Jens Johler

Vage Sehnsucht


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heraus, weil er mich mit seinen fantasievollen Basslinien beeindruckte. Ich habe später versucht, seine Bassläufe nachzuspielen, und das war verdammt nochmal nicht einfach. Ich konnte die natürlich nicht auf Anhieb und auch nicht alle Phrasierungen, aber ich habe mich relativ schnell reingefummelt, jedenfalls in die Grundlinien. Und ich begann von nun an, wenn ich einen Song hörte, immer auf den Bass zu achten, das hatte ich früher selten getan. Viel geprobt habe ich nie; doch wenn zu einem Stück eine Basslinie nötig war und sie mir gefallen hat, dann habe ich solange rumprobiert, bis ich sie konnte. Wir haben später nicht nur eigene Songs gespielt, sondern auch viele andere Sachen nachgespielt, dadurch lernst du viel. Denn natürlich geht es auch darum, sein Instrument von Grund auf zu beherrschen, also um das Handwerk. Aber ich habe nie irgendwelche Fingerübungen gemacht, um meine Technik zu verbessern. Bill Wyman, der Rolling Stones-Bassist, spricht in diesem Zusammenhang von Simplizität – ist genau mein Ding. Bloßes Virtuosentum hat mich nie interessiert. Im Gegenteil, wenn ich das Gefühl habe, da spielt jemand besonders schnell oder kompliziert, nur weil er beweisen will, was er alles draufhat, dann langweilt mich das.

      Zu den Musikern des Hoffmanns Comic Teaters gehörten auch RPS Lanrue und Dietmar Roberg. Die waren aber gerade verreist, daher war ich in den ersten Tagen mit Rio allein. Er sang und begleitete sich auf der Gitarre oder am Piano, und ich zupfte dazu den Bass. Dann kam Dietmar zurück und spielte Rhythmusgitarre. Ein paar Tage später folgte Lanrue und übernahm das Schlagzeug. Da waren wir dann komplett. Das war die erste richtige Band, in der ich gespielt habe. Und was soll ich sagen? Es war einfach affentittengeil. Jeder macht etwas, eins greift ins andere, und das Ergebnis ist ein Musikstück. Ich war glücklich, auch wenn ich wusste, dass wir uns musikalisch noch erheblich steigern mussten.

      Die Geschichte mit dem Schlagerproduzenten Peter Meisel sollte ich aber noch zu Ende erzählen. Wir, also Rio Reiser, RPS Lanrue, Dietmar Roberg und ich als Band, Rios Bruder Gert, sowie Barbara und Jens als Gäste, waren dann im Sonopress-Tonstudio der Ariola, dem späteren Hansa-Tonstudio, in dem David Bowie den Song Heroes aufnehmen sollte. Es befand sich in einem ziemlich verfallenen Gebäude in der Köthener Straße 38, ganz nah am Potsdamer Platz. Das Haus stand allein in der Wüste, die der Krieg hier hinterlassen hatte, niemand hatte ein Interesse daran, hier zu bauen, weil die Mauer direkt durch den Potsdamer Platz hindurch führte. Es war eine seltsame Situation, über diesen verwaisten, vom Regen aufgeweichten Platz zu stapfen, auf ein heruntergekommenes Gebäude zu, um dort eine Karriere als Rockband zu starten. Das hätte wahrscheinlich auch ein gutes Coverfoto abgegeben. Es hatte etwas Unwirkliches. Für mich sowieso, weil ich ja gerade erst ein paar Basslinien gelernt hatte. Wir hatten Freitagabend und Baby wochenlang geprobt und nahmen diese beiden Lieder schließlich in diesem legendären Studio auf. Ich durfte sogar noch meine Künste auf der Blockflöte zum Besten geben, doch Peter Meisel hatte irgendwas gegen Rios Stimme oder seine Art zu singen, ich weiß nicht mehr genau, was es war, jedenfalls wurde die Single nicht produziert. Jens hat die Geschichte anders in Erinnerung. Er meint, dass wir nach den Aufnahmen alle zusammen in Meisels Büro gingen. Meisel saß hinter seinem dicken Schreibtisch, Rio auf der anderen Seite, Jens zufällig neben Rio, wir anderen dahinter, und es war eine merkwürdig gedrückte Situation. Meisel schob Rio einen Vertrag und einen Kugelschreiber rüber und fragte, „Nur der Sänger oder die ganze Band?“ Und Rio saß da wie gelähmt und reagierte nicht. Starr, unbeweglich, stumm. Er sagte nicht ja, er sagte nicht nein, aber er hat auch nicht unterschrieben. Wahrscheinlich wusste er, dass es der unwiderrufliche Schritt in eine kommerzielle Karriere gewesen wäre, und die wollte er nicht. Witzigerweise ist Rio nach Auflösung der Scherben dann doch bei Meisel gelandet. Sein Manager für die Solokarriere als König von Deutschland wurde George Glück. George Glück war ’75 in den Meisel-Verlag eingestiegen, und so hat sich der Kreis geschlossen. Ironie des Schicksals, könnte man sagen. Vielleicht hat Meisel damals hinter seinem Schreibtisch gesessen und gedacht, „wo immer du auch hingehst, du entkommst mir nicht“. So ist es eben in der Haifischbranche.

