als auch über die Oberschicht, nach deren Aussagen man meinen könne, „Berlin spaziere an der Tete der Zivilisation.” 11
Auch die Berliner Restaurants kommen in Fontanes Berichten selten gut weg. So berichtet er im September 1859 in einem Brief an seine Frau Emilie von einem Abendessen in einer Kneipe in der Potsdamer Straße. Einen Hasenbraten von der Größe einer Hirschkeule habe man ihm vorgesetzt, „was in Berliner Restaurationen immer nur dann der Fall ist, wenn es in der Küche heißt: „Fort mit dem Schaden.” 12
Es scheint, als stoße Fontane sich an der Gier seiner Zeitgenossen nach Luxus, wenn er beschreibt, wie man Unter den Linden den Eindruck bekommen könnte, „als ob eine ganze Straße lang nur gegessen und getrunken würde” ,13 auch wenn er sich dem neuen mondänen Lebensstil der Hauptstadt selbst nicht ganz entziehen kann. So schreibt er 1894 seiner Tochter Martha, dass ihm zum 2. Male ein Hummergericht serviert worden sei: „Ich nahm mir einen kleinen Hummerschwanz, weil ich das erste Mal nur eine ganz kleine Schere gekriegt hatte.” 14 Lediglich „die Werderschen” werden mit einer gewissen Milde bedacht - jene Frauen aus dem westlich von Potsdam in der Havel gelegenen Ort Werder, denen Fontane täglich begegnete und die von ihren Kähnen aus Obst und Gemüse an die Städter verkauften. Dabei vermischt sich die sinnliche Erfahrung der angebotenen Früchte mit mehr oder weniger subtilen erotischen Phantasien beim Anblick der Bäuerinnen. „Weithin standen die Himbeer-Tienen [ein für Werder typischer Holzbottich zum Transport von Obst] am Trottoir entlang, nur unterbrochen durch hohe, kiepenartige Körbe, daraus die Besinge [Heidelbeeren], blauschwarz und zum Zeichen ihrer Frische noch mit einem Anflug von Flaum, hervorlugten. In Front aber, und zwar als besondere Prachtstücke, prangten unförmige verspätete Riesenerdbeeren auf Schachtel- und Kistendeckeln” , heißt es im 1887 erschienenen Roman ,Cecile’. 15
Das Cafe Kranzler im Neuen Kranzler-Eck des Architekten Helmut Jahn von 2000, Charlottenburg
Doch abgesehen von diesen romantisierenden Erinnerungen beklagt sich Fontane mit bissigem Spott über die Berliner Semmeln, an deren Qualität sich nur Fremde aus anderen Gegenden erfreuen könnten, über die Seltenheit guten Kaffees, dessen Fehlen seiner Meinung nach der Grund für die Hälfte der unternommenen Sommerreisen sei. Er moniert das Berliner Flaschenbier und den Zustand der Beefsteaks in teuren Restaurants, deren Wirte beleidigt seien, wenn man den Teller nicht leere und in Folge „Selbsttötung als Anstands- pflicht” verlangen würden. Deftige Worte, jedoch nicht ohne Hinweis auf die Ursache der Kritik: „Ich will hier auf die Mängel hinweisen nicht aus kindischer Tadelsucht” , schreibt Fontane, „sondern aus einem patriotischen Gefühl. Ich bin ein guter Berliner, Preuße, Deutscher, und einige halten mich für geeicht in diesem Punkte.”16
Das soupierende Berlin
Fontane ist nicht der einzige Schriftsteller, der den Wandel der städtischen Kultur mit wachsamen Auge und scharfem Kommentar verfolgt. Geschmack in Berlin sei eine Frage des plötzlichen Reichtums und nicht eine von gewachsenen Traditionen, befand auch der Autor L. von Nordegg, der 1907 in seinem Buch ,Die Berliner Gesellschaft‘ ein Bild des sozialen Status quo der Reichshauptstadt skizzierte.
