Mitchum nie kennengelernt. Als er 18 Monate alt war, wurde der von schottisch-irischen Einwanderern und Indianern abstammende James Mitchum, der als Bremser bei der Eisenbahngesellschaft arbeitete, in Charleston/South Carolina von zwei riesigen Puffern zerquetscht. Sein Stiefvater, den seine Mutter zehn Jahre nach dem Unfall heiratete, war ein ehemaliger Abenteurer, und Onkel Willi, sein Vaterersatz, war früher mal Profi-Catcher gewesen. Und dann kamen die Jahre der Depression. Bob war schon viel herumgekommen als er in New York City auf die Schule kam. »Immer wieder neue Umgebung, neue Jungs, gegenüber denen man sich als Neuankömmling behaupten mußte. Seine Methode war: Nicht mehr als nötig reden, allenfalls fluchen, ansonsten überraschend zuschlagen und keiner Keilerei aus dem Weg gehen.« (Michael Althen) Mitchum war damals schon der »Loner mit dem Tough-Guy-Gehabe«.
Mit 14 bereits heuerte er auf einem Bergungsschiff der Fall-River-Linie an und die folgenden Jahre durchquerte er mit dem Zug mehrmals den Kontinent, eine Landschaft der Verzweiflung und der Gewalt. Er war als Hobo unterwegs, der gerne als letzter großer Abenteurer und als Ritter der Straße gefeiert wurde. In Wirklichkeit war Mitchum Teil einer ziellosen Migration verarmter Jugendlicher, von denen schätzungsweise eine Viertel Million auf Achse war, die sogenannten »wild boys«, die immer auf der Hut vor den sogenannten »Shagmen« sein mußten, die im Auftrag der Eisenbahngesellschaft die Züge von Schwarzfahrern säuberten und dabei nicht zimperlich vorgingen. Nicht selten blieb ein armes Schwein tot auf den Schienen liegen. Der junge Mitchum lernte schnell, worauf es ankam, aber irgendwann verließ ihn das Glück und er wurde in Savannah/Georgia festgenommen. Man wollte ihm einen Raubüberfall anhängen, und als das nicht klappte, verurteilte man ihn wegen Landstreicherei zur Zwangsarbeit in einer »chain gang«, d.h. er wurde nachts und während des Transports am Fuß angekettet und zu Straßenausbesserungsarbeiten eingesetzt. Nach einer Woche gelang es ihm, in den nahe gelegenen Wald zu flüchten. »Damals hätte keiner auch nur 50 Cents ausgegeben, um dich zu fangen, wenn sie dich mit dem Gewehr verpaßt hatten. Sie zogen lediglich aus und fingen sich irgendeinen anderen ein, der deinen Platz in der chain gang einnahm.«
Als Bob zwischendrin mal wieder zu Hause auftauchte, lernte er Dorothy Spence kennen, die er später heiratete und mit der er sein ganzes Leben zusammen war. Eine Zeitlang schlug er sich als Preisboxer durch, aber als er an einen erfahrenen Gegner geriet, der ihn übel zurichtete, hörte er wieder auf.
Über seine Schwester Julie, die eine Schauspielerausbildung machte und als Sängerin arbeitete, ergaben sich die ersten Kontakte zur Bühne. Bei Victor’s, einem Laden auf dem Sunset Boulevard, hielt er Hof. »The clientele was a mixture of fallen stars, extras, party girls, stuntmen, starlets, hookers, hustlers, johns and dealers. It was said to be a place where anything could be had for a price.« (George Eells)
Mitchum schrieb auch: kleine Stücke und Stories, von denen eine sogar in einer literarischen Vierteljahreszeitschrift veröffentlicht wurde. Worauf andere möglicherweise in ihrer Biographie stolz hingewiesen hätten, kommentierte Mitchum gnadenlos abfällig: »Ein Stück Scheiße mit ein oder zwei guten Stellen. Ich dachte vermutlich, ich würde der Liebling der literarischen Frauenzirkel werden, und sie würden mir auf den Hintern klopfen und meine Texte mit tiefsinnigen Bedeutungen versehen, die sie nie hatten und von denen ich nichts wußte.« Vom Astrologen Carroll Righter wurde er als Fahrer und Hilfskraft auf einer kleinen Ostküstentournee angestellt. Er verscherbelte nach den Auftritten seines Chefs alten Damen ihre persönlichen Horoskope. Von Florida aus fuhr er nach Delaware, wo ihm Dorothy Spence vorschlug: »Ich glaube, du bist nicht in der Lage, weiterhin allein gelassen zu werden. Ich schlage vor, wir heiraten.« Und das taten sie dann auch. Er versuchte über die Runden zu kommen, indem er ein paar kleinere Engagements annahm, aber als das nicht ausreichte, arbeitete er an einer Stanzmaschine in der Lockheed-Flugzeugfabrik. Der Job bekam ihm nicht. Er litt an starken Schlaf- und Sehstörungen und mußte trotz dringender Geldsorgen hinschmeißen. Obwohl er nur Verachtung für die Schauspielerei übrig hatte, versuchte er sein Glück beim Film.