      Mein Gästezimmer in der Admiralstraße musste ich nach drei oder vier Wochen räumen. Das Prinzenpaar – so nannten wir Barbara und Jens inzwischen, das war eine Idee von Lanrue – hatte mir ein Zimmer bei einem Studenten in der Görlitzer Straße besorgt, in einer ziemlich tristen Gegend, nahe der Mauer. Sie fuhren mich mit meinen Sachen dorthin, und ich weiß noch, wie Barbara zu mir sagte, „So, und hier kannst du deinen Müll so hoch stapeln, bis er zur Decke reicht“. Uff, das saß! Das war ’ne echte Lektion. Und als ob das nicht gereicht hätte, folgte gleich der nächste Schock: In meinem möblierten Zimmer lag das Buch Geschichte der O, ein Sado-Maso-Roman. Es war eine gebundene Ausgabe, aber der Schutzumschlag fehlte, deswegen gab es kein Bild, das auf den Inhalt schließen ließ. Ich war zuerst völlig ahnungslos und fing unbekümmert an, darin zu lesen, bis ich irgendwann merkte, was da abging. Alter Schwede! Wie konnte sich jemand so etwas ausdenken? Ich empfand überwiegend Abscheu beim Lesen, und trotzdem habe ich immer weitergelesen. Seltsam, nicht wahr? Wahrscheinlich gehören Aversion und Faszination irgendwie zusammen; der Roman hat mich noch Jahre verfolgt. Aber lange habe ich es in der Görlitzer Straße nicht ausgehalten, ich bin dann vorübergehend zu Rio und Lanrue in die Fabriketage in der Oranienstraße gezogen, manchmal bin ich auch in irgendwelchen heruntergekommenen Szenewohnungen mit Matratzenlagern auf dem Fußboden untergekommen – alles immer in Kreuzberg. An eine kann ich mich recht gut erinnern, es war eine Zwei-Zimmer-Ladenwohnung in der Dresdener Straße, dort wohnte ich mit einem Mädel namens Rolli, die mit Opium zugange war. Wir kannten – das hat jetzt aber nichts mit dem Opium zu tun – einen netten Typen, der nachts irgendwelche Milchprodukte ausfuhr. Jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe hielt er vor unserer Wohnung und versorgte uns mit Joghurt, Fruchtquark und solchen Sachen – das war immer eine leckere Erfrischung. Da ich von meinem Vater keine Unterstützung bekam, musste ich mich irgendwie durchschlagen, „Tu was Du willst und schade niemandem“ war meine Parole. Eine Zeit lang habe ich mit Lanrue zusammen an der Uni Raubdrucke verkauft, manchmal auch beim Sklavenhändler gejobbt. Raubdrucke waren meistens vergriffene Bücher, die im Siebdruckverfahren billig nachgedruckt wurden. Ich erinnere mich an ein Buch von Anna Freud über Psychoanalyse für Kinder, und an ein anderes über das Monopolkapital, von Baran und Sweezy, die gingen besonders gut. Aber auch aktuelle Veröffentlichungen wie die von Günter Wallraff wurden nachgedruckt. Das war natürlich illegal und auch nicht fair. Doch wir haben gedacht, wir müssen ja irgendwie überleben, also was soll’s, legal, illegal, scheißegal! Sklavenhändler waren kleine Arbeitsvermittlungen, da konntest du morgens ganz früh hingehen und bekamst einen schlechtbezahlten Job für einen Tag; Rio hat einen Song darüber geschrieben: „Sklavenhändler, hast du Arbeit für mich? Sklavenhändler, ich tu’ alles für dich. Und wenn ich 7,50 verdiene, geb ich dir 3,50 ab“.

      Einmal, es war in der TU-Mensa, wo Lanrue und ich diese Raubdrucke verkauften, sprach uns ein junges Pärchen an, ob wir nicht einen Schlafplatz wüssten. Charlie und Gabi hießen die beiden. Wir gaben ihnen die Adresse von der Oranienstraße, und gleich am selben Abend kamen sie bei uns vorbei. Mit Gabi habe ich mich dann ein bisschen angefreundet. Wir haben im selben Bett geschlafen, ’n bisschen geknutscht und gefummelt; damals sagte man Petting dazu. Und morgens, oder besser gesagt vormittags, nach dem Aufwachen, habe ich als Erstes auf nüchternen Magen eine Rote Hand geraucht, die filterlose Zigarette der Marke Roth-Händle, so dass mir schwindelig wurde. Ich glaube, ich mochte dieses schwindelige Gefühl. Heute schaudert es mich bei dem Gedanken – was habe ich meinem Körper bloß zugemutet?

      Natürlich haben wir nicht nur Zigaretten geraucht; ich hatte schon in Lübeck erste Erfahrungen mit Haschisch gemacht. Es gab Wochenenden, da bin ich nicht nach Hause, sondern mit Kommilitonen nach Hamburg gefahren. Wir sind dann meistens einmal die Reeperbahn rauf und runter und irgendwann in dieser Underground-Disco Grünspan gelandet, da wurde dann gekifft, wenn auch maßvoll. In Berlin ging es mit dem Kiffen aber richtig los, Schwarzer Afghane, Roter Libanese, Grüner Türke, der allerdings manchmal auch aus Marokko kam. Hasch brachte nicht nur diesen völlig neuen Kick in der Birne, es löste auch den Alkohol und die Zigaretten von der Verbotsliste ab, denn ich durfte ja jetzt, mit 18 Jahren, öffentlich trinken und rauchen. Somit hatte jeder Joint, der gedreht und geraucht wurde, auch etwas Konspiratives. Das war spannend und schaffte eine besondere Art von Gemeinschaftsgefühl. „Wie hat Haschisch auf dich gewirkt?“, bin ich immer wieder gefragt worden. Es ist nicht leicht zu beschreiben. Ich wurde passiv und friedlich. Diese Friedfertigkeit habe ich