nach so einer Tortur von Flug scheint er mit jedem Namen einverstanden. Also nimmt er den neuen Namen, nach kurzer, demütigender Rücksprache mit seiner Gattin, an und die beiden setzen sich erschöpft und dankbar in die Richtung in Bewegung, in die die freundliche Rettungsboje zeigt. Frau Leichenhalle allerdings nicht, ohne sich noch mal demonstrativ nach uns umzudrehen und dann mit triumphierenden Blicken zum wartenden Bus zu schippern. Die Bayern sind wieder vorne.

      Doch wo sind wir?

      Wir haben schließlich auch einen Namen und einen Anspruch darauf, jetzt endlich erlöst zu werden aus der Hölle unserer vor über zwanzig Stunden begonnenen Traumreise, alle Zwischenstopps und Verspätungen mitgerechnet. Der angekündigte Abflug in Düsseldorf sollte zwar erst um die sehr moderate Zeit von elf Uhr fünfundvierzig stattfinden, aber wir mussten natürlich trotzdem schon in unmenschlicher Frühe aufstehen, um den fernen Flughafen zu erreichen, weil das Sauerland ja schließlich nicht direkt zu Düsseldorf gehört. Außerdem mussten wir noch mal und noch mal überprüfen, ob wir denn auch wirklich alles dabei haben.

      Unser Tag begann praktisch gegen sechs Uhr heute Morgen, nein, das war ja schon gestern. Wir haben ja Zeit und Raum über-wunden, sämtliche physikalischen Gesetze außer Kraft gesetzt und sind ja gewissermaßen in die Zukunft geflogen. Wir erleben ja jetzt hier, weit im Osten, eine Zeit, die in unserem alten, kalten, nassen Deutschland erst in sechs Stunden stattfinden soll. Da blickt man kaum noch durch.

      Ich denke kurz an meine Kollegen in der Redaktion, wo es gestern sicher noch eine kleine Weihnachtsfeier gegeben hat. Vielleicht ist die Feier ja auch noch gar nicht vorbei. Im sauerländischen Leckede-Hintersten ist es ja jetzt erst sechs Uhr morgens, und vielleicht hat man ohne den ätzenden Chef einfach mal etwas länger und ausgiebiger gefeiert. Gut möglich.

      Ich habe vor dem Abflug noch mal in der Redaktion angerufen und mit Don Camillo gesprochen, um ihm zu sagen, dass es eben jetzt mal zwei Wochen ohne mich gehen müsse.

      „Ja, ja“, hat er nur gesagt, „dat geht schon.“ Und weil er im Sauerland geboren ist, sagt er noch: „Getz ärholsse dich ärsma, wo.“ ‚Wo‘, ganz kurz gesprochen, ist eine der durchaus gebräuchlichen Sonderformen von ‚woll‘. Ich kann mir vorstellen, dass er dabei vor den Kollegen eine alberne Fratze gezogen hat. Die sind so froh, dass sie mich endlich für eine ganze Weile los sind.

      Don Camillo und ich verstehen uns prima, aber auch er hat mir dringend zum Urlaub geraten.

      Naja. Jetzt bin ich ja weg.

      Und wir sind dann heute … also gestern, ach egal, alle ganz früh wach gewesen und haben uns in den Zug nach Düsseldorf gesetzt. Das Auto sollte zu Hause bleiben. Ganz stressfrei dieses Mal. Und im Zug haben wir dann sogar noch ein wenig schlafen können.

      Wir sind dann in das Taxi gestiegen, das uns zum Flughafen bringen sollte und konnten immer noch nicht recht glauben, dass wir wirklich in den Urlaub fuhren. Noch waren wir ja auch in Düsseldorf. Und als wir dann noch mal unser Gepäck ansahen, das wir da soeben hinten im Kofferraum des beigen Mercedesbusses verstaut hatten, konnten wir auch nicht glauben, dass das wirklich alles war. Es kann eigentlich nicht sein, dass man mit vier Schrankkoffern und sechs großen Taschen und Beuteln als Handgepäck vierzehn Tage im Paradies überleben kann. Wir mussten was vergessen haben.

      „Abgeschlossen?“, eröffnete meine liebe Steffi dann im Taxi ein spannendes Match, und ich konterte gelassen per Rückhand mit „Jou!“

      Die nächste Ballangabe hieß dann „Gas aus?“

      Ich parierte wieder locker mit „Jou!“

      „Heizung runter?“

      „Jou!“

      „Pässe?“

      „Jou!“

      „Kreditkarten?“

      „Jou?“

      „Sonnenbrille?“

      „Jou!“

      „Badehose?“

      „Jou!“

      Dann ging es immer weiter ins Detail und verlor sich irgendwann im Unwichtigen wie zum Beispiel „Schwarze Socken?“. Darauf antwortete ich dann gar nicht mehr, während der Taxifahrer schon seit einigen Minuten auf den Befehl „Umdrehen!“ zu warten schien und mich unsicher von der Seite anschielte.

      Dafür dachte ich mir dann aber selbst eine Frage aus dem „Checked-Roger-Over-Peep-Pilotenspiel“ aus, die heute Morgen (oder eben gestern) „BÜGELEISEN?“ lautete.

      Damit hatte ich sie. Ha! Spiel, Satz und Sieg.

      Meine liebe Steffi hatte nämlich am Morgen, also eigentlich ja mitten in der Nacht – sie ist dafür schon um halb vier aufgestanden, weil sie sowieso nicht schlafen konnte – noch ihr kleines Schwarzes gebügelt, weil sie angeblich davon geträumt hat, mit mir auf einer besonders schicken Party im Paradies zu sein mit lauter berühmten und bekannten Leuten. Und als Sky Dumont sie dann fragte, ob er ihr einen scharfen Sex-on-the-Beach anbieten oder auch nur einen gewöhnlichen Banana-Cocktail von der Bar mitbringen dürfe, da bemerkte sie, dass sie nichts anhatte. Nichts. Sie war nackt. SIE HATTE EBEN NICHTS AN-ZU-ZIE-HEN!, wie sie ja auch selbst immer sagte. Auch wenn ich immer sagte: „Wozu willst du das denn mitnehmen, das brauchst du doch nie!“. Aber da haben wir den Beweis: Für diese schicke Party mit Sky Dumont hatte sie eben nichts. Gar nichts.

      Also bügelte sie mitten in der Nacht.

      Ich hatte sie! Mit „Bügeleisen?“ hatte sie nicht gerechnet. Ohrenbetäubende minutenlange Stille aus dem Halbdunkel des dem Flughafen entgegenrasenden Mercedes-Rücksitzes. Entsetztes, endloses Schweigen, schockgeweitete Augen. Der Taxifahrer verminderte dann auch schon mal prophylaktisch die Geschwindigkeit, wir fuhren plötzlich fast nur noch Schritttempo, und immer wieder schaute er lauernd und abwartend zu mir herüber.

      „Bü-gel-ei-sen“, quälte meine arme Steffi sich hinter mir. „Bü-gel-ei-sen … verdammt.“

      Natürlich war das Bügeleisen aus. Ich hatte es extra noch mal überprüft, weil es ihr schon einmal, ein einziges, dummes Mal passiert war, es nicht auszuschalten. Zum Glück fuhren wir da nicht gerade ans andere Ende der Welt in den Urlaub,