Wiglaf Droste

Im Sparadies der Friseure


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des Laberns nicht mehr aus der Hand nehmen.

      Es gibt viele gute Gründe, kein Hypochonder zu sein. Der wichtigste ist dieser überlegen-ironische Blick, den manche Frauen aufsetzen, wenn ein Mann tatsächlich krank ist. Sie haben dann dieses implizite »Ja, ja, der Ärmste, er hat mal wieder nichts« in den Augen; die Unterstellung, ein Mann mache per se und qua Geschlecht aus einer leicht verschnupften Mücke einen krebskranken Elefanten, während Frauen an und für sich und überhaupt ja sowas von tapfer seien. Als letzte Trumpfkarte spielen sie ihr Frausein aus: »Und überhaupt, du kannst gar nicht mitreden, du hast noch nie ein Kind bekommen!« Allein um solchem Passionspathos zu entgehen, stelle ich mich lieber gesund als krank oder tot.

      Hypochonder? Schon das Wort ist ohne Liebreiz. Es spricht sich mit unangenehm rachigem »ch« – manche, vor allem die der deutschen Sprache abholden Insassen Bayerns, sagen allerdings »Hypokonder«, so wie sie China »Kina« nennen. Hypokonder reimt sich auf Anakonda, also auf Würgeschlange, und das war’s dann auch schon. Das Breitreifenbayerische hat sich noch nicht zum Mitglied der Menschensprachenfamilie entwickelt, sondern entstammt noch direkt dem rückwärtsgewandten Teil einer muffigen Lederhose. In Bayern nennen sie das, auch anatomisch verblüffend, Mundart.

      Angesichts einer mit Hypochondern und Simulanten vollgeprengelten Welt ziehe ich es vor, das Gegenteil eines Hypochonders zu sein: ein stoischer Ärztevermeider, der sich nicht in Behandlung begibt, sondern sagt: »Ach, das ist doch nichts, das vergeht schon«, und am Ende wird es dann richtig blöd. Aber was soll ich machen? Stil zählt mehr als Gesundheit.

      Im Sparadies der Friseure

      In einem Land, in dem Bild als Zeitung durchgeht und Guido Knopp als Historiker firmiert, gelten Friseure als Hirnforscher. Und führen sich manchmal auch so auf.

      Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, liest schon rein gewohnheitsmäßig alles, was geschrieben steht im öffentlichen Raum, auch wenn er sich damit manche Last aufbürdet. Neben dem Kontoauszugsdrucker der Sparkasse hing ein Plakat, das ein »Sparadies« anpries. Unübersehbar und gleich mehrfach verhieß man mir: das Sparadies.

      Lüge, Betrug, Heuchelei und Nepp sind ja immer in ausreichender Menge und Vielfalt vorhanden und im Angebot. »Sparadies« jedoch hat die Ausstrahlung einer unerwünschten Zugabe: 25 Jahre Kundendasein bei der Sparkasse lehrten mich, dass ich bei diesem Anbieter jeden Service am Automaten selbst erledige und dafür dann Gebühren zahle. So sieht das Sparadies aus, das Sparadies auf Erden.

      Kopfschüttelnd verließ ich die Filiale dieses Geldinstituts und raufte mein Resthaar – das, wie ich feststellte, lang und wallend zu werden drohte, als sei ich ein Jugendlicher, oder, bedauernswerter, ein Operettenkünstler. Die Matte muss ab! Die kommt runter! Du gehst zum Putzer!, beschloss ich barsch und machte mich daran, einen Friseurladen aufzusuchen. Ich fand auch gleich einen; er hieß aber »Hair Force One«. Ungläubig las ich das und floh, Blitzeis im Genick.

      Aber wohin mich begeben, wohin mich wenden? »Hairdamit«, verlangte der nächste Friseur im Stil eines Straßenräubers, Wegelagerers und Raubritters. Dem wollte ich nicht in die Hände fallen, aber auch keine Coiffeurstube namens »Kopfsache« betreten – dagegen war ja das legendäre »Gard Haarstudio« aus den 70er Jahren mit Jacques Galèt eine humanistische Angelegenheit gewesen.

      Ich taumelte weiter. »McCut« hieß der nächste Haar- und Halsabschneider, und es nahm kein Ende mehr. »Die Frisierbar« las ich und lächelte noch, »Cuthaarstrofal« ließ mich beinahe zusammenklappen, »Wächst schon wieder« warb dagegen relativ charmant mit dem eigenen Unvermögen. »Eckzackt« war von grausamer Zwanghaftigkeit, einem »Headhunter« wollte ich meinen Kopf nicht einmal äußerlich anvertrauen, und »Querschnitt« klang ganz übel. Die »Vier Haareszeiten« mied ich ebenso entschieden wie »Fön-X«, »Hairlich«, »Kamm Hair«, »KammIn«, »Joe’s Hairport« »Haireinspaziert«, »Spektakulhair«, »Millionhair«, »Die Kopfgeldjäger«, »Mata Haari«, »Haaribo«, den »Haar-M«, die »Haarvantgarde« und die »Haarchitektur«. Gab es denn keine Friseurbuden mehr? Wie den »Salon Maucke« in Magdeburg, der eben kein Fußpflege-Etablissement ist – das dann analog und genausogut auch »Quantensprung« heißen könnte –, sondern tatsächlich ein Schuppen zum Haareschneiden?

