mit einer Hand das Speichenlenkrad fester, holte mit der anderen die Zigarettenpackung aus der Manteltasche, klopfte das Päckchen gegen das Armaturenbrett, zupfte eine filterlose Zigarette mit zusammengepreßten Lippen aus der Papierhülle und steckte den Glimmstengel mit dem elektrischen Anzünder in Brand, der mit einem lauten Klack aus seiner Halterung gesprungen war.
Eddies Insel lag hinter einer Jugendstilfassade verborgen. ›Das Treibhaus‹ war im Schicki-Micki-Bauhausstil eingerichtet und zu jeder Tages- und Nachtzeit gerammelt voll wie bei einem Sommerschlußverkauf.
Der Journalistenstammtisch stand wie ein Fels in der Brandung vor einem bleiverglasten Rundbogenfenster, dessen Scheibe mit bunten Ornamenten reich verziert war. Luigi, der Besitzer dieser Oase, ein kleiner rundlicher Italiener mit einem weit ausladenden Schnauzbart, hatte das Chaos fest im Griff. Jablonski begrüßte ihn mit einem kurzen Kopfnicken, als er sich auf eine Bank hockte, die dicht vor dem Fenster stand, hinter der ein Heizkörper angebracht war, der wohlige Wärme ausstrahlte.
»Wie immer?« fragte Luigi und hielt ein Cognacglas hoch.
»Einen Doppelten«, bestätigte Eddie, stand noch einmal auf, zog den Trenchcoat aus und hielt fröstelnd die Hände über die Rippen der Heizung.
»Schon Feierabend?« grinste Luigi, als er Jablonski den Cognacschwenker brachte.
»Setz dich«, antwortete Eddie, »oder besser, hol dir auch einen auf meine Rechnung«, ergänzte er.
»Was ist, gab’s Ärger?« antwortete Luigi stattdessen, stemmte die kräftigen Arme auf den polierten Holztisch und blickte ihn fragend an.
»Ach Quatsch, laß mich in Ruhe, wenn du keine Zeit hast«, antwortete Jablonski mürrisch, der damit gerechnet hatte, mit Luigi ein paar zu trinken, und den ganzen Ärger damit einfach zu vergessen.
»Du siehst doch, der Laden quillt über, ich hab’ alle Hände voll zu tun und kann dann nicht schon am frühen Nachmittag saufen, das mußt du doch verstehen!« entschuldigte sich der Wirt und streckte hilfesuchend die Arme aus.
»Okay, okay«, nölte Eddie enttäuscht und prostete Luigi zu, »ich dachte zwar, du wärst ein Kumpel … aber was soll’s.«
»Der Cognac geht auf meine Rechnung«, tröstete Luigi und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Eddie nickte kurz und nahm einen kräftigen Schluck. Der Alkohol brannte in seiner Kehle und schon bald breitete sich ein angenehm wohliges Gefühl in seinem Magen aus. Die Tische rings um ihn herum waren mit Mittagsgästen besetzt. Kleine Angestellte wie er, die alle ein wenig ihre Pause überzogen hatten, um noch schnell einen Kaffee zu trinken und dabei von ihrem Urlaub oder dem letzten Kinobesuch zu plaudern. Er merkte ihnen ihr schlechtes Gewissen an ihren unruhigen Blicken an, die sie ab und zu zur Glastüre warfen, als warteten sie darauf, daß ihr Chef sie persönlich abholen und sie an ihren Schreibtisch führen würde.
Jablonski stöhnte bei der Überlegung, wie er das neue Zeitungskonzept umsetzen sollte. Ihm wurde schon schlecht bei dem Gedanken, über die Eröffnung eines neuen Sonnenstudios oder über die Verleihung des goldenen Käsemessers schreiben zu müssen. Er wäre nichts weiter als eine männliche Klatschspaltenhure, die Zeile für Zeile Belanglosigkeiten aneinanderreihen müßte.
Eine Stunde und zwei, drei Cognac später war sein Zorn ein wenig abgeklungen und einem leichten Rausch gewichen, der ihn die Dinge zwar klarer, aber auch von weiter weg betrachten ließen.
Er war immer noch der schlecht bezahlte Lokalredakteur in einer zweitklassigen Tageszeitung, der stramm auf die Vierzig zueilte, ein Reihenhäuschen abbezahlte, dessen Gattin einer Halbtagsbeschäftigung als Lehrerin nachging, mit der er einmal die Woche die Ehe vollzog, dabei vor Jahren einen Sohn zeugte und ansonsten im Halbtran dem Leben ein paar positive Seiten abzutrotzen suchte.
