für eine Kreditklemme oder einen Liquiditätsengpass, der mit Überbrückungskrediten wie Eurobonds gelöst werden kann. Doch genau das war es eben nicht.
Die Rating-Agenturen standen zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr im Mittelpunkt der Kritik, auch nicht, als sie im Oktober 2011 Griechenland auf CCC- herabstuften. Dies ist die niedrigste Stufe vor der Insolvenz. Inzwischen hatte sich auch in der Öffentlichkeit herumgesprochen, dass keine Hoffnung auf Rückzahlung der Schulden Griechenlands besteht, Rating-Agenturen hin oder her.
Während der Finanzkrise mussten sich die Rating-Agenturen vorwerfen lassen, zu langsam mit Herabstufungen von Verbriefungen amerikanischer Hypotheken gewesen zu sein. In der Griechenlandkrise waren sie dann angeblich zu schnell. Doch die Kritiker haben keine vernünftigen Alternativvorschläge zu bieten. Wann genau hätten die Rating-Agenturen denn Griechenland auf Ramschstatus herabstufen sollen? Erst 2011, als endlich auch die Politik einsah, dass es zum Schuldenschnitt kommen sollte? Der Ruf der Rating-Agenturen ist nicht ruiniert, weil sie schlecht gearbeitet haben, sondern weil oft genug wiederholt wurde, sie würden alles falsch machen und seien zu mächtig.
Der Grund für diese scheinbare Macht der Rating-Agenturen liegt teilweise in der Bedeutung, die ihnen von den Aufsichtsbehörden eingeräumt wird. Banken und Versicherungen dürfen nur in Anlagen guter Bonität investieren. Wird die Bonität durch eine Bank oder Versicherung selbst festgelegt, ist dies für Kunden nicht zu durchschauen. Jedes Institut würde andere Maßstäbe anlegen – und im Zweifel auch die schlechtesten Schuldner bestens einstufen.
Niemand würde beispielsweise einer Lebensversicherung seine Ersparnisse anvertrauen, wenn sie die Risiken ihrer Anlagen selbst einschätzt. Dann bestünde die Gefahr, dass die Versicherungen mit Kundeneinlagen riskante Anlagen tätigen, um eine etwas höhere Rendite zu erzielen. Schließlich sind Renditen ein wichtiges Verkaufsargument von Lebensversicherungen, und Verbraucherzeitschriften nutzen Renditen als Grundlage von Empfehlungen. Kunden könnten nicht abschätzen, ob eine höhere Rendite durch bessere Anlagen und geringere Kosten zustande kam, oder ob sie lediglich das Ergebnis laxer Standards bei der Bonitätsprüfung ist, durch die riskantere Anlagen mit hoher Rendite in der Versicherung landeten. Eine Aufweichung der Vorschriften mag vielleicht im Sinne der Politik sein, ist aber sicherlich nicht im Sinne der Verbraucher.
Auch eine gesetzliche Regelung für Banken und Versicherungen zur Reduzierung des Einflusses der Rating-Agenturen dürfte nur wenig an diesem Einfluss ändern. Fonds und Rentenkassen investieren in Anleihen, wobei sie sich an der durch Ratings ausgedrückten Bonität orientieren. Zur Beurteilung ihrer Leistung ziehen sie dann einen Vergleichsindex zu Rate. Zur Berechnung dieser Indizes gibt es eine Reihe von Anbietern. Ein solcher Vergleichsindex gibt an, welche Rendite sich mit Anlagen einer bestimmten Bonität über einen Zeitraum erzielen ließ. Dieser Vergleich ist ein wichtiger Maßstab in der Beurteilung der Verwalter von Anlagen. Häufig haben diese Vermögensverwalter ein ausdrückliches Mandat, die im Index vertretenen Anlagen so gut wie möglich nachzubilden, manchmal haben sie auch mehr Freiraum.
Eine Aufweichung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen für Versicherungen würde diese Vergleichsindizes nicht betreffen. Sie würden nach wie vor nach Ratings zusammengestellt. Eine allzu harte Gangart gegen die Rating-Agenturen könnte sogar nach hinten losgehen. Ein Verbot von Herabstufungen im Falle staatlicher Finanzprobleme, wie es die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, hätte zur Folge, dass potentiell von einem Verbot betroffene Staatsanleihen von den Indices von vorne herein ausgeschlossen würden, da die Ratings im Ernstfall keine Bedeutung mehr haben. Alle Fonds und Investoren, die den Indices folgen, würden dann diese Staatsanleihen abstoßen. Damit wäre genau das erreicht, was die restriktiven Regelungen verhindern sollen.
Die größten Gefahren durch die Debatte über die Rating-Agenturen kommen nicht von den vorgeschlagenen Maßnahmen selbst, sondern vielmehr durch den vermittelten Eindruck, dass die Politik in Europa durch Zwangsmaßnahmen versucht, die wahren Probleme zu verschleiern. Wer heute wirklich noch glaubt, die Rating-Agenturen hätten Griechenland voreilig herabgestuft, hat die Entwicklung nur partiell wahrgenommen.
