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Tony Rinaudo - Der Waldmacher


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auf ihren Feldern ein Ende setzen und zu einer integrierten Landwirtschaft zurückkehren. Dass dieser Paradigmenwechsel ohne großen Aufwand möglich ist, ist das Faszinierendste an Rinaudos Entdeckung: Um die verödeten Landschaften wieder zum Blühen zu bringen, sind weder große Mengen an Geld noch übergebührliche Anstrengungen nötig.

      Mit Tony Rinaudo unterwegs gewesen zu sein gehört zu den eindrücklichsten Erfahrungen meiner Reisen auf dem Kontinent: Selten habe ich einen hellhäutigen Menschen erlebt, der mit der afrikanischen Bevölkerung dermaßen »in tune« ist. Dem Agronom ist Besserwisserei ebenso fremd wie Zynismus – oder die Ursünde des weißen Helferheeres, der Paternalismus. Tony leidet mit einem Kleinfarmer, wenn dessen Ziege stirbt, und freut sich mit ihm, wenn sein Sahel-Apfelbaum die ersten Früchte trägt. Und das alles auf Hausa, der Verkehrssprache Westafrikas, die der Australier nach dem wohlwollenden Urteil seiner Gegenüber wie »ein Esel aus Kano« spricht.

      Rinaudo und seine Methode der Farmer Managed Natural Regeneration (FMNR) stehen im Zentrum dieses Buches. In der einführenden Reportage berichte ich von Reisen mit dem »Waldmacher« nach Äthiopien, Somaliland und in den Niger, wo Rinaudo vor fast 35 Jahren den »unterirdischen Wald« entdeckte. Er selbst erzählt dann, wie er die FMNR-Methode entwickelt und den Farmern ihre Vorzüge aufgezeigt hat. Der Agronom Dennis Garrity erläutert in seinem Beitrag die wissenschaftlichen Fakten zu FMNR. Und Günter Nooke, Afrikabeauftragter der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, trägt schließlich im Gespräch eine politische Einschätzung der Arbeit des Waldmachers bei.

      Nach Auffassung der in Bogotá versammelten Wissenschaftler gibt es im Zusammenhang mit der rasenden Verödung eigentlich nur eine Hoffnung: Dass die einheimischen Farmer für ein »nachhaltiges Landmanagement« gewonnen werden. Mit FMNR will Tony Rinaudo die geeignete Methode dafür gefunden haben – gerade noch rechtzeitig, um die Zerstörung unserer Lebensgrundlage aufhalten oder sogar rückgängig machen zu können. Während der einstige Missionar seine Entdeckung selbst als religiöse Offenbarung erlebt hat, kommt einem Agnostiker das Diktum des deutschen Romantikers Friedrich Hölderlin in den Sinn: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

       »Ist das nicht Tony?«

      Johannes Dieterich

      Hier könnte man ohne Weiteres »Heidi« filmen. Der Wildbach plätschert lustig vor sich hin. Glücklich mampfen die Kühe das saftige Gras. Das Kinn auf seinen Stock gestützt blickt ein Hirtenjunge verträumt ins Tal. Nur die dunkle Haut des Knaben lässt ahnen, dass hier nicht Heidis Heimat ist. Und zwei nahe gelegene, mit Gras bedeckte Hütten verraten vollends, dass sich diese Postkartenidylle auf einem anderen Kontinent abspielt, weit weg von der Schweiz. Wir befinden uns in Afrika, genauer gesagt: in den Bergen nahe der südäthiopischen Stadt Sodo.

      »Wenn Sie vor zehn Jahren hier gewesen wären, würden Sie noch viel mehr staunen«, sagt Tony Rinaudo. Der australische Agrarexperte scheint vor Glück gleich zu platzen: Als der Melbourner im Jahr 2006 zum ersten Mal nach Sodo kam, sahen die Berge noch wie nach einer Naturkatastrophe aus. Statt von Bäumen und Gras war die Landschaft damals höchstens von stacheligen Büschen und Kriechpflanzen bedeckt, die Erosion hatte tiefe Furchen in die Abhänge gerissen, bei starkem Regen stürzten regelmäßig Schlammlawinen ins Tal. Sie rissen zuweilen sogar einige der afrikanischen Rundhütten mit sich: Einmal wurde eine fünfköpfige Familie unter den Erdmassen begraben.

      In jener Zeit waren die Menschen in der Region Sodo noch auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen – wie im 50 Kilometer weiter südwestlich gelegenen Dörfchen Humbo, dessen Hausberg dem nackten Buckel eines Nilpferds glich. Tony Rinaudo war damals von der Hilfsorganisation World Vision nach Humbo geschickt worden, um eine der letzten noch fließenden Quellen einzufassen. Der Agrarexperte sah allerdings schnell, dass die dortige Bevölkerung ein wesentlich größeres Problem als die nicht eingefasste Quelle hatte: Mit dem ständigen Abholzen der Bäume und dem Übergrasen der Weiden hatte sie ihre eigene Lebensgrundlage zerstört.

