runter, ohne weiter auf die Leute zu achten.
„Haderlump’n, dammische! Bist verletzt?“, fragt Knoche mich besorgt und lehnt die Flinte an die Wand.
Ich blicke etwas misstrauisch auf das gewaltige Schießeisen.
„I hob net g’schoss’n“, meint er mit einer tiefen, ganz sympathischen bayerischen Stimme. „Des oide Ding geht doch gar nimmer. Is aus’m Laden.“
„Und der Wahnsinnsknall?“, frage ich ihn.
„A Sylvesterkracher“, antwortet er lachend. „A aus’m Load’n. Hat er doch noch an guaten Zweck erfüllt und die Hosenbrunzer verjagt.“
Was der für Ausdrücke kennt.
„Aber i bin wohl doch z’spät komm’n“, sagt er dann und sieht sich er mich ganz besorgt an. Wahrscheinlich, weil ich über dem Auge eine klaffende Wunde habe, aus der literweise Blut fließt.
„Du blut’s ja“, sagt er, aber ich winke nur locker ab und fange an, meine Sachen zusammenzusuchen.
Alle meine Schulbücher und Hefte sind auf dem Pflaster verstreut. Der Kakao, den ich heute in der Schule nicht getrunken habe, ist ausgelaufen und ins Liederheft gesickert. Na, super, alles braun. Auch der ’Fröhliche Landmann’ ist kaum noch wiederzuerkennen. Alle anderen Seiten kleben zusammen. Vielleicht werde ich jetzt nie wieder einen Blick in dieses Buch werfen können und das Kapitel Dröge-Semmeling ist damit endgültig abgeschlossen. Hat ja dann vielleicht auch seine gute Seite gehabt, mal so richtig gemein überfallen zu werden.
„Wart, i helf dir“, bietet sich Herr Knoche an.
Der liebe Gott scheint wirklich ’n ganz netter Mann zu sein. So etwa Ende fünfzig oder auch schon achtzig. Ich kann Menschen so schlecht schätzen. Jedenfalls ist er älter als mein Papa Dieter. Aber immer noch ziemlich drahtig und irgendwie cool wirkt er. Cooler als mein Papa Dieter auf jeden Fall und der ist erst fünfundvierzig.
„Danke, Herr Knoche“, sage ich, „es geht schon.“
Aber er will mir helfen. Schon kniet er neben mir, stöhnt ein bisschen, hält sich eine Hand in den Rücken und hilft mir, die Bücher und Hefte wieder in meine Tasche zu stopfen.
„Äh, ich bin Till Heisterkamp.“
„Walter Knoche. I hob di scho amol vor’m Load’n g’seh’n.“
Dann drückt er mir fest und verbindlich die Hand und nickt dabei sehr ernsthaft.
„Kimm amol rein, i moch dir do a Pflaster drauf.“
2
Himmiherrgottsakra!
Also betreten wir seinen Laden der tausend Glückseligkeiten und ich staune mit aufgerissenen Augen in alle Richtungen. Der Laden ist ziemlich schlecht beleuchtet und es riecht nach dickem Muff, uraltem Staub und vielleicht sogar auch nach Mäusepippi. Ich weiß es nicht. Mama Sabine behauptet immer, sie könne Mäusepippi riechen. Ich nicht.
Aber egal, für mich riecht es irgendwie alt, nach Abenteuern und echten Geheimnissen.
„Dene’ Oarschg’sichter muaß ma’s doch amol zeig’n“, sagt Knoche mit einem sehr ärgerlichen Gesichtsausdruck und hängt die alte Flinte wieder an die Wand.
„Die mach’n nur Mist. Jetzt is’ amol Schluss damit.“
Ja, denke ich. Für mich ist jetzt auch irgendwie Schluss. Ich bin ruiniert und das mit der Gitarre wird dann wohl leider nichts.
„I such schnell amol des Pflaster“, brummt Knoche und verschwindet hinter einem raschelnden Holzperlenvorhang im hinteren, dunklen Teil des Ladens. Ich drehe mich zum Schaufenster um und sehe sehnsüchtig meine geliebte Gitarre von hinten. Wie sie glänzt. Ein tolles Teil. Schmink’s dir ab, Till! Die Schliepers haben dein Geld. Kannst ja noch mal ein halbes Jahr Zeitungen rumbringen. Oder besser gleich ein ganzes, dann reicht’s vielleicht. Mann, oh Mann, ich bin so sauer und wütend, habe erstaunlich niedere Gefühle und denke an ganz gemeine Rache an der verdammten Schlieper-Gang!
