gegen die Brasilianer. Da tat Erklärung not: »Wer ein Trio vorne hat wie Ronaldo, Ronaldinho und, äh, äh, äh, und, äh, die andern Brasilianer, Carlo, äh, Roberto Carlos, das ist, äh, das ist, äh, Rivaldo dazu noch, Rivaldo, äh, äh, äh, Rivaldo und, äh, Ronaldinho und Ro-, Ronaldo, also, das dann verloren zu haben, das ist zwar bitter, aber nicht so bitter.«
Edmund Stoiber resignierte also nicht. Das war seine Art nicht. Er war ein Kämpfer, immer voller Einsatzbereitschaft, wo immer er auftrat. Noch im Juli 2002 hatte er im oberpfälzischen Kötzing beim Torwandschießen eine ältere Frau mit einem satten Spannschuß zu Boden gestreckt, auf daß Sanitäter der blutenden Dame zu Hilfe eilen mußten. Schützenfest mal anders!
Pantha rei, alles fließt, die Welt ist in Bewegung. »Die Welt um uns herum ist in Bewegung«, der Ball rollt, wohin er will, und manchmal ist er ein Spielball finsterer Mächte.
»Ich sage hier einen sehr deutlichen Vorwurf«, sagte deshalb der Große Vorsitzende des Verwaltungsrates, nachdem der Schiedsrichter Robert Hoyzer den Deutschen Fußball-Bund im Jahre 2005 beinahe zugrunde gerichtet hatte: »Alle diejenigen, die sich damit, äh, involviert haben, müssen meines Erachtens lebenslänglich aus der Fußballszene verschwinden.«
Und an ihre Stelle wird treten ein Erlöser und erklären: »Ich will jetzt Nationaltrainer werden!«
Mach et, Edmund!
Beckenbauers Berufung
Ab und an fragt man sich schon, wieso die Menschen heutzutage praktisch sämtliche Angelegenheiten des gewöhnlichen Lebens mit Leidenschaft abwickeln müssen. Ohne Leidenschaft geht offenbar nichts mehr. Es gibt, wie ein flüchtiger Blick ins Leitmedium Internet verrät, die »Leidenschaft für Sekt«, die »Leidenschaft für die Freiheit«, die »Leidenschaft für Qualität«, die »Leidenschaft für das Mittelmaß«, die »Leidenschaft für Gott«, die »Leidenschaft für Flammen«, die »Leidenschaft für Architektur«, die »Leidenschaft für Außenpolitik« und weitere achthundertvierundsiebzigtausend Leidenschaften. Nicht zu vergessen, daß die Deutsche Bank laut ihrem Werbeslogan »Leistung mit Leidenschaft« abliefert.
Bloß, was soll man sich eigentlich beispielsweise darunter vorstellen, Sekt mit Leidenschaft, mit Schwung und Elan zu trinken? Reicht es nicht, ihn einfach in sich hineinzuschütten? Muß ein solch banaler Akt Passionen wecken, mit etwaigem Sinn aufgeladen werden, an sportive Dynamik gemahnen?
Menschen, die Dinge leidenschaftlich verrichten, neigen oft zur Verblendung, bisweilen wähnen sie sich sogar erleuchtet. Oder sie attestieren in ihrem autoritären Bedürfnis nach leidenschaftlicher Bindung und Führung medial aufpolierten Witzfiguren, über die Fähigkeiten von sogenannten Lichtgestalten zu verfügen, die jene in die Lage versetzen, die Geschicke des Lebens positiv zu beeinflussen.
Ob sich des Deutschen Lieblingslichtgestalt, Franz Beckenbauer, als Auserwählter fühlt, weiß man nicht. Seine von ihm selbst hartnäckig beförderte Dauerpräsenz im öffentlichen, im medial deformierten Leben allerdings läßt vermuten, daß er an die auratische Größe, die ihm die Medien seit Jahrzehnten nimmermüd’ andichten, tatsächlich glaubt.
Franz Beckenbauer »leuchtet und wacht über den deutschen Fußball«, hat ein wahnsinniger Redakteur des Bayerischen Rundfunks mal psalmodiert, und jetzt hat man auch jenseits der Grenzen des dreifachen Fußballweltmeisters beschlossen, den Verstand endgültig in den Wind zu schießen und den Turbogolfer und Neusalzburger Franz Beckenbauer im Rahmen irgendeiner kreuzüberflüssigen »Golf- und Tennis-Mannschafts-Trophy« am Wolfgangsee zum sage und schreie »Botschafter der Leidenschaft« für die EM 2008 zu ernennen.
»Botschafter der Leidenschaft« – der hatte unserer leidenschaftstrunkenen, depperten Zeit noch gefehlt. Beckenbauer solle »mithelfen«, ist aus dem erlauchterleuchteten Österreich zu hören, »das Bewußtsein für die Fußball-EURO 2008 zu stärken«. Das Bewußtsein für eine EM stärken? Warum? Und wie? »Liebe Freunde des Fußballs, denken Sie jeden Tag ganz bewußt daran, daß nächstes Jahr in Österreich und der Schweiz eine Fußballeuropameisterschaft stattfinden wird« – wird es so oder so ähnlich in Bälde täglich aus des Beckenbauers gebenedeiten Munde strömen, und wir alle werden nicken und in uns gehen und uns sagen: »Ja, er hat recht, nächstes Jahr findet in Österreich und der Schweiz eine Fußball-EM statt, das muß ich mir jeden Tag aufs neue bewußtmachen«?