Jablonski merkte, daß ihn der Alkohol spitz wie eine Horde Hochseefischer kurz vor dem Landgang machte. Eddie wußte aber auch sehr gut, daß er mit dieser Cognacfahne nicht bei Uschi landen konnte. Sie hatte feste Regeln. Dazu gehörte der allwöchentliche Beischlaf am Mittwochabend nach ihrem Gymnastikkurs, von dem sie behauptete, daß diese Art von Bewegung ihre Verspannung lockern würde. Jablonski resignierte, sein Schniedelwutz würde sich vermutlich noch zwei Tage gedulden müssen.
Er stand auf, holte tief Luft, kramte ein Pfefferminzbonbon aus seiner Manteltasche, um ein wenig die Alkoholfahne zu vertreiben, ging zum Tresen und ließ sich von Luigi das Telefon geben. Die Tagungsergebnisse der SPD-Ratsfraktion waren wie immer in drei Sätzen zusammenzufassen: ›Wir Genossen stehen fest zusammen.‹, ›Die Arbeitslosigkeit ist ein schlimmes Übel.‹, ›Der Individualverkehr hat Vorrang (schließlich wollen wir es uns nicht mit Opel verderben).
Jablonski hatte nichts anderes erwartet. Er zahlte seine Zeche, atmete noch einmal kräftig durch, bevor er in den Alfa stieg und in gedrosseltem Tempo zur Redaktion zurückfuhr.
Er hatte Glück, weder die toupierte Mittvierzigerin in der Portiersloge musterte ihn, wobei ihr sonst vermutlich seine hochroten Wangen aufgefallen wären, noch lief ihm ein Kollege über den Weg, bevor er seine Klosterzelle erreichte.
Jablonski hackte zwanzig Zeilen über das Ergebnis der Fraktionssitzung in den Textcomputer und speicherte die Pressenotiz ab. In der untersten Schreibtischschublade fand er, wonach er suchte. Eine Flasche Courvoisier im Westentaschenformat. Eddie pfiff leise durch die Zähne. Flachmänner sind die geilste Sache seit Erfindung des Toastbrots, dachte er und steckte das Gesöff in die Innentasche seines Jackets.
Er nahm die Diskette, beschriftete das Etikett und ließ das schwarze Plastikquadrat in eine Hülle gleiten. Dann trat er auf den Mittelgang, der die Klosterzellen der Redakteure miteinander verband.
Drei Arbeitsplätze weiter fand er Kampmann in einem tiefsinnigen Gespräch über kommunale Theaterarbeit verwickelt.
Die Frau, die dem Kulturredakteur gegenübersaß, trug halblange schwarze Haare, mit einem kräftigen Schuß Kupferrot. Ihre strengen Gesichtszüge waren stark geschminkt. Die scharfen Konturen ihres Gesichts wurden von zwei großen goldenen Ohrringen unterstrichen, die sie ein wenig wie eine Zigeunerin aussehen ließen. Das schwarze enganliegende Wollkleid betonte ihre kräftige, kleine Figur. Sie strahlte die geballte Energie eines Panthers aus.
»Tschuldigung, ich störe wohl?« murmelte Jablonski, der die Frau geistesabwesend anstarrte, und wollte sich schon wieder umdrehen, als Kampmann ihn zurückrief:
»Ach was, bleib hier, darf ich vorstellen? Frau Petricelli vom Kulturamt … Jablonski, unser Lokalredakteur«, und wies dabei auf Eddie.
»Angenehm«, murmelte Jablonski und blieb regungslos im Türrahmen stehen.
»Sind Sie der Autor des Artikels über die Bochumer Pennerszene?« fragte die Frau interessiert und musterte ihn mit einem neugierigen Blick.
»Wieso,« antwortete Eddie, »sehe ich so aus?« und hoffte inständig, daß der Flachmann sein Jacket nicht ausbeulte.
»Ja«, lachte der Panther, »zwar nicht wie ein Penner, aber wie einer, der über Penner schreibt!«
Kampmann blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr.
»Zeit, daß ich meinen Artikel in die Setzerei bringe«, sagte er, stemmte sich aus seinem Bürostuhl und kramte seine Unterlagen zusammen. Der Kulturredakteur war ein feinfühliger Mensch, er hatte instinktiv begriffen, daß er momentan überflüssig war.
»Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen ein bißchen was über die Pennerstory«, grinste Eddie, der merkte, daß nicht nur seine Aktien stiegen.
»Ich habe Hunger«, antwortete sie stattdessen, stand ebenfalls auf, stellte sich mit ihren knallroten Pumps vor Jablonski und blinzelte ihn unternehmenslustig an.
»Das trifft sich gut«, reagierte Eddie schnell, »ich kenne da einen netten kleinen Italiener, gar nicht weit von hier, wir könnten zu Fuß hingehen.«
»Okay«, nickte die Frau und griff ihren Mantel, den sie über einen Stuhl gelegt hatte.
»Nimmst du meine Diskette in die Setzerei mit?« bat Eddie den Kulturredakteur und zwinkerte ihm zu.
»Glückspilz«,