Ein Nichtschauspieler in Hollywood
Das war 1943, und in diesem Jahr spielte er bereits in 19 Western, Kriegsfilmen und Serien mit. Er mußte einfach nur durch das Bild gehen und ab und zu mal ein paar Sätze sagen. Und er sah verdammt gut aus. Vielleicht blieb er aus diesem Grund nicht unbemerkt, jedenfalls nicht für MGM, Universal und 20th Century-Fox, für die er arbeitete. Mitchum witzelte: »Ich war nun ein Charakterdarsteller, und ich spielte fast alles – chinesische Wäschereibesitzer, Zwerge, irische Waschweiber, Schwuchteln. Ich spielte sogar einmal einen Journalisten.« Das »sogar einmal« ist sehr lustig, und Mitchum fügte hinzu: »Ich weiß nicht, wie’s war, ich hab den Film nie gesehen.« Und dabei blieb er nach eigenen Aussagen bis zum Schluß.
»RKO machte mit mir zehn Jahre lang den gleichen Film. Sie waren sich so ähnlich, daß ich in sechs von ihnen denselben Anzug und denselben Burberry-Trenchcoat trug. Sie machten aus mir eine männliche Jane Russell. Ich war ihr Belegschaftsheld; also wollten sie von mir, daß ich in den Filmen ein paar Kleidungsstücke ablege. Ich war dagegen und legte ein bißchen Gewicht zu, so daß ich wie ein bulgarischer Ringer aussah, wenn ich mein Hemd auszog. Ich beschwerte mich, und sie gaben unverhohlen zu, daß sie eine bestimmte Menge Schrott zu verkaufen hätten und ich ihr Mann dafür sei.« Und tatsächlich ragen nur wenige Filme aus der Flut von B-Movies heraus, die der Rede wert sind. Das lag nicht an Mitchum, da Mitchum in jedem Film einfach er selbst war, und ansonsten die Sätze sprach, die im Script standen. Und wenn er sich prügeln mußte, dann prügelte er sich eben. Überhaupt gab es für Mitchum nur zwei »acting styles«: Einen mit Pferd und einen ohne. Er hatte absolut nicht den Ehrgeiz, dem Regisseur Vorschläge zu machen, wie man etwas verbessern könnte.
Nur einmal wurde er für den Oscar vorgeschlagen, aber da er aus seiner Verachtung gegenüber dem Filmgeschäft nie einen Hehl machte und erst gar nicht zur Preisverleihung erschienen war, wurde nichts aus der Prämierung von »The Story Of G.I. Joe«, den Roosevelt angeblich für den größten Kriegsfilm aller Zeiten hielt. Auf die Rolle des Lt. Walker in der Verfilmung von Ernie Pyles »G.I. Joe« waren Gary Cooper und alle möglichen Stars scharf, weil der Bestseller eben keine Heldenschmonzette war, sondern auch die schmutzigen Seiten des Krieges zeigte. Der »emotionale und metaphysische Höhepunkt« des Films bestand, wie in der Village Voice 1973 zu lesen war, darin, daß Mitchum als Leiche auf einem Esel den Berg heruntertransportiert wird und dabei eine »erhabene Ruhe« ausstrahlt und diese »vollkommene Ruhe im Tod Ergebnis seines ausdrucksstarken Stoizismus im Leben ist.« Etwas profaner drückte es Mitchum selber aus: »Ich hatte Glück. Keiner hätte versagt in so einer Rolle. Den Berg auf einen Esel geschnallt runterkommen und die Kamera genau auf meine Fresse gerichtet – das mußte ankommen. Aber das heißt nicht, daß ich irgendwie gespielt hätte.« Warum auch? Katharine Hepburn, mit der Mitchum 1946 in »Undercurrent« zusammen drehte, sagte: »Sie wissen, daß Sie nicht schauspielern können, und wenn Sie nicht so gut aussähen, wären Sie niemals in den Film gekommen.« Dennoch hatte sie einen guten Rat für ihn auf Lager: »Don’t let them fuck you, Mr. Mitchum, darling.«
Mitchum war immer dann am besten, wenn er den desillusionierten Verlierer spielte, der sich in den Fängen des Schicksals verheddert hat und einer femme fatale verfallen ist, wie in »Out Of The Past«, wenn er lässig am Tresen lehnt, während die Hand ein Glas Bourbon festhält, oder wenn er wie in »Thunder Road« als Whiskeyschmuggler ein Spiel spielt, das er nicht gewinnen, aber dennoch nicht aufgeben kann, weil Abenteuer und Gefahr, das freie, ungebundene Leben auf den nächtlichen Straßen locken. Die leichte Amüsiertheit in seinem Gesichtsausdruck und die latente Gewalt, die er ausstrahlte, machten ihn zum perfekten Darsteller in dem Ende der Vierziger immer beliebter werdenden film noir, weil er mit seinen sparsamen Gesten und seinem müden Blick im Schattenspiel zwischen Zynismus und Ambiguität genau den Außenseiter ohne Wurzeln spielen konnte, der immer eines Verbrechens verdächtigt wurde oder der zumindest ein dunkles Geheimnis in seiner Vergangenheit mit sich herumschleppte.
Gerade solche Filme hatten einen großen Einfluß auf die in den fünfziger Jahren heranwachsende Jugend, wie z.B. Hunter S. Thompson, dem nicht nur gefiel, daß Mitchum sich von niemandem herumschubsen ließ, sondern auch die lässige Art und Weise, in der das geschah. Auch wenn man diesen Filmen immer die Patina der Zeit ansehen wird, Mitchum war einer der großen Poser des amerikanischen Films und er erlangte damit eine ungeheure Popularität. Denn er war eben nicht nur einer, der den Rebellen