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Was bildet ihr uns ein?


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tragen zu müssen. Und genau das muss in einer Schule möglich sein – denn aus Fehlern lernt man ja bekanntlich. Also muss es auch einen Raum geben, in dem es erlaubt ist, Fehler zu machen! Und welcher Ort würde sich dafür eher anbieten als die Schule?

      Durch Noten wird Schülern vermittelt, dass es etwas Schlechtes ist, Fehler zu machen, und man die Konsequenzen dafür zu tragen hat. Ja, ja, „im harten Leben muss man auch die Konsequenzen tragen“, – man hört sie jetzt schon rufen. Aber das harte Leben fängt früh genug an, und für viele Schüler ist die Härte bereits zu Hause Alltag. In der Schule müssen sie aber die Möglichkeit haben, sich gemeinsam mit den Lehrern über ihre Stärken und Schwächen klar zu werden. Und dies kann über individuelle Bewertungen funktionieren. Dadurch ist der Lehrer nicht gezwungen, sich innerhalb einer Skala von eins bis sechs auszudrücken. Er kann und muss ganz differenziert begründen, wieso er die Leistung jedes Einzelnen so einschätzt.

      Die Wahl des Vorbildes

      Die individuelle Bewertung führt auch dazu, dass sich die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern verbessert, da das Aburteilen und Aussortieren nicht mehr im Vordergrund steht, sondern es um das gemeinsame Voranschreiten, das Aufzeigen von Wegen geht. Und für die Motivation und den Schulerfolg ist nicht nur guter Unterricht wichtig, sondern auch eine gute Schüler-Lehrer-Beziehung. Wer von uns erinnert sich nicht zumindest an einen Lehrer, in dessen Unterricht man gerne ging und von dem man die Begeisterung für das Fach übernommen hat. Oder der gar verantwortlich für die Berufswahl ist. Dieser Aspekt der Schule wird meist erst in der Retrospektive deutlich. Nur die wenigsten würden ihre Lehrer als Vorbilder bezeichnen.

      Wenn Jugendliche nach Vorbildern gefragt werden, so landen Lehrer häufig auf den hinteren Plätzen – aber sie kommen vor. So darf unter Vorbild aber nicht ein Idol verstanden werden – also jemand, dessen soziale Rolle man einnehmen will. Bei Vorbildern geht es eher darum, eine Person vor sich zu haben, an der wir uns zu orientieren suchen. Es sind meist Menschen aus unserer Nähe, von denen wir lernen wollen und an deren Meinung wir interessiert sind, um uns selbst weiterzuentwickeln. Oft werden sie auch unbewusst gewählt.97

      Dass aus Lehrern verstärkt Vorbilder werden, ist nun kein Prozess, den man bewusst steuern könnte. Lehrer müssen aber in den Fokus gestellt werden, wenn über Motivation in der Schule gesprochen wird. Denn sie sind es schließlich, die motivieren sollen.

      Schaut man sich die derzeitige Situation der Lehrer an, so blickt man auf einen Berufsstand, der für jegliches Scheitern verantwortlich gemacht wird. Sie gelten als die ausführende Hand des selektierenden Schulsystems und werden häufig gar als Feind gesehen. Hinzu kommt das weitverbreitete Klischee, Lehrer hätten ja so oft Ferien und sollten sich nicht über ihre Arbeit beschweren. Um die Vorbildfunktion des Lehrers steht es also schlecht. Setze wie Gerhard Schröder sie sagte, als er noch niedersächsischer Ministerpräsident war, tragen da nicht zur Besserung bei: „Ihr wisst doch ganz genau, was das für faule Säcke sind“, beschrieb er Lehrer im Jahr 1995. Diese Meinung ist auch heute noch weitverbreitet.

      Sicherlich wird es „faule“ Lehrer geben, wie es eben auch „faule“ Mitarbeiter in jedem anderen Unternehmen geben wird. Zur Beschreibung eines Berufsstandes taugt es jedoch nicht. Dass inzwischen fast jeder fünfte Lehrer daran denkt, in Frühpension zu gehen, zeigt hingegen, welch großer Druck auf ihnen liegt: Ein Berufsstand, der das geradebiegen soll, was die Gesellschaft nicht hinbekommt. Inzwischen kämpfen Lehrer sogar gegen Eltern, die meinen, es besser zu wissen. Das alles klingt nicht nach einem Vorbild und schon gar nicht danach, dass Lehrer selbst motiviert sein können. Dass ist aber die Grundvoraussetzung, um andere zu motivieren, wie schon Augustinus wusste: In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst. Wie kann man also garantieren, dass die Flamme bei Lehrern nicht erlischt?

      In Finnland beispielsweise gibt es eine hohe Motivation Lehrer zu werden. Die besten eines Jahrgangs entscheiden sich für diesen Beruf.98 Es muss also zumindest mehr über die Arbeit von Lehrern gesprochen werden und es müssen auch ernsthaft engagierte Lehrer und ihre Visionen in den Vordergrund gestellt werden. Nur so kann man versuchen, das Bild des Lehrers in der Gesellschaft neu zu bestimmen. Doch das gesellschaftliche Ansehen ist nur ein Punkt, der die Arbeit in einer Schule prägt. Nicht allein dadurch ist es zu schaffen, dass Lehrer ein motivierendes Arbeitsumfeld haben. Wie ist das also zu erreichen?

