da vorne war es! Sie stellte den Roller vor der Vorstadtvilla ab, passierte einen Mercedes in einem Carport und erreichte die Haustür. Auf ihr Klingeln reagierte allerdings niemand. Sie versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Auch ein ausgedehntes, langes Klingeln brachte keinerlei Erfolg.
So ein Mist! dachte sie. Will mich hier jemand verarschen? Eine Viertelstunde bin ich gefahren, und wenn ich nicht ausliefern kann, ist die Pizza verdorben. Irgendjemand muss doch da sein – wer hat denn sonst bestellt?
In ihrem Ärger umrundete sie das Haus und ließ sich von einem kleinen Zaun nicht aufhalten. Hinter dem Haus war die Terrassentür angelehnt. Natascha spiegelte sich in der Scheibe in ihrem schwarzen Ledereinteiler. Ein geiles Teil, dachte sie; es liegt hauteng an und fühlt sich so gut an.
Vorsichtig öffnete sie die Tür und trat langsam ein.
Verdammt!, dachte sie erschrocken.
Nicht weit von ihr entfernt saß ein Mann auf einem Bürodrehstuhl. Bauch und Schultern waren mit einer Vielzahl von Seilen an der Rückenlehne festgebunden. Die Arme verschwanden hinter seinem Rücken und waren dort wohl ebenfalls befestigt. Die Füße waren so unter den Stuhl gebunden, dass sie den Boden nicht berührten. In seinem Mund steckte ein dicker Knebel. »Hmpf, hmpf!«, machte der Mann angstvoll und zerrte an seinen Fesseln; und er war nackt.
Verdammt, was sollte das? Sie hatte keinen Bock auf nackte Männer. Sie hatte keine Lust, sich zur Nebendarstellerin in undurchschaubaren Sexspielchen anderer Leute machen zu lassen, schon gar nicht mit Männern. Was dachten sich diese Typen? Warum hatte der Mann Angst? Wusste er denn nichts von der Pizzabestellung? Womöglich wurde sie verhaftet, wenn man sie so mit ihm erwischte. Sie machte auf der Stelle kehrt, um nach Hause zu fahren.
Aber dann fiel ihr die lauwarme Pizza wieder ein. Scheiße, dachte sie. Bestellung ist Bestellung – Pizzabotenehre! Sie ging zu dem Mann und nahm ihm den Knebel ab.
»Gott sei Dank!«, schrie der Mann atemlos. »Ich bin überfallen worden! Machen Sie mich los, ich muss die Polizei anrufen!«
»Aha«, sagte Natascha zweifelnd, drehte den Mann auf dem Drehstuhl und besah sich die Angelegenheit. »Ich bräuchte dann den Schlüssel für Ihre Handschellen.«
»Da unten, da liegt der Schlüssel auf dem Boden«, sagte der Mann und deutete mit dem Kopf zu Nataschas Füßen. Tatsächlich lag dort ein Schlüssel in einer kleinen Pfütze.
»Wo kommt denn das Wasser her?«, fragte Natascha.
»Jetzt fragen sie nicht dumm, machen Sie mich endlich los«, verlangte der Mann ungehalten.
»Nicht so eilig«, entgegnete Natascha. »Ich hab das Gefühl, hier geht was Schräges ab.« Wollte er vielleicht über sie herfallen, wenn sie ihn losband? Eigentlich machte er nicht den Eindruck. »Jetzt erklären Sie mir erst, wo das Wasser herkommt!«
»Hören Sie, ich muss dringend aufs Klo!«, jammerte der Mann.
Natascha hatte langsam die Nase voll.
»Nein, jetzt hören Sie mal! Sie haben eine Pizza ›Domina extra scharf‹ mit Bedienservice bestellt. Bedienservice heißt nicht ›Vom-Drehstuhl-Losbind-Service‹. Bedienservice heißt, dass ich ihnen die Pizza jetzt aufschneide und serviere, wenn nötig auch häppchenweise.« Sie stellte die Pizza auf den Wohnzimmertisch und schnitt sie auf. Dann hielt sie dem Kunden ein Stück lauwarme Pizza unter die Nase. »Hier, essen Sie das!«
»Sie sind ja verrückt!«, sagte der Mann.
Natascha war mit ihrer Geduld am Ende und stopfte ihm die Pizza in den Mund. »Und unterstehen Sie sich, sie auszuspucken! Dann werden Sie erfahren, was richtiger Ärger ist.«
Der Mann mampfte leidend vor sich hin.
»Kann ich einen Schluck Wasser bekommen?«, fragte er, als er die Hälfte der kalten Pizza hinuntergewürgt hatte.
Natascha schaute entnervt auf die Uhr. »Hören Sie«, sagte sie, »die zwanzig Minuten Bedienservice sind jetzt um. Ich hole Ihnen das Wasser, aber dann kauen Sie schneller. Ich habe keine Lust auf unbezahlte Überstunden!«
In diesem Augenblick wurde die Haustür aufgeschlossen. Jemand kam in den Flur und rief: »Schaa-aatz! Ist alles in Ordnung?«
Natascha und der Mann erstarrten.