Menükarte von 1905, Heimatmuseum Reinickendorf
Im Schlusskapitel nimmt er unter dem Titel ,Das soupierende Berlin‘ die Ausgehgewohnheiten vor allem der jüngeren Berliner ins Visier. „Wer vor ungefähr zwanzig, ja, noch vor fünfzehn Jahren abends zur Dinerstunde ein Berliner Restaurant im Frackanzug mit weißer Binde betreten hätte, wäre der Gefahr ausgesetzt gewesen, mit den Kellnern verwechselt zu werden” , beschreibt der Autor die gesellschaftlichen Verschiebungen. Früher sei man nach dem Besuch einer Theatervorstellung oder einer Revue nach Hause gefahren und habe sich nach einer kleinen Mahlzeit zu Bett begeben. Gegenwärtig sei es jedoch üblich, bis spät in die Nacht zu soupieren, also in den diversen Restaurants zu speisen. Das Leben in der französischen Hauptstadt wird hier als entscheidendes Vorbild genannt, dabei sei es in Paris eher ungewöhnlich, nach dem Theater ausgiebig zu speisen. Lediglich eine Tasse Schokolade oder ein Brötchen nehme man dort zu sich. „Nicht so in Berlin” , wie der Autor berichtet, „bei uns verlangt man konsistentere Befriedigung. Wenn einer unserer jungen Leute, die sich zur Jeunesse doree‘ rechnen, seiner Angebeteten nach dem Theater als Krönung des Abends eine Tasse Schokolade und ein Brötchen bei Kranzler anbieten wollte, würde er sich ihre Gunst wohl für alle Zeiten verscherzen.” Gegen elf Uhr Abends würden stattdessen ganze Schwärme junger Menschen die Restaurants der Leipziger Straße und Unter den Linden aufsuchen, um dort ausgiebig zu speisen.
Mittelalterlich anmutende Gestaltung von zeitgenössischen Biermarken
Von Nordegg vergleicht das Kaiserreich und Wilhelm II. mit dem zweiten französischen Kaiserreich (1825 bis 1870) unter Napoleon III. Hier wie dort fördere eine sprunghafte Entwicklung die Kombination angestrengtester Arbeit mit regster Sinnesfreudigkeit. Aber wie man in Berlin keine in sich gefestigte, zusammengehörig fühlende Gesellschaft habe, so fehle auch ein Milieu, das gesellschaftliche Leben im öffentlichen Raum zu gestalten. „Die Ansätze und die Prätentionen dazu sind da” , schreibt der Autor, „man versteht es indessen in Berlin längst noch nicht, sich mit Grazie zu amüsieren - und so setzt man vorläufig an die Stelle des Esprit und der Anmut nur das klobige materielle Geniessen.” 17
Brot mit Bratenfett
Mit der durch den Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise hervorgerufenen Notlage gewann der Alltag der Menschen jenseits von Hof und Elite an Schärfe. Berlin litt unter den Folgen der britischen Seeblockade, unter Hunger und Kälte und unter dem Wucher, der die Lebensmittelpreise in unvorstellbare Höhen trieb. Die Stadt wurde ein Zentrum wachsender und zunehmend politisierter Unruhe.18 Schon im Februar 1915 war Brot nur noch über Brotkarten erhältlich, später auch Lebensmittel wie Zucker, Butter, Eier, Fleisch und Kartoffeln. Die Missernte von 1916 führt in Berlin zum so genannten Kohlrübenwinter, so dass die Stadt sich gezwungen sah, öffentliche Volksspeisungen zu organisieren. Aber nicht nur Angebot und Beschaffungsbedingungen verschlechterten sich, auch die Mahlzeitenstruktur war Veränderungen unterworfen. Viele Frauen arbeiteten aufgrund des Arbeitskräftemangels in der Rüstungsindustrie und wurden in den Werkskantinen versorgt - private Mahlzeiten und gewachsene Traditionen traten mit der zentralen Lenkung des öffentlichen Lebens und der zunehmenden Unterversorgung der Bevölkerung vielfach in den Hintergrund. Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte für einen Großteil der Berliner Bevölkerung kaum Veränderung, breite Schichten lebten nach wie vor in Armut, Unterernährung von Schulkindern war keine Seltenheit. Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 kam es erneut zu Engpässen in der Versorgung, zu Hamsterfahrten ins Umland und zu Warteschlangen in den Geschäften und auf den Märkten. 19
Der britisch-amerikanische Schriftsteller Christopher Isherwood beschrieb in seinem autobiografisch gefärbten, reportagehaften Roman ,Goodbye to Berlin‘ 20 ein Jahrzehnt später seine Eindrücke von Alltag einer Arbeiterfamilie in Berlin-Kreuzberg. Ein verarmter Sprachlehrer zieht im Roman vorübergehend bei der Familie Nowak ein, die mit fünf Personen in einer kleinen Dachgeschosswohnung in der Wassertorstraße wohnen. Die Küche der Wohnung ist so klein, dass kaum zwei Personen Platz haben und Isherwood beim Eintreten fast die Pfanne vom Herd stößt, in der Kartoffeln in billiger Margarine braten. Nachdem sein Einzug beschlossen ist, veranstaltet die Familie ein Willkommensessen für den neuen Kostgänger, bestehend aus Lungenhaschee, Schwarzbrot, Malzkaffee und gekochten Kartoffeln. Eine Mahlzeit, die nur möglich ist, weil der neue Mitbewohner seine wöchentliche Miete von zehn Mark bereits im Voraus bezahlt hat.
Die Zusammenstellung