du, ich will zusehen, wie du dir stundenlang in den Venen rumstocherst?«
»Wieso ich? Ich hab das noch nie selbst gemacht.« Hakans Gesicht zeigte eine Mischung aus Angst und Neugierde. Zögernd zog er den Gürtel ab. Der Büffelkopf schlug gegen die Bettkante.
»Mein Gott, ein schwereres Exemplar konntste dir wohl nicht aussuchen, was? Na, gib schon her.«
Hakan blieb am Rand des Bettes steif im Hohlkreuz sitzen. Über ihm hing an der Wand ein Ölgemälde mit Landschaftsmotiv: Irgendwelche Bauern stocherten mit Mistgabeln im Stroh herum. Lochner band Hakan den rechten Oberarm ab. Der Büffelkopf hing schwer herunter.
»So, und jetzt kommt dein Einsatz. Mach ein paar Mal kurz hintereinander eine Faust, und dann suchst du dir in aller Ruhe eine schöne Vene hier in deiner Armbeuge.« Hakan befolgte Lochners Answeisungen. »Sieht ja gar nicht so schlecht aus. Kann man ja fast reinwerfen die Spritze. So, und jetzt stichst du einfach rein und ziehst die Spritze vorsichtig ein wenig zurück. Wenn Blut kommt, hast du gewonnen, dann kannst du das Zeug reinpumpen. Hast du kapiert?«
Hakan nickte. Er nahm die Spritze aus Lochners Hand. »Und? Was ist mit dir? Willst du denn nicht?«
»Türken haben den Vortritt.«
Lochner sah, wie Hakan zögernd die Spritze ansetzte. Es funktionierte. Der Typ schien gar nicht so blöd zu sein. Blut lief in die Kanüle, Lochner löste den Gürtel, und Hakan stach langsam zu, bis zum Anschlag.
»So, und jetzt ziehst du noch einmal kurz zurück und stichst wieder zu, und das isses dann.«
Hakan nickte. Als er fertig war, zog er die Spritze aus dem Arm und reichte sie Lochner.
»Und jetzt leg dich ein bisschen hin, ein paar Sekunden.« Hakan sank auf die Tagesdecke. Er atmete schwer. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Lochner wischte ihm mit einem Papiertaschentuch das Blut aus der Armbeuge. »Na, was sagen wir dazu?«
Hakan sagte gar nichts mehr. Mit einem Ruck bäumte sich sein Oberkörper auf und fiel wieder zurück. Er schnappte hektisch nach Luft, bäumte sich wieder auf, fiel zurück.
»Heh, mach kein Scheiß!«
Nach einer Minute machte Hakan gar nichts mehr. Er lag reglos auf der Tagesdecke, den rechten Ärmel des violetten Hemdes hochgekrempelt, der schwere Büffelkopf hing über die Bettkante herunter.
Lochner stand auf und starrte einen Moment entgeistert auf den leblosen Körper. Dann drehte er sich abrupt um und begann, in aller Eile seine Utensilien einzusammeln, die Spritze, die Briefchen, sein Geld, die Herrentasche. Das Tavla-Spiel konnte liegen bleiben, es gehörte Hakan. Die Gläser, den Tisch und was nicht alles abzuwischen, machte keinen Sinn, er würde jetzt nicht stundenlang hier herumputzen. Lochner ging zur Tür. Er blieb noch einen Moment stehen, hielt die Klinke in der Hand, und schaute ungläubig auf das Bett. Hakan hielt die Augen weit geöffnet und starrte leer gegen die Zimmerdecke. Lochner riss die Tür auf, Hakans Jacke wurde durch den Luftzug leicht am Kleiderhaken bewegt.
Als Lochner aus dem Fahrstuhl trat, hatte er sich wieder gefasst. Ein schläfriger Portier mit Glatze und grauem Haarkranz saß an der Rezeption und nickte ihm hinterher, wie er das jede Nacht hundert Mal tat.
10.
Derintops Schritte hallten durch die Grünsiegelpassage, die nicht mehr war als ein abgewracktes Verkaufsareal, ein aussterbendes Projekt. Seit Jahren schon gab es hier mehr Ladenleerstand als geöffnete Geschäfte. Zwei Einkaufscenter in der Nähe des Rathauses hatten die Aufmerksamkeit potentieller Kunden abgezogen. Viele Schaufenster waren mit braunem Papier abgeklebt.
Am Ende der Passage leuchteten die gelben Schilder eines China-Restaurants. Daneben befand sich ein kleiner Laden. Blaue Rolläden waren heruntergezogen, ebenso an der Glastür. Derintop versuchte, an deren Rändern vorbei ins Innere zu schauen, konnte aber nichts erkennen. Er trat einen Schritt zurück und las das Messingschild, das neben der Tür am Schaufenster befestigt war: MEKONG – IMPORTWAREN AUS INDOCHINA. Keine Telefonnummer, nichts.