Eine Frau öffnete die Wohnzimmertür.
Eine Handtasche fiel zu Boden.
»Was! Machen! Sie! Mit! Meinem! Mann?«
3 – Dinner for one
DER ERSTE JOB IHRER VERBRECHERLAUFBAHN war hervorragend gelaufen. Mit einem Schmunzeln dachte Lisa an die Pizzabotin, die an ihrer Stelle verhaftet worden war. Die Polizei konnte in keinem dunkleren Dunkel tappen. Sie machte sich mit der Verhaftung absolut lächerlich – und die Summe, die Lisa gegen die Beute eingetauscht hatte, war nennenswert. Bei so viel Erfolg musste man weitermachen.
Das Klingeln bei ihrem zweiten Kunden ließ erneut die Dämme brechen, die Lisas dunkle Seite bislang verborgen hatten. Sie begann, es zu lieben, dieses Klingeln an der Haustür eines Unbekannten, in der Erwartung, dass er es hörte, aber nicht öffnen würde – weil er nicht konnte.
Der Garten des neuen Kunden war durch einen hohen Zaun geschützt, was Lisa aber nicht vor größere Probleme stellte. Man mochte es ihr nicht ansehen, auf viele Menschen machte sie eher einen schmächtigen Eindruck, aber dennoch war sie durchaus sportlich. Als sie sich unbeobachtet fühlte, war es eine Angelegenheit von Sekunden, ihren Rucksack über den Zaun zu werfen und das Hindernis zu überwinden. Dahinter fand sie eine schattige Ecke, in der sie sich umzog. In ihrem Catsuit konnte sie sich nicht auf dem Bürgersteig blicken lassen, ohne aufzufallen, aber hier drinnen war er notwendig, damit sie nicht erkannt wurde. Die Ungewissheit, was geschehen würde, zusammen mit der Angst, dass etwas schiefgehen könnte, und dem engen Gefühl des Leders auf ihrer Haut versetzte sie in eine positive, aufgeputschte Stimmung.
Schon bald näherte sie sich der Terrassentür der Villa. Drinnen war alles dunkel, nichts konnte sie erkennen. Egal. Die Tür hatte ein Sicherheitsschloss. Auch egal, sie kramte den Glasschneider aus ihrem Rucksack heraus und setzte ihn vorsichtig an. Den Umgang mit dem Gerät hatte sie lange genug geübt, um schnell und professionell ernst zu machen. Kurz darauf klaffte ein Loch in der Scheibe, und sie stand im Wohnzimmer. Vor ihr war alles dunkel, keine Spur vom Kunden. Wo mochte er stecken? Lisa tastete sich voran, bis sie eine Tür fand. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie vom Wohnzimmer in den Flur trat. Vielleicht war der Kunde noch nicht bereit? Vielleicht lauerte er hinter einer Tür, um ihr einen Stuhl an den Kopf zu schmettern? Wahrscheinlich war das nicht, denn wenn er noch nicht bereit gewesen wäre, hätte er ja auf ihr Klingeln geöffnet. Andererseits – wenn er nun gerade auf der Toilette gesessen hatte, als sie klingelte? Auf Zehenspitzen schlich sie voran. Ihr Herz raste in Erwartung des Unbekannten. Ihre Hände zitterten. War da nicht ein unscheinbares Geräusch im nächsten Zimmer? Ja, da hinten … Es war die Küche. Er schien in der Küche zu stecken. Die Küchenfenster waren verhängt; natürlich wollte er seine Perversionen vor den Nachbarn verbergen. Sie sah einen Schatten auf dem Küchentisch. Auf Zehenspitzen schlich sie hinter ihn. Er schien etwas zu ahnen, wurde unruhig, drehte den Kopf hin und her, um herauszufinden, was vorging.
Sie wartete noch einen Moment, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann hielt sie ihm den Mund zu. Er zuckte vor Schreck zusammen und gab unverständliche Laute von sich:
»Mmmmh! Mmmh!«
Sehr gut: Sie fühlte einen dicken Knebel, der bereits in seinem Mund steckte. Gute Arbeit. Warum auch immer er sich geknebelt hatte, er war dabei gründlich vorgegangen.
»Schhhh!«, machte sie sanft und ließ ihn los. Er gab Ruhe. Was sollte er auch sonst tun?
Lisa leuchtete vorsichtig mit ihrer Taschenlampe und sah gestreckte Arme und einen Kopf, der sich geblendet abwandte. Sie beschloss, dass dies ein guter Zeitpunkt war, sich mit dem neuen Kunden bekannt zu machen, und schaltete als ersten Schritt zur »Zusammen-arbeit« die Küchenlampe ein. Überrascht sah sie, dass es sich bei