      Nein, einfache Friseure sind weitgehend ausgestorben. Statt ihrer gibt es jede Menge Aufgebrezeltes. So findet sich eine »Hair-Killer«-Kette »mit der Lizenz zum Stylen« ebenso wie ein »Haar und Bewußtsein«. Darüber hinaus sind, unter langsamem, qualvollem Erlöschen, zu verzeichnen und hinzunehmen: ein »Schnitt-Punkt«, ein »Director’s Cut«, ein »Schneideraum«, ein »Hairgott«, ein »Hairkules«, ein »Open Hair«, ein »Kamm back«, zu dem ich niemals zurückkehren würde, ein bedrohlich entgültig klingender »Final Cut«, der einem das Rasiermesser an die Kehle zu setzen scheint, ein »Haarlekin« – ist das ein Spezialist für Clownsfrisuren? –, ein »Haarmäleon«, eine »Haarmonie« und, wahrscheinlich für die Sadomaso-Fraktion, eine »Haarpune« und ein »Haarakiri«. Und in Berlin-Pankow findet sich ein »Friseur Tsunami«; da kann man sich wahrscheinlich eine Welle machen lassen.

      Erfreulich vergeblich allerdings suchte ich einen schwarzen Friseur namens »Haarlem«. Und eine Billigfrisurenbude mit Namen »Haartz IV« zu eröffnen, wo ein Armutseinheitsschnitt mit der Rasiermaschine angeboten wurde, war bisher ebenfalls noch keinem Discounterschurken eingefallen.

      Ich atmete auf; zu früh allerdings. Denn um mich vollendet am Kopf innen zu vernichten, war das »cHAARisma« ausgeheckt worden: kleines c, großes H-A-A-R, und dann klein »isma« – cHAARisma. Ich war im siebten Kreis der Wortspielhölle. Wohin fliehen, wohin nur? Zu »KreHaartiv«? Ich brach in die Knie. Das ist das Ende, dachte ich, aber ich täuschte mich. Ein so leichter Tod war mir nicht vergönnt.

      Inzwischen zwar gewappnet, amalgamiert, in Drachenblut gebadet und schier auf alles gefasst, was Friseure der Sprache an Gewalt zufügen können, hatte ich doch mit einem nicht gerechnet: »Kaiserschnitt«. Es tat so weh, ein Messer trennte mir den Bauch auf, ich schrie vor Schmerzen, verstarb, verließ die irdische Hölle – und erwachte wo? Genau: im Sparadies, wo man »Haarva Nagila« sang. Und das ist nicht an den Haaren hairbeigezogen. Außer natürlich vom Friseur meiner Träume: »Haarald«, der auf seiner »Haarley« durch Köln knattert und dabei sein Lieblingslied singt: »Verdamp lang hair...«

      PS: Und dann erreichte mich auch noch folgende Elektropost des Kollegen Ralf Sotscheck von der irischen Westküste:

      Lieber Wiglaf,

      »Kamm back« ist ein Tiefpunkt. Aber es geht noch tiefer. Wie wär’s mit »Kammouflage«, dem flotten Tarnschnitt für den modernen Soldaten? Oder mit »Kamma Sutra«, dem Haarschnitt, der Frauen schwach macht? »Let’s kamm together«? Oder »Kammembert«, wenn sonst alles Käse ist?

      Au Mann.

      Muss jetzt unser Leihpferd wieder einfangen, es hat sich auf die Nachbarwiese abgesetzt. Werde mich als Hafer tarnen. War Haferkamm nicht ein Kammissar beim Tatort?

      Gruß,

      Ralf

      PPS: Damit Sie klar sehen: Ralf Sotscheck ist unbelehrbarer Anhänger der terroristischen Vereinigung Hairtha BSE.

      Schnellstmöglichst mega

      Der Superlativ greift um sich. Dessen er habhaft werden kann, das grapscht er sich und bläst es auf. Aus Nichtigkeiten macht er: das Beste, das Größte, das Schärfste oder das Allerschlimmste. Was nicht gigantisch daherkommt, geht unter und wird unsichtbar, als existiere es nicht.

      Telefonisch buchte ich ein Zimmer im Steigenberger Esplanade Hotel in Jena. Zunächst geriet ich in die Warteschleife und wurde von einer seifenreklamefreundlichen Automatenstimme »um etwas Geduld« gebeten. Zur Sedierung wurde Lullsoßenmusik gespielt. Es handelte sich also um einen jener Vorgänge, die allgemein nicht mehr als unangenehm empfunden, sondern als normal erachtet werden, weil man sich an den Niedergang gewöhnt hat und sich pragmatisch in ihm einzurichten versucht. Dazu bedarf es einer kosmetischen Sprache; dieselbe Telefonstimme versicherte mir, dass man sich »schnellstmöglichst« um mich kümmern werde. Bei »schnellstmöglichst« wurde ich endgültig hellhörig wach: