PRIMÄR- UND SEKUNDÄREMOTIONEN
Forscher erkennen für gewöhnlich zwei unterschiedliche Formen von Emotionen, die Primär- und die Sekundäremotionen. Primäremotionen werden als angeborene Grundemotionen bezeichnet. Dazu gehören generalisierte schnelle, reflexähnliche („automatische“ oder auch fest verdrahtete) Emotionen wie Angst und Angriffs- oder Flucht-Reaktionen auf Stimuli, die eine Gefahr darstellen. Sie erfordern kein bewusstes Nachdenken und beinhalten Darwins sechs universelle Emotionen: Angst, Ärger, Ekel, Überraschung, Traurigkeit und Glück. Tiere können eine primäre Angstreaktion zeigen, zum Beispiel das Meiden des reaktionsauslösenden Objekts, und dies nahezu unbewusst, noch bevor sie überhaupt erkannt haben, dass dieses Objekt die Reaktion hervorruft. Laute Geräusche, bestimmte Gerüche, über den Kopf hinwegfliegende Objekte: Diese und andere ähnliche Stimuli sind oftmals angeborene Signale für „Gefahr“, die eine automatische Meidereaktion hervorrufen. Bei der Konfrontation mit einem gefährlichen Stimulus gibt es nur wenig oder gar keinen Raum für Fehlreaktionen. Deshalb hat die natürliche Selektion zu angeborenen Reaktionen geführt, die für das Überleben eines Individuums entscheidend sind.
Primäremotionen sind evolutionär gesehen mit dem alten limbischen System (besonders der Amygdala, dem Mandelkern) verbunden. Dies ist der „emotionale“ Teil des Gehirns (so benannt durch Paul McLean im Jahr 1952). Die physischen Strukturen des limbischen Systems und ähnlicher emotionaler Bereiche existieren bei vielen verschiedenen Arten und liefern ein Nervensubstrat für Primäremotionen. In seiner Theorie vom „dreieinigen Gehirn“ (Triune brain) identifiziert McLean das Reptilien- oder primitive Gehirn (wie bei Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren), das limbische oder Zwischenhirn (paleomammalian) bei allen Säugetieren und das neokortikale oder „rationale“ Großhirn (neomammalian) bei wenigen Säugetieren, darunter Primaten und Menschen – alle in einen Schädel gepackt. Jedes ist mit den anderen beiden verbunden, hat jedoch seine eigenen Funktionen. Während das limbische System der Hauptbereich des Gehirns zu sein scheint, in dem viele Emotionen wohnen, lässt die derzeitige Forschung darauf schließen, dass nicht notwendigerweise alle Emotionen in einem einzigen System bestehen und möglicherweise mehr als ein System innerhalb des Gehirns für Emotionen zuständig ist.
Sekundäremotionen sind komplexere Emotionen. Diese beziehen höhere Hirnzentren im cerebralen Kortex (Hirnrinde) mit ein. Es kann sich dabei um Kernemotionen wie Angst und Ärger handeln, sie können aber auch nuancierter sein wie Reue, Verlangen oder Eifersucht. Sekundäre Emotionen sind nicht automatisch. Sie entstehen im Gehirn und das Individuum denkt über sie nach und entscheidet, wie es mit ihnen umgehen soll – welche Handlung ist die beste in einer bestimmten Situation. Bewusstes Überlegen und sekundäre Emotionen können beeinflussen, wie wir auf Situationen reagieren, die Primäremotionen hervorrufen. Wir mögen uns ducken, wenn ein Objekt ungesehen über uns hinwegfliegt, doch sobald wir feststellen, dass es sich lediglich um einen Schatten handelt, werden wir uns das Wegrennen verkneifen und eine leichte Verlegenheit verspüren. Wir werden uns rasch wieder aufrichten und so tun, als sei nichts gewesen.
Das Nachdenken über die Emotion verleiht Flexibilität in der Reaktion auf sich verändernde Situationen, nachdem die Entscheidung getroffen ist, welche der verschiedenen möglichen Reaktionen auf eine spezielle Situation angebracht ist. Manchmal, wenn man belästigt wird, mag es angebracht sein, der Person aus dem Weg zu gehen, doch manchmal mag gerade das eine noch schlimmere Situation heraufbeschwören – abhängig davon, um wen es sich bei dieser Person handelt und welche Konsequenzen man befürchtet. Auch wenn die meisten emotionalen Reaktionen unbewusst entstehen – sie entstehen, ohne dass darüber nachgedacht wird –, versuchen wir zu lernen, zu denken bevor wir handeln. Das Nachdenken erlaubt uns, Verbindungen zwischen Gefühlen und Handlungen herzustellen. Dies wiederum ermöglicht es uns, in unserem Verhalten variabel und flexibel zu sein, so dass wir, abhängig von der sozialen Situation, immer das Richtige tun. So gesehen ist der Nachweis von Emotionen bei Lebewesen auch ein wichtiger Schritt, Empfindungsfähigkeit und Ich-Bewusstsein zu bestimmen.
HUNDE SIND GLÜCKLICH, NICHT „GLÜCKLICH“
Der Grund, weshalb ein Hund so viele Freunde hat, ist der, dass er mit dem Schwanz wedelt statt mit der Zunge.
