dem ein wiederholtes, sicherheit und ordentliches, beamtenhaft wichtiges, alles unter kontrolle habendes, entschieden warnendes und doch seltsam mechanisch tonloses »probealarm probealarm« folgt – eine der lieblingsbeschäftigungen der zentrale hier, fast jeden tag.
mehr noch die funktion, die ständige präsenz der kontrolliertheit und der aufforderung zur einbzw. unterordnung zu demonstrieren, erfüllen die stationsspezifischen und direkt nur in die eigene zelle gelegten durchsagen.
so werden die gefangenen z. b. jeden morgen nach dem frühstück in einer art sachlichem befehlston in überlautstärke aufgefordert: »abfalleimer leeren – abfalleimer leeren: ruflampe drücken« – von der entmündigung und bevormundung mal ganz abgesehen, ist damit die demonstration des ausgeliefertseins beabsichtigt, gerade in diesen anscheinend nebensächlichen kleinigkeiten. gleichzeitig ist damit das »angebot« einer kooperation verbunden, für die, geht der gefangene auf sie ein, »belohnung« winkt (siehe auch literatur zur »behavior modification« in den usa, z. b. das »24-punkte-programm « des dr. schein u. a. in »autonomie«). das erstreckt sich dann natürlich auf alle bereiche des täglichen lebens: einkaufszettel verlangen, einkaufszettel abgeben, hofgang, mittagessen ankündigen, »fertigmachen zur freizeit«, ankündigung von sondervorführungen beim video oder kirche und natürlich immer wieder verkündigung und erläuterung der neuesten »verordnungen« oder »durchführungsbestimmungen«, die in monotonem, aber »belehrendem« ton vorgetragen werden und meist mit »ende der durchsage« enden, besonders deutlich sind die direkten einzeldurchsagen, in denen anwalt, besuch, duschen oder einzelhof angekündigt wird, sämtliche anstehenden einzelfragen erledigt werden, bis hin zur frage, ob man klopapier oder seife braucht, aber auch der monatliche tabakeinkauf oder briefmarkenbestellung.
der grund, warum sowas nicht normal mündlich an der zelle besprochen wird – wie es für eine einzelangelegenheit ja anzunehmen wäre – ist ebenso einfach wie brutal: da der gefangene davon abhängig ist, daß der wächter ihn von seinem »dienstzimmer« aus sprechen läßt – denn der gefangene muß ja im wahrsten sinne des wortes grünes licht erhalten zum sprechen, ist ja nicht wie beim sprechfunk, wo jeder selbst bestimmen kann, wann er redet –, kann der wächter struktur und inhalt des gesprächs bestimmen: gibt es z. b. eine auseinandersetzung über die herausgabe von alten zeitungen oder zu langes wartenlassen auf den hofgang oder sonst irgendwas, dreht der wächter einfach die sprechmöglichkeit ab und redet selbst so lange, bis das thema auf seiner ebene ist oder er gesagt hat, was er sagen wollte, und damit ist ende, ich konnte mal verfolgen, wie sich in der nebenzelle ein gefangener darüber beschwerte, daß er nicht in die »freizeit« durfte (als »strafe« dafür, daß er nachts »zu laut« gewesen war), und je erregter er wurde, desto früher fiel ihm der wächter ins wort und brüllte in seine zelle rein – bis der gefangene fast tobte vor wut und daraufhin (er war in einer dreierzelle) zur »strafe« in eine einzelzelle verlegt wurde. unterwirft sich der gefangene nicht, werden durch solche – und mehr derartige – mittel seine aggressionen geschürt: geraten sie ihm dann außer kontrolle und er schlägt um sich – greift jemanden an oder beschimpft jemanden –, ist das die legitimation für noch härtere maßnahmen: solange, bis sein rückgrat krumm ist.
wichtig ist noch, daß die wächter ihre rolle in diesem programm nicht bewußt spielen – sie sind werkzeuge, bzw. eben »auch nur menschen«, wie mir neulich einer sagte; d. h. es ist natürlich bequemer für sie, hinter dem schaltpult mit einem zu reden, und nicht nur diese möglichkeit, das gespräch bestimmen zu können, sondern auch die ganze atmosphäre dieses »control-unit«, hinter dem sie da sitzen, mit knöpfchen und lämpchen und oft mit videomonitoren, vermittelt jenes gewisse gefühl der partizipation an der macht, mit dem die herrschenden schon seit jeher ihre handlanger und vor allem ausführenden in den untersten rängen geködert haben, und so sind sie im gewissen sinn sogar opfer:
sie können gar nicht mehr normal von mensch zu mensch mit einem reden, können einem z. b. nicht mehr in die augen sehen; und wenn sie mal nicht mehr selbst die frage nach briefumschlägen über gegensprechanlage abwickeln können, um sie dann wortlos auszuhändigen, sondern etwas direkt sagen müssen, dann ist das nur noch etwas amtliches, gerichtsbeschlossenes oder hausordnungsverkündendes, was geradezu rituell anmutend »eröffnet« wird: langzeitfolge einer solchen praxis ist eine mutation: verlust der kommunikationsfähigkeit und ihr ersatz durch elektronik, weil sie nicht mehr gebraucht wird – früher waren es nur die fußzehen, die verkümmerten, als der mensch anfing aufrecht zu gehen – auch schon schade, aber jetzt geht’s an die substanz.