„So, do is des Pflaster.“ Der alte Knoche schwenkt es triumphierend in seiner Hand, nähert sich lächelnd und nickt mir freundlich zu.
„Setz di amol do her“, sagt er und weist auf einen alten Lehnstuhl. Der Stuhl knarzt bedenklich, als ich mich setze, und er wackelt hin und her.
„Müsste amol g’leimt werd’n“, meint Knoche. „Hob wenig Zeit im Moment und kimm net dazu.“
Er hat Recht.
Hier müsste mal so einiges gemacht werden. Die alten Flinten könnten mal wieder glänzen und die Carrerabahn könnte auch mal entrostet werden. Und wer kauft ein rosa Fahrrad ohne Reifen?
Dann tupft Knoche mit einem weißen, halb zerbröselten Papiertaschentuch, das er knurrend aus einer Tasche seines orangenen Overalls zieht, erst mal das Blut ab. Fast steril also. Er peilt die richtige Stelle an und klebt mir dann zielsicher das Pflaster auf die Stirn. Genau dahin, wo der Mauervorsprung seine hässlichen Spuren hinterlassen hat. Er kneift dabei ein Auge zu und nimmt die Zunge zwischen die Zähne. Gefährlich! Gefährlich! Jetzt bloß nicht zubeißen! Ich muss daran denken, wie ich mir mal bei den Bundesjugendspielen beim Weitsprung auf die Zunge gebissen habe. Drei Meter sechzig gesprungen, die Zunge ist zwar drangeblieben, aber ich konnte eine Woche nicht mehr richtig reden.
Die Knoche-Zunge zieht sich urplötzlich wie eine erschrockene Schlange zurück und er spricht damit.
„So!“, sagt er, sehr endgültig und offensichtlich sehr zufrieden mit seiner Behandlung. „Des war’s. Is ja bloß a Schrammerl.“
„Danke, Herr Knoche, sehr nett von Ihnen.“
„A scho guat, ma muaß doch z’sammhalt’n gegen die Saubande.“
„Die haben mein ganzes Geld geklaut“, entrüste ich mich. „Fünfzig Euro!“
„Himmiherrgottsakra!“ Knoche ist richtig außer sich. „Des is ja a Verbrechen! Soll’n mia … zur Polizei geh’n?“, fragt er mich etwas zögernd, so als ob er nicht unbedingt an die Wirksamkeit der örtlichen Polizei glauben würde.
„Ach, das wird nichts bringen, Herr Knoche. Die werden alles abstreiten und hinterher ist alles noch schlimmer als vorher für mich. Muss mir etwas anderes ausdenken.“
„Wahrscheinlich hast Recht“, meint er. „Aber des geht do net. So viel Geld. Wos trägst denn a so viel Geld mit dir rum?“
„Das Geld war ja für Sie, Herr Knoche.“
„Für mi?“
„Naja, dafür“, sage ich und zeige schwer seufzend in Richtung Schaufenster. „Ich wollte diese Gitarre damit anzahlen. Ich will sie unbedingt haben und dachte, Sie würden sicher eine Anzahlung annehmen. Fünfzig Euro, dachte ich, das wäre doch gegangen, oder?“
„Ah, so is’ des.“
Er sieht mich lange und nachdenklich an, verzieht den bayerischen Mund zu einer Art Lächeln, sagt erst mal nichts und geht zum Schaufenster.
Dort reckt er sich beachtlich weit vor, dass ich schon Angst habe, er fällt kopfüber rein, und angelt ziemlich umständlich die Gitarre heraus. Dabei stöhnt er lange, laut und ausgiebig und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand in den Rücken.
„Der Rück’n“, meint er. „Könnt mir was Bess’res vorstell’n, als alt zu wer’n.“
Vielleicht ist er auch schon neunzig. Doch er winkt mit der freien Hand ab, als wolle er etwas wegwerfen und grinst auch schon wieder.
„Ja, die Gitarr’ is guat. Die Beste“, sagt er bewundernd. „Kannst spiel’n?“
„Ein bisschen“, antworte ich ihm wahrheitsgemäß und erzähle ihm von unserer Band. Von Abi und Alex, meinen