– Verfasser unbekannt –
Wir hatten es alle gesehen. Maddy und Mickey, zwei Hunde von Freunden, haben regelmäßige Spielstunden bei mir zu Hause, wenn ihre menschlichen Gefährten unterwegs sind. Bei der Ankunft springen sie wild im Spiel umher, hecheln und bellen, und ihre wedelnden Ruten scheinen sie vorwärts zu treiben. Sie versuchen, mit jedem Anwesenden zu spielen, wirbeln im Kreis herum im Versuch, ihre eigenen Ruten zu fangen, sie „laufen amok“ und rennen dabei alles und jeden in ihrem Weg über den Haufen. Sie stoppen lediglich einmal, um den anderen damit zu foppen, nur um sogleich wieder weiterzuspielen. Es ist überhaupt keine Frage: Diese Hunde haben Spaß!
Für die meisten Menschen reicht eine halbe Stunde zusammen mit einem Hund als Beweis dafür, dass Tiere Emotionen haben, völlig aus, da Hunde ihre Gefühle nicht verstecken. Der Ethologe und Nobelpreisträger Konrad Lorenz lieferte uns ein sehr einfaches und weit verbreitetes Beispiel, als er bemerkte, wie offensichtlich emotional Hunde sind, wenn sie erwarten, gleich Gassi gehen zu dürfen. Lorenz schrieb in So kam der Mensch auf den Hund: „Der Hundebesitzer sagt ohne besondere Betonung und ohne den Namen des Hundes zu nennen, ‚Ich weiß nicht, ob ich ihn mitnehmen soll oder nicht.’ Sofort steht der Hund auf der Matte, wedelt mit der Rute und tanzt vor Aufregung herum… Sollte sein Herrchen sagen ‚Ich glaube, ich gehe doch nicht mit ihm’, werden die erwartungsvoll aufgestellten Ohren traurig herabsinken… Und bei der endgültigen Ankündigung: ‚Ich werde ihn zu Hause lassen’, wendet sich der Hund niedergeschlagen ab und legt sich wieder hin.“ [5]
Glücklicherweise ist nun im Wesentlichen Schluss mit der wegwerfenden, skeptischen Behauptung, Tiere würden nur so handeln, „als ob“ sie Freude, Trauer, Ärger oder Schmerz fühlen würden. Ich kenne keinen praktizierenden Forscher, der seinen tierischen Gefährten zu Hause oder auf Cocktailpartys keine Gefühle zuschreibt – der nicht reichlich vermenschlicht – unabhängig davon, was er bei seiner Arbeit tut. (Dieses Vermenschlichen ist, nebenbei gesagt, nichts, wofür man sich schämen müsste; wie Alexandra Horowitz und ich argumentieren und wie ich im Kapitel 5 zeige, tun diese Wissenschaftler damit lediglich etwas ganz Natürliches [6]. Das Anthropomorphisieren ist eine Wahrnehmungsstrategie, die sich entwickelt hat; die natürliche Selektion hat uns in einer Weise geformt, dass wir Tiere so sehen.) In der Tat haben verhaltens- und neurobiologische Studien durchweg gezeigt, dass Tiere die Primäremotionen mit uns teilen, diese instinktiven Reaktionen auf die Welt, die wir Angst, Ärger, Überraschung, Traurigkeit, Ekel und Freude nennen. Heute wird dieser Umstand im Großen und Ganzen als Tatsache akzeptiert.
Wissenschaftler sind sich heute über die allgemeine Verbreitung primärer Emotionen einig, basierend auf Studien, die belegen, dass Menschen und Tiere ähnliche chemische und neurobiologische Systeme aufweisen. Zum Beispiel werden Tiere häufig dazu benutzt, um Medikamente für Menschen mit psychischen Störungen zu entwickeln und zu testen [7]. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass Mäuse gute Beispiele in Sachen Traurigkeit und Introvertiertheit sein können. Wenn Mäuse schikaniert oder dauerhaft von anderen Mäusen dominiert werden, ziehen sie sich in sich zurück. Diese depressiven Mäuse sprechen auf Medikamente für Menschen, wie zum Beispiel Prozac, an. In einem anderen Beispiel können suizidal veranlagte Ratten – oder Ratten mit Toxoplasmose, die eine suizidale Hinwendung zu Katzen entwickelt haben – erfolgreich mit Psychopharmaka behandelt werden. Nach der Gabe von Haloperidol, das bei Schizophrenie eingesetzt wird, verringert sich ihre Zuneigung zu Katzen drastisch. Der Veterinärmediziner Nicholas Dodman schlägt vor, ähnliche Medikamente in Verbindung mit Verhaltenstraining bei problematischen Hunden und Katzen zum Einsatz zu bringen. Wenn Tiere wie Menschen auf diese Medikamente reagieren, dann ist es äußerst wahrscheinlich, dass eine ähnliche neurale Basis existiert und ihre Gefühle daher wahrscheinlich ebenfalls sehr ähnlich sind.
Zahlreiche Berichte und auch wissenschaftliche Daten weisen darauf hin, dass Tiere zudem über