      »Wir haben oft darüber geredet, ob wir wegziehen sollten«, erinnert sich Anato Katmar, dessen drei Hektar große Farm am Fuß des ehemaligen Nilpferdbuckels liegt: »Aber wohin?« Damals lebte er mit seiner Frau und den fünf Kindern noch in eine kleine Hütte gezwängt, die Mais- und Sorghum-Ernte fiel Jahr für Jahr miserabler aus, von dem kahlen Hügel kullerten ab und zu Felsbrocken in seine Felder und zermalmten die Pflanzen. Von der Höhe herab war als einziger Laut der noch übrig gebliebenen Tierwelt das höhnische Bellen der Paviane zu hören: Die Affen fraßen jedes bisschen Grün weg, das sich auf dem nackten Hügel zeigte. Viele Abende im Jahr gingen die Katmars hungrig ins Bett.

      Äthiopien gilt als das Hungerland des Kontinents schlechthin. Aus dem inzwischen über 100 Millionen Einwohner zählenden Staat am Horn von Afrika wurden einst die schlimmsten Dürrekatastrophen der Erde gemeldet. Bis Bob Geldof mit seiner »Band Aid« 1984 das Gewissen der Weltöffentlichkeit wachgerüttelt hatte, mussten eine halbe Million Äthiopier sterben. Noch heute hat das Land – wie die meisten der 55 Staaten des Kontinents – Schwierigkeiten, seine Bevölkerung zu ernähren: Während die Zahl der Hungernden in den vergangenen 25 Jahren weltweit zurückging, ist sie in Afrika weiter gestiegen. Und zwar von 181,7 Millionen Menschen im Jahr 1990 auf 232,5 Millionen im Jahr 2017.

      Für die chronische Krise werden neben politischen und klimatischen Ursachen auch ökologische Einschnitte verantwortlich gemacht: allen voran die Verschlechterung der Böden und das Verschwinden der Bäume. Äthiopien, das einst zu weiten Teilen mit Wald bedeckt war, hat in den vergangenen 50 Jahren fast 90% seiner stämmigen Pflanzen verloren. Doch wenn sich Experten über eines einig sind, dann ist es die Bedeutung der Bäume für die Qualität der Böden: Sie halten die Erde fruchtbar und feucht, sorgen mit ihrem Schatten für wesentlich geringere Bodentemperaturen und brechen den Wind, der ansonsten die in der Trockenzeit zu Staub zerbröselte Erde fortträgt.

      Am schlimmsten hat die ökologische Verheerung die Sahelzone heimgesucht. Dort breitete sich die Wüste bis vor zwanzig Jahren immer weiter in Richtung Süden aus, die Bäume verschwanden. Fast alle Versuche, der zunehmenden Verödung in den trockenen Landstrichen mit dem Pflanzen neuer Bäume Herr zu werden, schlugen fehl: Die meisten der teuren Setzlinge erlebten nicht einmal ihren ersten Geburtstag. »Millionen von US-Dollar wurden verschwendet«, sagt Tony Rinaudo, der einst für Wiederaufforstungsprogramme in der Sahelzone zuständig war: »Wenn ein Bruchteil unserer Setzlinge überlebte, konnten wir froh sein.«

      Das soll nun allerdings Vergangenheit sein, sagt der ansonsten ausgesprochen bescheiden auftretende Australier. Der Agronom aus Melbourne will eine wesentlich erfolgreichere Methode der Wiederbewaldung und Wiederbelebung der Böden gefunden haben – und zwar zum Nulltarif. Rinaudo hat sich nichts Geringeres vorgenommen, als dem Hunger in Afrika den Garaus zu machen: Seine Entdeckung könnte für den Kontinent bedeutender als Milliarden von US-Dollar an Entwicklungshilfe werden.

       »Hol mich hier raus«

      Als der Australier 1999 erstmals nach Humbo kam, wurde er nicht wie der Messias begrüßt. Die Dorfbewohner standen dem fremden Agrarexperten wenn nicht gar feindselig, so doch zumindest skeptisch gegenüber. Sie argwöhnten, dass das Bleichgesicht im Auftrag ausländischer Agrarkonzerne unterwegs sei. Seine Vorschläge, auf den ohnehin ausgemergelten Feldern auch noch Bäume wachsen zu lassen, die hungrigen Rinder vom kahlen Hügel fernzuhalten und den Köhlern das Schlagen von Brennholz zu verbieten, klangen unsinnig oder sogar verdächtig: Mit dem merkwürdigen Baumfreund wollte man lieber nichts zu tun haben. Anato Katmar gehörte zu den wenigen, der dem Fremden eine Chance einzuräumen bereit war: Womöglich, weil er ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte. »Tony«, sagt Katmar, »war meine letzte Chance.« Für seine erste Kooperative musste sich Rinaudo mit einer Handvoll Farmern begnügen: Die sahen sich zu allem Überfluss auch noch dem Gespött und Misstrauen ihrer Nachbarn ausgesetzt.

      Heute gibt es in Humbo sieben Kooperativen mit über fünftausend Mitgliedern, keiner von ihnen scheint mehr an Tony Rinaudos Methode zu zweifeln. Während die anderen Dörfer der Region im El-Niño-Jahr 2016 wieder einmal auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren, wurden in den Kooperativen am Fuß des Nilpferdrückens Überschüsse eingefahren: Sie werden zur Verteilung in bedürftigen Teilen des Landes an das Welternährungsprogramm