Vorhersehbare Urteilsunfähigkeit
Wenn Sie für eine Operation in eine Vollnarkose versetzt werden, sind Sie während der Dauer der Operation urteilsunfähig. In aller Regel haben Sie mit dem behandelnden Team besprochen, welches Ihre Therapieziele sind und was geschehen soll bei allfälligen Komplikationen während der Operation.
Wer sind vertretungsberechtigte Personen?
Vertretungsberechtigt sind in erster Linie nahestehende Personen, also Lebenspartner, die engsten Familienmitglieder, Freunde, die Sie sehr gut kennen. Wenn Sie keinen gesetzlichen Beistand haben und keine Patientenverfügung verfasst haben, gilt die gesetzliche Regelung gemäß Art. 378 ZGB. Die folgenden Personen sind der Reihe nach berechtigt, die urteilsunfähige Person zu vertreten und den vorgesehenen ambulanten oder stationären Maßnahmen die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern:
1 die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person;
2 der Beistand oder die Beiständin mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Maßnahmen;
3 wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner einen gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person führt oder ihr regelmäßig und persönlich Beistand leistet;
4 die Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmäßig und persönlich Beistand leistet;
5 die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmäßig und persönlich Beistand leisten;
6 die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmäßig und persönlich Beistand leisten;
7 die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmäßig und persönlich Beistand leisten.
Sind mehrere Personen vertretungsberechtigt, so dürfen die gutgläubige Ärztin oder der gutgläubige Arzt voraussetzen, dass jede im Einverständnis mit der anderen handelt. Fehlen in einer Patientenverfügung Weisungen, so entscheidet die vertretungsberechtigte Person nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person. In dringlichen Fällen ergreift die Ärztin oder der Arzt medizinische Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person (Art. 379 ZGB).
In welchen Situationen ist eine Patientenverfügung wichtig?
Wenn Sie in ein Spital oder in ein Heim eintreten, werden Sie in der Regel gefragt, ob Sie eine Patientenverfügung haben. Das Behandlungsteam muss Ihren Willen eruieren und vertretungsberechtigte Personen kontaktieren können, falls Sie in eine Krisensituation oder Zustandsverschlechterung mit Urteilsunfähigkeit kommen.
Ebenso muss Ihr Wille in Notfall- oder Krisensituationen beachtet werden. Durch einen Unfall oder eine Krankheit können Sie von einem Augenblick auf den anderen in eine völlige Abhängigkeit kommen. Wenn Sie bewusstlos und damit nicht urteilsfähig sind, müssen andere über Ihre Behandlung entscheiden (vertretungsberechtigte Personen, wenn diese nicht erreichbar sind und die Behandlung dringlich ist, sind es die behandelnden Ärzte).
Wenn Sie den Wunsch haben, Ihre Therapieziele für den Fall einer Urteilsunfähigkeit selbst festzulegen, sollten Sie das also rechtzeitig tun. Dabei stellen Sie vielleicht folgende Fragen: Für welche Situationen kann ich vorausplanen? Wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Wie kann ich meinen Willen für eine Notfallsituation, für eine länger andauernde oder eine bleibende Urteilsunfähigkeit verbindlich und handlungsleitend festhalten?
Für welche Situationen können Sie vorausplanen?
Lassen Sie die Dinge eher auf sich zukommen, oder planen Sie möglichst vieles im Voraus? Ihrer Persönlichkeit entsprechend tendieren Sie eher zum einen oder zum anderen. Oder es kommt auf die Situation an. Vielleicht planen Sie in den verschiedenen Lebensbereichen gleichermaßen oder unterschiedlich viel oder wenig voraus. Auf jeden Fall sind Sie frei, damit umzugehen, wie es Ihnen entspricht. Betrachten wir im Folgenden die Vorausplanung in einigen wichtigen Lebensbereichen:
Finanzielle Vorausplanung
Um finanzielle Risiken zu vermeiden, können Sie Versicherungen abschließen. Um Ihr Vermögen nach Ihrem Ableben Ihrem Wunsch entsprechend jemandem zukommen zu lassen, können Sie ein Testament erstellen. Um sicherzustellen, dass eine bestimmte Person im Krankheitsfall mit Urteilsunfähigkeit stellvertretend für Sie allen finanziellen Verpflichtungen nachkommt, können Sie einen Vorsorgeauftrag erstellen. Für diese Situationen können Sie sehr gut vorausplanen, wenn Sie das möchten. Wenn Sie das nicht tun möchten, gibt das Gesetz genaue Regelungen vor (Testament, Erbfolge: Art. 457 ZGB, Vorsorgeauftrag Art. 360 ZGB). Mehr Informationen zu Vorsorgeauftrag und Testament erhalten Sie bei Sozialberatungsstellen, Patientenorganisationen und Gesundheitsligen.
