Reiner Hänsch

Rotzverdammi!


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Test hineingeraten.

      „Da hätt’ste mir bald die Hühna plattchefahren, du dusseligen Stadtfuzzi.“

      Der Hund bellt jetzt wieder in sicherem Abstand.

      „Halt die Skhnauze, Sskhutzmann!“, knurrt ihn der Alte an und der braune Hund stellt augenblicklich sein Gebell ein, legt sich schwer beleidigt mitten auf die Straße, mit dem Kopf zwischen seinen riesigen Vorderpranken, und schielt hinter schweren Augenlidern zum Agro-Mann hoch. Vielleicht hat der Grüne heute einen besonders schlechten Tag. Ich weiß es nicht. Der Hund weiß das sicher besser.

      Der Grüne drängt jetzt seinen schwartigen, kleinen Schädel ins Innere meines Autos und lehnt sich breit in die Fensteröffnung. Das runzelige Männchen hat so was Dunkles, Braunes, noch nicht ganz Festes am grünen Jackenarm, das mich und meinen schönen Wagen ernsthaft bedroht. Ich weiche reflexartig zurück, weil die Masse auch nicht ganz geruchsfrei scheint, um es vorsichtig auszudrücken. Ach, warum eigentlich so vorsichtig? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es stinkende Landtierscheiße ist. Kuh. Schwein. Huhn. Hund. Außerdem verbreitet sie sich unaufhaltsam über die gesamte Fensteröffnung.

      Langsam, vorsichtig und unter Abwägung aller Möglichkeiten zur friedlichen Deeskalierung des Konflikts drehe ich meinen Kopf jetzt mutig und entschlossen so in etwa in die Richtung des faltigen Gesichts und versuche, mich auf seine Kommunikationsebene einzustellen.

      „Wat willze, Oppa?“

      „De Hühna!“, durchzuckt es ihn da noch mal und er zeigt mit dem Dreizack aufgeregt in Richtung Straße, wo die gefiederte Prozession jetzt in totaler Auflösung zu sein scheint, ohne allerdings die Straße endlich frei zu geben.

      Das braune Ungetüm bellt wieder und will aufstehen.

      „Halt de Sskhnauze, Sskhutzmann! Platz!“

      Wie heißt der Hund? Schutzmann?

      Meine Güte! Und die ganze Aufregung wegen ein paar Hühnern! Phh. Wusste gar nicht, dass es so was überhaupt noch gibt. Solche Tiere hab ich doch bestimmt schon seit zwanzig Jahren nicht mehr in echt gesehen.

      Hühner. Eier. Huhn süß-sauer mit Reis, Nummer 37. Na klar, der ganze große Zusammenhang ist auch mir plötzlich wieder präsent. Ich hatte es wohl bloß vergessen. Aber da laufen sie einfach so auf der Straße rum. Wilde Hühner! Ja, wo bin ich denn hier?

      „Du biss donnich’ au’m Nürburchring, du Heiopei.“ Die kleine Pause hat dem Mann neue Kraft gegeben. „Du kanns' doch hier nich mit deine alte Karre mit Bleifuß durchbrettern und mir de Hennen umsensen. Bisse eingeknackt oder bisse einfach nur bekloppt?“

      Mit „alte Karre“ meint er meinen wunderbaren, silbergrau lackierten und frisch polierten, historischen Porsche, dessen Schönheit momentan leider durch etwas Hühnerkacke am Fenster leidet. Ich hole tief Luft und versuche, mich zu sammeln, verliere dabei aber die dunkle, braune Gefahr an seinem Ärmel niemals aus den Augen. Aber ich komme nicht zu Wort.

      „Solche Blindchänger wie dich habbich ja chefressen, woll ... und dann kommsse au noch aus’m feinen Düsseldorf wech, Gunge? Dat die alte Kiste sonne Tour überhaup’ noch mitmacht!“, knurrt er jetzt noch ärgerlicher und er wird immer lauter, weil er vielleicht meint, ich verstehe ihn nicht, weil ich ja auch noch nicht viel gesagt habe. Vielleicht denkt er aber auch, dass man in Düsseldorf eine ganz andere Sprache spricht. Und so ganz unrecht hat er damit ja nicht. Ja, ich komme aus Düsseldorf. Steht ja auf dem Nummernschild.

      Schutzmann bellt wieder tief und donnernd, dass einem angst und bange werden kann.

      Also gut, dann vielleicht etwas höflicher. Ich versuche es.

      „Jetzt halten Sie aber mal die Luft an, Herr Landwirt! Ich muss jetzt weiter!“

      „Getz werd ma nich frech hier, du Güngelsken! Sach mir ersma, woosse hinwillz mit deine rasende Blechkiste, Düsseldorfer!“, sagt er jetzt ganz listig.

