Nicole Müller

Patrick Hohmann - Der Bio-Baumwollpionier


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wie Patrick Hohmann oder Filme wie »Tomorrow« und »Fair Traders« zeigen auf, dass Veränderung im Kleinen beginnt, als eine »Grass-root«-Bewegung, die andere inspirieren und begeistern kann. Das Neue entsteht fast immer an den Rändern der Gesellschaft. Es bereitet sich langsam vor, oft im Verborgenen, getragen von einzelnen Menschen, die unzufrieden sind mit den Verhältnissen und neue Wege gehen möchten. »He may be a dreamer«, könnte man über Patrick Hohmann in Abwandlung von John Lennons Song sagen. »But he is not the only one.« Mit etwas Glück und weiteren Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen, kann das Neue vom Rand in die Mitte der Gesellschaft wandern, bis man eines Tages den Kopf darüber schütteln wird, was man einst für »normal« zu halten bereit war. »Eine Systemauflösung ergibt sich nur, wenn das System überflüssig geworden ist«, meinte Patrick Hohmann einmal. Das war einer von diesen Sätzen, die er so bescheiden ins Gespräch streut und die man erst hört, lange nachdem sie gesagt worden sind. Es lohnt sich, über diese Aussage nachzudenken.

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      Große Zeiträume, mehrere Kontinente: Der Weg vom Anbau der Baumwolle bis zum fertigen Kleidungsstück ist beeindruckend lang und arbeitsteilig. Mit dem Anbau von Bio-Baumwolle alleine ist es nicht getan. Patrick Hohmann hat mit seiner Firma Remei und den bioRe® Stiftungen große Anstrengungen unternommen, um die gesamte Lieferkette nach folgenden Werten zu gestalten:

       Biologische Baumwolle

       Faire Produktion

       Ökologisch und hautfreundlich

       CO2-neutral

       Rückverfolgbar bis zum Anbau

      Es gibt unzählige Stellschrauben und Parameter, die die Lieferkette beeinflussen können. Zu ihnen zählen klimatische und kulturelle Gegebenheiten, regulatorische Bestimmungen, Infrastrukturen und Innovationen, Trends und nicht zuletzt die Bereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten, komplizierte Prozesse zu verstehen, finanziell und ideell mitzutragen. Partnerschaftliche Beziehungen und gegenseitiges Verständnis sind wichtig auf dem Weg zu Kleidungsstücken, die mit der Natur und mit den Menschen und nicht gegen sie produziert werden.

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       Eine Kindheit in Alexandria

       »Ich bin schon sehr früh einem Ruf gefolgt.«

      Treibende Kraft in der Familie, in die Patrick Hohmann hineingeboren wurde, war zweifelsohne seine Mutter. Ellen Hohmann, geborene Collins, wurde 1920 im französischen Städtchen Bar-sur-Aube geboren. Ihr Vater Charles Collins war ein nach Amerika ausgewanderter Ire mit britischem Pass. Im Ersten Weltkrieg musste Collins nach Europa zurückkehren, um unter britischer Flagge zu kämpfen. Irland war damals noch nicht unabhängig, sondern Teil des Vereinigten Königreiches. Als Collins sich in die Französin Annemarie Thierry verliebte, heiratete er und blieb bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Bar-sur-Aube.

      In den Adern von Ellen Hohmann Collins floss das Blut der Revolution. Zu ihren Vorfahren gehörte nämlich Daniel O’Connell (1775–1847), dem in jeder irischen Kleinstadt eine Straße gewidmet ist. Daniel O’Connell war ein Freiheitskämpfer, der die Gleichstellung von Katholiken und Protestanten anstrebte und auch erreichte. Er strebte außerdem die Gleichberechtigung der Bauern und der Juden an. Das zweite große Anliegen von Daniel O’Connell als Abgeordneter im britischen Unterhaus war die Aufhebung der Union von Großbritannien und Irland. Dabei setzte der überaus populäre Politiker auf Massendemonstrationen und gewaltfreien Widerstand. Seine Prophezeiung, dass dieser Kampf ein gewaltsames Ende nehmen würde, wenn sich die britische Elite nicht rechtzeitig bewege, sollte sich leider bewahrheiten.

      Ellen Collins war eine groß gewachsene, überaus intelligente und attraktive junge Frau, die umgehend gegen die Nazis Stellung bezog, als diese in Europa an die Macht kamen. Noch minderjährig, bewarb sie sich bei der Royal Air Force, konnte aber die Stelle nicht antreten, weil ihr der Vater die Unterschrift verweigerte: Irland war inzwischen unabhängig geworden, und eine Collins sollte seiner Ansicht nach nicht freiwillig unter britischer Flagge kämpfen.

      Als die Deutschen im Frühling 1940 den Blitzkrieg beginnen und Frankreich besetzen, flüchtet die Familie mit dem letzten Schiff nach Dover und von dort aus nach London. Inzwischen ist Ellen Collins volljährig. Sie bewirbt sich erneut als Teletypistin bei der Royal Air Force und wird angenommen. Sie ist bereits auf dem Schiff auf dem Weg zu ihrem Posten in Palästina, als es dort zu Bombardierungen kommt. Das Schiff wird umgeleitet und landet schließlich in Alexandria, Ägypten.

      Eine ganz andere Vorgeschichte hat der Vater von Patrick Hohmann. Gerhart Wilhelm Hohmann, geboren 1910, ist ein Waisenkind und stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater stirbt 1926 an einem Herzversagen, kurz darauf erkrankt seine Mutter an Tuberkulose und stirbt ebenfalls.

      Für Gerhart, den ältesten von insgesamt vier Brüdern, organisiert sein Vormund ein Zimmer bei einer Familie, damit er seine Lehre als Kaufmann beenden kann. Seine Brüder werden im Waisenhaus untergebracht. Gerhart Hohmann besteht die Lehrabschlussprüfungen mit einem so glänzenden Resultat, dass man ihm gleich eine Stelle bei der Reinhart AG in Winterthur anbietet. Der Name des Unternehmens ist der breiteren Öffentlichkeit vor allem aufgrund des Mäzenatentums der Gründer geläufig. So ist etwa die Sammlung Reinhart in Winterthur mit ihren Kunstschätzen international als Kleinod von hoher Qualität geachtet. Weniger präsent ist die Tatsache, dass die Firma bis heute zu den größten Baumwollhändlern der Welt gehört: 5–6% der gesamten Jahresproduktion an Baumwolle werden nach wie vor an den Tischen der Reinhart AG in Winterthur abgewickelt.

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      Für Gerhart Hohmann erweist sich die Stelle bei der Reinhart AG als Glücksfall. 1929 wird dem jungen Kaufmann eine aussichtsreiche Stelle angeboten: Er kann als persönlicher Sekretär von Albert Reinhart entweder in Indien oder Ägypten arbeiten. Hohmann entscheidet sich für Ägypten. Von dort aus nämlich ist es einfacher, in die Schweiz zu reisen, um seine Brüder, die nach wie vor im Waisenhaus leben, zu besuchen. 1949 – Gerhart Hohmann hat sich inzwischen in der Firma Reinhart zum vollamtlichen Baumwollhändler hochgearbeitet – wird er Teilhaber der in Ägypten domizilierten Escher AG, einer Handelsfirma für Baumwolle, die er schließlich ganz übernimmt.

      Die Ehe der Eltern war wie Feuer und Wasser. Auf der einen Seite der stille, tüchtige und gewissenhafte Vater mit einem ausgeprägten Hang zum