      Mehr Lehrer, mehr Gestaltungsraum, kleinere Klassen sind wohl Antworten, über die häufig diskutiert wird. Interessant ist das israelische Modell des sogenannten Sabbatjahres.

      Alle sieben Jahre unterrichten Lehrer für ein Jahr nicht, sondern nutzen die Zeit, um sich weiterzubilden. Das kann in den verschiedensten Bereichen sein. So könnte ein Mathematiklehrer Programmieren oder Twittern lernen oder sich schlicht mit neuen pädagogischen Konzepten auseinandersetzen. Er könnte sich damit beschäftigen, wie es die Japaner schaffen, dass ihre Schüler so gut in Bruchrechnung sind usw. Dies würde dazu führen, dass Lehrer aus dem Klassenraum herauskommen und eine andere Perspektive gewinnen. Sie können sich Inspiration holen und die im Alltag vielleicht verlorene Leidenschaft für ihr Fach wiedergewinnen, was ganz entscheidend für die Motivation von Schülern ist. Auch könnten sich Lehrer regelmäßig auf gesellschaftlich neue Entwicklungen einstellen und so erhielte der Raum Schule stetig neue Impulse. Auch lebenslanges Lernen, das in Deutschland gerade verstärkt gefördert wird,99 bekäme eine ganz neue Bedeutung. In Israel geben Lehrer dafür 4,2 Prozent ihres Gehaltes monatlich ab, und der Staat zahlt noch einmal das Doppelte dazu – so kann dieses System finanziert werden.

      Dieses Sabbatjahr gibt es in Ansetzen auch in Deutschland. Zumindest besteht gesetzlich die Möglichkeit auch hierzulande, solch ein Jahr zu nehmen. Allerdings gibt es keine Schätzungen, wie viele Lehrer diese Regelung tatsächlich in Anspruch nehmen. Vermutlich ist es aber eine schwindend geringe Zahl. In Deutschland wird es wohl viele Kämpfe geben müssen, bevor sich solch ein Modell durchsetzt. Zu stark ist das Bild des „faulen“ Lehrers in den Köpfen der Menschen verwurzelt.

      Vor diesem Hintergrund muss die Rolle des Lehrers verstärkt diskutiert werden. Für die Schüler ist es nur von Vorteil, wenn der Lehrer wieder mehr gesellschaftliches Ansehen erringt und dadurch auch bewusstes Vorbild sein kann. Gerade Kinder aus bildungsfernen Familien könnten davon profitieren. Hier ist der Lehrer oftmals die einzige Person, die einen anderen Bildungshintergrund hat als die Familien, wodurch er andere Perspektiven für die Schüler eröffnen kann.

      Auch für Schüler mit Migrationshintergrund ist die Vorbildfunktion entscheidend, wie verschiedenste Studien bewiesen haben.100 Hier sind allerdings gerade Lehrer gefragt, die selbst einen Migrationshintergrund haben – sogenannte „minority teacher“101. Bei einer guten Lehrer-Schüler-Beziehung geht es um Sympathie, Vertrauen und das Gefühl des „Sich-Verstanden-Fühlens“, und dies entsteht besonders, wenn sich Personen einander ähnlich sind oder gleiche Erfahrungen teilen102. Mit einem „minority teacher“ haben Schüler mit Migrationshintergrund also eine bessere Chance, sich durch Eindrücke von außen weiterzuentwickeln. Doch es geht noch über die Vorbildfunktion hinaus: Lehrer mit Migrationshintergrund wissen oftmals aus eigener Erfahrung, wie unterschiedlich bestimmte (Unterrichts-) Inhalte aufgefasst oder Lösungswege gesucht werden können. Dies führt im besten Fall dazu, dass diese die Lernbedürfnisse und Herangehensweisen ihrer Schüler mit Zuwanderungsgeschichte eher erkennen und gezielt darauf eingehen103.

      Wirft man jedoch einen Blick in die deutschen Lehrerzimmer, so findet man nur selten, Lehrer, die einen Migrationshintergrund haben. Derzeit stehen den fast 25 Prozent Schülern mit Migrationsgeschichte nur etwa 1 Prozent Lehrer mit Migrationshintergrund gegenüber. Lange Zeit blieb dieser Missstand an deutschen Schulen von der Wissenschaft, Politik und von Interessensverbänden unberücksichtigt. Erst seit wenigen Jahren ist dieses Problem in den Fokus gerückt, zumal durch die PISA-Studie deutlich wurde, dass Schüler mit Migrationshintergrund besonders benachteiligt werden.

      Schulbücher liefern Migranten Stereotype statt Vorbilder

      In den letzten Jahren wurden verstärkt Lehrer mit Migrationshintergrund eingestellt, die dieser Benachteiligung entgegenwirken sollen. Staatliche und von Stiftungen initiierte Programme versuchen