Derintop ging hinüber zum China-Restaurant und trat ein. Bei den Chinesen sieht es immer gleich aus, dachte er abfällig. Rote Tapeten, am Eingang ein kleiner Springbrunnen, ein großes Meerwasseraquarium, von den Decken baumelten Papierballons und über allem rieselten chinesische Harmoniegesänge aus versteckten Lautsprechern. Zwei Tische an den Fenstern waren besetzt. Am Ende des langen Raumes stand ein kleines Männlein in schwarzer Kellnerkleidung hinter der Theke und kam nun hervor, um den neuen Gast zu begrüßen.
»Was ist mit dem Laden nebenan«, fragte Derintop unfreundlich und reckte seinen Stiernacken vor. Das Männlein neigte den Kopf ein wenig zur Seite und schaute zu Derintop auf.
»Oh, ist geschlossen. Ja, hihi.« Die Augenschlitze des Männleins wurden zu schmalen Strichen.
»Ja und? Wann macht er wieder auf?«
»Oh, weiß nich. Hat die Frau vorige Woche ssugemacht. Diese Thailänderin. Tja, so geht das, ne? Hihi.«
»Was ist denn das überhaupt für ein Laden.«
»War, wie gesagt. Hihi. Ich glaube, der macht nich mehr auf.«
Derintop hatte das Gefühl, als ob dieser Wicht ihn veralbern wollte. »Und was war das für ein Laden? Wem gehörte er?«
»Oooh ja, sie hat alles Mögliche verkauft hier, ne. Import, ne. Ssehen Ssie mal hier an der Decke, ne, da hat sie alles besorgt. Auch hier Glücksbringer un so, ne.« Das Männlein zeigte belustigt auf einen Jadering, der an langen roten Fäden von der Decke hing.
»Ja, und jetzt?«
»Jetz is ssu. Weiß nich, is pleite oder was, hihi. Wieso, wollen Ssie kaufen Glücksbringer, ich kann Ihnen Telefonnummer geben.«
Derintop nickte. Wenigstens etwas. Das Männlein kritzelte ein paar Zahlen auf einen Notizblock, riss das Blatt ab und reichte es Derintop. »Hier, da is meine Freund, bestellen Ssie einen schönen Gruß, is auch Vietnamese wie ich, handelt auch mit sowas, is zwar bisschen teurer, aber …«
»Moment mal. Das ist nicht die Nummer von dieser Thailänderin? Ich will die Nummer von dieser Frau! Was geht mich dieser Vietnamese an, und wieso Vietnamese, das ist doch ein China-Restaurant hier?«
»Ja, heißt immer so. Ssind eigentlich alles fast immer Vietnamesen, ja. Aber wenn es Vietnamesen-Restaurant heißt, kommt keiner, hihi. Und chinesische Küche un vietnamesische Küche – wie sagt man: is alles ein Brei? Nee, wie sagt man?«
Derintop war nahe daran, sich auf das Männlein zu werfen und ihm ein paar Ringergriffe zu zeigen. »Und die Frau hier nebenan? War die eigentlich auch Vietnamesin?«
»Nein, is Thailänderin. Nette Frau. Aber wenn Ssie wollen, meine Frau kann Ihnen mehr erzählen.« Das Männlein trat hinter den Tresen und steckte seinen Kopf durch einen schweren, roten Vorhang, der zur Küche führte. Kurz darauf kam eine dürre Frau mit dunklen Rändern unter den Augen hervor. Offensichtlich magenkrank. Und offensichtlich hatte sie das Gespräch bereits mitverfolgt.
»Ja, hatte eigentlich gute Geschäft gehabt, aber wissen Ssie, immer Problem mit Ehemann, deutsche Ehemann, ja. Wie heißt de noch? Messersmitt.« Sie rückte um den Tresen herum immer näher an Derintop heran und hielt eine Hand vor den Mund. »Da war immer Problem, ach, und hat viel getrunken, die Mann. Kann sein, dass vielleicht deswegen ssie hat zugemacht, weiß nich.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Weiß auch nich, vielleicht wieder zurück nach Thailand. Oder …«, jetzt flüsterte sie. »Vielleicht durchgebrannt. Hihihi.« Warum kniffen diese Asiaten immer die Augen zusammen, wenn sie lachten, dachte Derintop. Da ließ sich nie etwas erkennen.
»Und wohin durchgebrannt?« Derintop hatte Lust, ihr Lachen nachzuäffen.
»Ja, mit de Schmuckhändler da. Wie heißt de noch? Hatte ssie Verhältnis gehabt, wissen Ssie. Un de Mann immer nachspioniert. Immer hinterher, hinter die beiden. Waren oft Kunden hier. Netter Mann, de Schmuckhändler.« Sie nickte belustigt.
»Ich