über die funktion des radios und des tv als instrument zur verhinderung eigener gedanken, kreativität oder gar widerstand wäre eine extra analyse zu schreiben, vor allem in hinblick darauf, daß das, was hier läuft – gerade in dieser funktion – nur speerspitze der gesamtgesellschaftlichen funktion der medien ist. das wird da besonders deutlich, wo sich die gefangenen für ihre drei stunden täglich, in denen sie videoaufzeichnungen sehen dürfen – und es gibt nur video, was eine zusätzliche kontroll-, auswahl- und zen-surmöglichkeit ist –, auch noch selbst die dümmsten und systemimmanentesten hollywoodschinken und unterhaltungssendungen aussuchen: es gibt keinen ort der welt, wo diese unwirklichkeit und vorspiegelung falscher tatsachen krasser – und ihre funktion der verdrängung der realittät erfüllender! – hervortritt als im knast.
wenn die gefangenen dann abends nach drei stunden video mit voll-leerem kopf wieder im weißen nichts der realität ihrer zelle stehen, schreien sie ihre unzufriedenheit bis tief in die nacht zum fensterraus.
mit dem radio verhält es sich ähnlich: da macht es die menge aus, die ständige berieselung und einlullung; es gibt zwei programme: auf dem einen sender eine auswahl von musiksendungen verschiedener programme – und zwar nur musik, mein vorschlag, wenigstens auf diesem einen programm sonntagmittag werner höfer reinzumachen, weil ich den auf mittelwelle hier nicht reinkriege, wurde abgelehnt.
spitzenreiter ist das mittwöchliche wunschkonzert aus baden-baden, dessentwegen sogar das radio dann bis 24 uhr angelassen wird und erst nach dem dröhnenden abspielen der nationalhymne um null uhr sechs ausgeschaltet wird: wunschkonzerte erfreuten sich ja bekanntlich bei den nazis als perversion der brechtschen radio-thesen der zweigleisigkeit zum zweck der ablenkung größter beliebtheit.
auf dem anderen sender swf 3, das amerikanischste programm der brd. flott, süffig, glatt, geschliffen, abgeleckte ware, ständig von für sich selbst werbenden spots à la rtl unterbrochen, selbst information und nachrichten als unterhaltung, krimi oder auch nur auflockerung der musiksendungen, wie mit einem glänzend glitzernden schleifchen verpackt, z. b. »pop-shop-infos«: funky-soul-musik.
abblendung auf halbe lautstärke, darüber gesprochen: »die bundesrepublik exportiert: berufsverbote jetzt auch in argentinien. die argentinische regierung verfügte, daß ab sofort keine terroristen mehr in den staatsdienst dürfen«, wieder aufblenden der funky-soulmusik, in einem richtig duften, jungen, lässigen hey-wir-sind-unteruns-anmacher-ton gesprochen, so als ob da einer noch mit den knien wackelt und mit den fingern schnalzt.
man könnte hier den ganzen tag auf dem bett liegen und die dahinsabbernde musik in sich reinlaufen lassen, abends dann noch drei stunden tv (was übrigens auch die letzten reste von gruppenstruktur unter den gefangenen verhindert, weil sie glotzen, anstatt sich zu unterhalten, was auch ein wesentliches merkmal der »behavior modification« ist), und was an aktivitäten zum weiterdahinvegetieren notwendig ist, wird von den wächtern verwaltet:
da bleibt vom »dreckeimer ausleeren« übers »fertigmachen zum mittagessen fassen« bis zur sofortigen wegnahme leerer gläser (damit man sie nicht zum fenster rauswerfen kann) oder selbstgemachter kerzen (damit man wie ein kleines kind auch um 22:00 uhr brav ins bett geht) oder dem verbot, aus der zelle zu treten, wenn man sein hemd nicht in die hose gesteckt hat, nichts eigenes mehr übrig, das ist der normalzustand, der für die gefangenen, die arbeiten, nur noch angepaßter wird, jeweils zu beginn und ende der arbeitszeit und in den pausen ertönt dann auch noch der durchdringende dreiklanggong – als ob man’s nicht auch so merken würde …
diese institutionalisierte behavior modification, diese totale fremdbestimmung und verwaltung der gefangenen (die z. b. auch so weit geht, daß in der hausordnung exakt angegeben ist, wie man sein bett machen soll, wie man den »spint« einrichten soll, wo