      Da will der mich einfach hier festhalten!

      „Na?“ Jetzt wird der kleine Zappelphilipp langsam ungeduldig. „Wat is? Kommt wat?“

      Ich räuspere mich kurz, überwinde mich noch ein wenig und entschließe mich zu einer Antwort. Ein Wort soll alles klären.

      „Schwattmecke“, sage ich also zu ihm.

      Und das ist wahrscheinlich das Letzte, was er von mir erwartet hat. Er reißt die Äugelchen auf und sieht mich an, als hätte ich ihn zutiefst beleidigt. Dabei ist Schwattmecke ja überhaupt keine Beleidigung, wie man vielleicht annehmen könnte, weil es sich wie eine anhört. Du blöden Schwattmecke, du, hau bloß ab! Verpiss dich! Du stinkst nach Hühnerkacke! Nein, nein. Schwattmecke ist ein winziger, vergessener Ort in dieser unheimlichen Zwischenwelt, in der ich offensichtlich gelandet bin. Und genau da muss ich hin, nach Schwattmecke, meine Mutter begraben, die 75 Jahre hier gelebt hat. Hier, mitten im Sauerland.

      Ich bin also angekommen.

      Und es wird höchste Zeit! Ich muss jetzt wirklich weiter. Wenigstens zur Beerdigung der eigenen Mutter will ich mal pünktlich da sein. Besser gesagt, überhaupt mal da sein.

      „Wat willze da?“, schnauzt der Kerl mich an.

      Schutzmann hält den Kopf schief. Ein paar lange Sabberfäden hängen ihm vom Maul und tropfen zäh auf den brüchigen Asphalt.

      Ja, das geht ihn ja nun eigentlich gar nichts an.

      „Geht Sie doch gar nichts an!“, versuche ich wieder etwas unhöflicher zurückzuschnauzen, was mir aber nicht so recht gelingt. Ich bin eigentlich nur sehr ungern unhöflich und irgendwie finde ich den Typen ja schon wieder lustig, wenn er mir nur nicht so viel Zeit stehlen würde.

      Ich drehe also schon mal leicht an der Kurbel für das Fenster, damit ihm die Scheibe von unten in den Arm schneidet, aber es nützt nichts. Das Braune verteilt sich dadurch jetzt auch auf der oberen Kante der Scheibe und rutscht schmierig und böse zwischen die Dichtungsgummis. Ich hoffe, es ätzt sich nicht wie der schlimme Alienausfluss durch die gesamte Tür bis auf die Straße.

      „Schwattmecke. Da is’ heute ’ne Beäärdigung, woll!“, sagt er dann mit einer plötzlichen Traurigkeit in der Stimme, die ich gar nicht erwartet hätte. „Hilde Flottmann is’ nämmich tot.“

      Ja. Das ist sie. Meine Mutter. Hildegard Flottmann.

      „Hilde Flottmann ist meine Mutter!“

      So. Und hoffentlich hält er jetzt endlich seine Klappe und lässt mich ziehen.

      Aber er starrt mich nur an und ich sehe, wie es in ihm rattert. Da kommt ganz langsam eine Präzisionsmaschine auf Touren, die schon lange nicht mehr so plötzlich beansprucht wurde und wahrscheinlich auch dringend mal geölt werden müsste.

      „Abba der Bernd bisse ja nich’…“, hat die Maschine nach einer Weile errechnet.

      „??“

      „NICH – DER – BERND!“

      „Nä, binnich nich’.“

      Bernd ist mein Bruder.

      „Heinz-Nobbät???“

      Dieses sperrige Wort hat er anscheinend ganz tief unten aus seiner staubigen Erinnerungskiste gekramt. Der Kistendeckel hat ganz laut gequietscht.

      Es fällt mir zwar schwer, das zuzugeben, aber er hat leider recht. Ja, ja, ich bin „Heinz-Nobbät“ und nicke nur bedeutungsschwer mit geschlossenen Augen, in mein Schicksal ergeben. Ich bin erkannt.

      Heinz-Norbert. So was haben mir meine Eltern doch tatsächlich mal verpasst – ungefragt natürlich. Heinz und Norbert. Das waren meine beiden Großväter, die ich leider nie kennengelernt habe. Vereint in einem grausamen Namen, vergeben an einen armen, kleinen, unschuldigen Kindermenschen, der nun wirklich nichts dafür kann. Mit so was und einem Klapps auf den Hintern wird man dann ins böse Leben rausgeschickt. Sieh ma zu, wiesse klar komms, Heinz-Nobbät! Hähähä … Und da reiben sie sich heute noch gehässig die Hände.

      Ach, jetzt