Gesundheitliche Vorausplanung für die
Situation der Urteilsunfähigkeit
Dies ist wohl die anspruchsvollste Ebene der Vorausplanung. Wir sprechen hier vom Erstellen einer Patientenverfügung, die konkrete Anweisungen für Ihre medizinische Behandlung geben soll im Falle einer akuten, vorübergehenden oder bleibenden Urteilsunfähigkeit. Studien (BAG 2017)6 zeigen, dass zwar mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Schweiz diesen Begriff kennt, aber weniger als 20 Prozent selbst eine Patientenverfügung erstellt haben. Der Auseinandersetzung mit der Frage nach den eigenen Zielen und Wünschen im Falle einer schweren Krankheit mögen sich die meisten Menschen nicht gern stellen, weil die Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens ganz eng damit verbunden ist. Es ist verständlich, dass wir die Gedanken an schwere Krankheiten oder ans Lebensende lieber verdrängen und uns den angenehmen Seiten des Lebens zuwenden. Viele denken: Wenn ich krank werde, ist es noch früh genug, mich damit zu beschäftigen. Nur: Was soll geschehen bei einem Unfall oder einer plötzlichen Krankheit, die mich unvorbereitet treffen können? Kann man dann noch seinen Willen gut überlegt kundtun?
Fehlen in einer Patientenverfügung Weisungen, so entscheidet die vertretungsberechtigte Person nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person. Das ist eine äußerst verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe. Insbesondere dann, wenn Sie mit Ihren Nächsten noch nie über Ihre Behandlungsziele in einer solchen Situation gesprochen haben. Ihre vertretungsberechtigte(n) Person(en) müssen in Ihrem Sinn und nach Ihrem mutmaßlichen Willen Behandlungsentscheidungen treffen – das kann sehr belastend und mit großen Unsicherheiten verbunden sein.
Das Gespräch über eigene Lebensperspektiven und Ziele
Das Wichtigste ist also das Gespräch, das Reden über eigene Lebensperspektiven und Ziele, über Ihre Investitionen in die Gesundheit, über Ihre Bereitschaft, dafür auch Belastungen und Leiden in Kauf zu nehmen, über Ihre Vorstellungen von würdevollem Leben. Haben Sie im Kreis Ihrer Nächsten darüber gesprochen, was Sie für sich wünschen würden, welches Ihre Behandlungsziele wären, wenn Sie sich selbst aufgrund Ihres Krankheitszustandes nicht äußern können? Haben Sie diesen Personen erzählt, wie gerne Sie leben? Wissen sie, ob eine Behandlung in einer Notfall- oder Krisensituation Ihr Leben verlängern soll und darf? Haben Ihre Nächsten von Ihnen erfahren, welche Risiken und Belastungen Sie bereit sind, in solchen Situationen auf sich zu nehmen? Gibt es für Sie Grenzen des Erträglichen?
Patientenverfügung
Wenn Sie noch einen Schritt weitergehen und Ihre Vorstellungen schriftlich festhalten wollen, können Sie das mit einer Patientenverfügung tun. Eine Patientenverfügung muss sehr hohen Ansprüchen in vielerlei Hinsicht genügen. Weshalb? Stellen Sie sich vor, Sie seien in der umgekehrten Situation und haben eine Patientin oder einen Patienten in einem lebensbedrohenden Zustand vor sich liegen, die oder den Sie nicht kennen und die oder der sich nicht zur Behandlung äußern kann. Sie