Kein Wunder, dass alle Versuche scheitern, Investoren aus Nahost und Fernost für den Rettungsschirm zu gewinnen. Die Debatte über Rating-Agenturen hat gezeigt, dass die europäische Politik bereit ist, ähnlich rabiat gegen unabhängige Prognosen vorzugehen, wie die argentinische Regierung gegen jene private Forschungsinstitute, die unabhängig Inflationsraten berechneten.
21 Veit Medick, Roland Nelles: Gabriel nimmt Rating-Riesen in Schutz. SPD-Chef im Interview. Spiegel Online, 17. 1. 2012.
22 Stand: Januar 2014.
23 Nils Rüdel: Macht Platz für Peer. In: Handelsblatt, Düsseldorf, 18. 2. 2012.
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Gaben Banken Griechenland leichtfertig Kredite?
Nicht nur den Rating-Agenturen wird Schuld am Griechenland-Debakel gegeben, sondern auch Banken. Sie hätten Griechenland nach dem Euro-Beitritt des Landes leichtfertig Kredite gewährt, ohne auf die Risiken zu achten.
Dieses Argument gehört zu den marktkritischen Denkmustern, mit denen Kapitalismuskritiker immer wieder die Kompetenz staatlicher Bürokratie höher schätzen als die der staatlichen Untertanen. Heiner Flassbeck, einst Staatssekretär im Finanzministerium unter Oskar Lafontaine und heute bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung in Genf, glaubt, Rating-Agenturen und Märkte könnten die komplexen Zusammenhänge von Märkten, Staaten und Menschen nicht richtig beurteilen.24
Vielleicht haben die Kritiker damit sogar recht. Vielleicht können es die Menschen in Rating-Agenturen und an den Märkten wirklich nicht. Doch wer kann es besser? Sind die Beamten der Ministerien Supermänner? Oder vielleicht sollte man die Kontrolle gar an unfehlbare Besserwisser wie Flassbeck abtreten?
Es hat sich in der Krise immer wieder gezeigt, dass Regierungen und Politiker ihre eigenen Ziele verfolgen und zu einer besseren Einschätzung als Märkte nicht in der Lage sind. Die Kreditvergabe an Griechenland in den Jahren vor der Krise ist dafür ein gutes Beispiel.
Wenn Regierungen wirklich bessere Fähigkeiten besitzen als Menschen, die in Märkten aktiv sind, hätten sie sicherlich nach dem Eintritt Griechenlands in den Euro überlegtere Entscheidungen treffenkönnen. Nicht zuletzt zum Haushaltsdefizit dieses Landes, das jedes Jahr weit über dem Maastricht-Kriterium von drei Prozent lag.
Doch aus der Politik kamen keine Weisheiten. Stattdessen wurde im Mai 2007 das Defizitverfahren gegen Griechenland eingestellt. Es war im Mai 2004 eingeleitet worden, ein Jahr nach dem Beginn des Verfahrens gegen Deutschland. Die optimistischen, ja schönfärberi-schen Prognosen der Kommission gehen aus der Presseerklärung in Exponat 1 hervor. Von der Bundesregierung kamen jedenfalls keine Proteste. Das lag vielleicht auch an der gleichzeitigen Einstellung des Defizitverfahrens gegen Deutschland.
Exponat 1
[…] Zur Situation in Griechenland stellte [Joaquin Almunia, EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung] Folgendes fest: „Das griechische Defizit wurde im Jahr 2006 auf ein Niveau unter 3 % gesenkt und wird voraussichtlich auch im nächsten und im übernächsten Jahr unterhalb dieser Marke bleiben.” […]
Griechenland
Die Kommission hat heute die Einstellung des Verfahrens gegen Griechenland durch den ECOFIN-Rat empfohlen, da ihrer Auffassung nach das übermäßige Defizit glaubwürdig und nachhaltig korrigiert wurde.
Das gesamtstaatliche Defizit wurde von 5,5 % des BIP im Jahr 2005 auf 2,6 % des BIP im Jahr 2006 zurückgeführt. Die strukturelle Anpassung, also die Verbesserung des konjunkturbereinigten Saldos ohne Anrechnung einmaliger und sonstiger befristeter Maßnahmen, belief sich zwischen 2004 und 2006 auf 41/2 Prozentpunkte des BIP. Nach der Frühjahrsprognose der Kommission dürfte sich das Gesamtdefizit im Jahr 2007 auf 2,4 % des BIP verringern (wobei einmalige Maßnahmen in der Größenordnung von 0,5 % des BIP noch eingerechnet sind) und bei unveränderter Politik im Jahr 2008 geringfügig auf 2,7% des BIP ansteigen, jedoch ohne weiteren Rückgriff auf einmalige Maßnahmen. Dies lässt darauf schließen, dass das Defizit glaubwürdig