Der hehre Herr Beckenbauer hat die sagenhafte Ernennung zum »Botschafter der Leidenschaft« mit den Worten angenommen: »Die EURO 2008 ist eine einmalige Chance für Österreich, da braucht es Leidenschaft und Mut.« Äh – Mut? Den Mut, die EURO 2008 in neun Monaten dann auch durchzustehen und zu ertragen, mit einem unablässig auf allen Kanälen passioniert herumfranzelnden Heroenexperten und -botschafter, der einst als Trainer den unantastbaren Satz emittierte: »Das, was ich sage, ist richtig«?
Nicht eines Funken Mutes jedenfalls bedarf es, um schon heute leidenschaftslos zu konstatieren: Der Botschafter der Leidenschaft Franz Beckenbauer ist ein Botschafter, der Leiden schafft.
Kein Davonkommen mehr
Wie bitte? Eine Akademie für – Fußballkultur?
Eine Bekannte aus Frankreich staunt nicht schlecht, als sie von der Existenz der im Oktober 2004 in Nürnberg gegründeten Deutschen Akademie für Fußball-Kultur hört. Bei ihr zu Hause in Frankreich, sagt sie, unterhalte man Akademien für alles mögliche, was im engeren Sinne mit Kultur in Verbindung zu bringen sei, aber eine Akademie für – Fußballkultur? In Frankreich undenkbar, sagt sie.
In Deutschland indes, und daran ist die WM im vergangenen Jahr nicht schuldlos, besteht offensichtlich ein unvermindert wachsendes Bedürfnis, die Leitsportart Fußball durch allerlei kulturbetriebliche Aktivitäten medial zu veredeln. An die Spitze dieses nicht abreißenden Trends gesetzt hat sich, indem sie ihn zugleich quasi institutionalisiert, die von der Stadt Nürnberg in Kooperation mit dem Hochkulturblatt kicker und einer Bank getragene Akademie. Ihr Ziel ist, wie es heißt, als »neues Kompetenzzentrum« »eine zentrale Anspielstation auf dem Feld der Fußball-Kultur im ganzen Land« zu werden.
Der Begriff der Fußballkultur allerdings dünkt einem zumindest zweifelhaft, zwingt er doch zwei Dinge zusammen, die im landläufigen Verständnis wenig miteinander zu tun haben – Fußball und Kultur. Aber Akademiemitglied Stefan Erhardt, Redakteur des 1995 aus der Taufe gehobenen Fußballmagazins Der tödliche Paß, das in Kürze zum fünfzigsten Mal erscheint und sich seit der ersten Ausgabe kontinuierlich mit kulturellen Konnotationen des Fußballs beschäftigt, entkräftet solche Bedenken:
»Na, ich denke, die Begriffe ›Fußball‹ und ›Kultur‹ können schon zusammenkommen, wenn man das will und wenn man jetzt nicht künstlich versucht, da Beziehungen herzustellen, die per se dem Fußball nicht inhärent sind. Daß Fußball in Kulturen verankert ist, ist ja schon mal entwicklungsgeschichtlich etwas, was die letzten gut zweihundert Jahre auch zurückverfolgt werden kann. Was den Fußball auch mit der Kultur verbindet, jetzt im allgemeinsten Sinne, ist natürlich seine Organisation – Ligabetriebe, Wirtschaftsunternehmen, Spielerverträge, das ist so das, was die wirtschaftskulturelle Seite ausmacht –, und auf der anderen Seite aber ist es ein Bestandteil, ja, ich möcht’ schon fast sagen: der Folklore, jetzt im guten Sinne, also etwas, was das gemeine Volk zwangsläufig immer berührt, weil’s eine Sportart ist, die sich weltweit so verbreitet hat, daß eigentlich niemand mehr, sagen wir mal mit Ausnahme der USA, davonkommen kann.«
Es gibt kein Entrinnen mehr vor dem Fußball, vor dem, wie in der Selbstdarstellung der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur betont wird, »populärsten Kult unserer Zeit«. Dem Kult – einer ritualisierten, blind beglaubigten Handlungsausprägung von Kultur – zu huldigen, ist jedoch keineswegs das Ansinnen der Akademie, in deren Beirat hochwürdige Körperschaften wie das Goethe-Institut, das Adolf-Grimme-Institut und der Bayerische Rundfunk vertreten sind. Man wolle die Manifestationen der Fußballkultur »in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension« betrachten, unterstrich Akademie-Projektleiter Günter Joschko kürzlich auf dem Akademietreffen »Perspektiven 2008«, das im Anschluß an die Gala zur Verleihung des Deutschen Fußball-Kulturpreises stattfand, und Stefan Erhardt präzisiert, auf welchen