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Reformierte Theologie weltweit


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|19| in anderen Kirchen an.37 Reformierterseits meint konfessi­onelle Identität immer auch ökumenische Identität.38 Es gibt keine konfessionelle neben einer ökumenischen Identität.39 Insofern wird man Otto Webers wegwei­sen­de Bemerkung zum Vorwurf der Unionsfreudig­keit der Reformierten auch auf deren Verhältnis zur Ökumene übertragen können und müssen: «Wir können nicht aufhören, für die Union einzu­treten, weil wir sonst aufhören würden, reformiert zu sein. Das heisst, das Wort Gottes über alle kirchlichen Behauptungen zu stellen.»40 Die porträ­tierten Theologin­nen und Theologen haben je auf ihre Weise versucht, dem die Kirche im Sinne des semper reformanda41 reformierenden Wort Gottes42 Raum zu ge­ben.43 |20| Diese Intention wird man ihnen ebenso wenig absprechen dür­fen, wie man kritische Rückfragen hinsichtlich des Gelingens ihrer je­wei­ligen Um­setzung dieser Intention unterlassen sollte. Denn an dieser Inten­tion kann man auch heute die unterschiedlichen Lehrgestalten refor­mier­ter Theo­logie messen. Das semper reformanda weist Theologie und Kirche den Weg.

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I. Reformierte Identität im Kontext der Krise der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts

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      Theologie für eine durch Gottes Wort zu reformie­rende Kirche

      Michael Weinrich

      Vor allem in Deutschland wurde Karl Barth von seinen Kritikern immer wie­­­der mit dem Stigma seines Re­for­mier­tentums etikettiert – beson­ders in­­ten­siv zur Zeit des Kirchen­kamp­fes. Häufig wurde damit zu­min­dest indirekt eine grundsätzli­che Dis­qua­­lifikation annonciert, die Grund ge­nug war, Barth gegenüber einen prin­zi­piellen Abstand zu wah­ren. Gleich­zei­tig befand sich Barth in einer durch­aus bemerkenswerten Kons­tanz gerade auch mit den Re­formier­ten in einer kritischen Auseinan­der­set­­zung – und das keineswegs nur am Rande. Von beiden Seiten schlug ihm Skepsis entgegen, die zwar sehr un­ter­­­schied­lich begründet war, aber in jedem Fall mit dem reformierten Profil seiner Theologie zu tun hatte; was den einen (in der Regel ohne nähere Benennung der problematischen Aspekte) zu reformiert war, erschien den anderen zu wenig reformiert, weil die spezifische Prägekraft der reformierten Tradition zu wenig her­ausgestellt werde (Barth liess jeden reformierten Stallgeruch vermissen). Bei aller Unterschiedenheit waren beides mehr gefühlte als tatsächlich ausgewiesene Vorbehalte. Tatsächlich aber wirkte Barth, verglichen mit den geltenden kon­fessio­nel­len Verlässlichkeiten, wie ein programmatisch agieren­des unregelmäs­siges Verb, indem er nicht nachliess, die überkom­mene Regelmässigkeit in den theologischen Deklinationen anzu­greifen. |24| Barth attackiert die Harmlosigkeit gewohnheitsmässigen Theolo­gietrei­bens, das mit den üblichen Regelmässigkeiten verbunden ist und eben dann in der Regel auch nur zu mässigen Einsichten führt.

      Die angedeutete diffuse Gemengelage legt die Frage nahe, wie es sich nun tatsächlich mit Barths Beziehung zur reformierten Tradition verhält. Ist Barth im konfessionellen Verständnis ein reformierter Theologe und wenn ja, in welchem Sinne ist er es? Der erste Teil der Frage wird sich relativ einfach beantworten lassen, während eine Antwort auf den zwei­ten Teil der Frage durchaus mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist.

      Immerhin wurde Barth 1921 ausdrücklich für die reformierte Theolo­gie von seiner Schweizer Pfarrstelle an die Theologische Fakultät in Göt­tingen berufen, nicht zuletzt unter dem Einfluss des profunden Kenners der reformierten Bekenntnisschriften in Erlangen, Ernst Friedrich Karl Müller (1863–1935). Es wurde von Barth erwartet, dass er insbesondere den reformierten Studierenden das spezifische Profil der reformierten Theologie lehren solle, wozu er als Mitglied einer reformierten Kirche in der Schweiz als besonders prädestiniert angesehen wurde. Barth hinge­gen war zwar Mitglied einer reformierten Kirche, weil in der Schweiz die protestantische Kirche eben vorzüglich reformiert ist, aber er sah sich nun durch den Ruf nach Göttingen seinerseits das erste Mal dazu herausge­fordert, sich in substantiell vertiefter Weise mit der reformierten Tradi­tion auseinanderzusetzen, um schliesslich auch für sich selbst eine Ant­wort auf sein Verhältnis zur reformierten Tradition zu finden. In der volks­kirchlichen Mehrheitssituation der Schweiz war offenkundig auch für Barth die reformierte Tradition die selbstverständlich hingenommene geschichtliche Prägung seiner Kirche, die er in ihrem Alltag von anderen Fragen in Atem gehalten sah als von ihrem konfessionellen Profil.1 Das änderte sich grundlegend mit dem Wechsel nach Göttingen. Barth war nun zu differenzierter akademischer Auskunft über die reformierte The­o­logie herausgefordert und hat diese Herausforderung auch entschlossen und intensiv angenommen. |25|

      Barth hat dabei einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, auf dem er sich zwar auf verschiedene Leitmotive der reformierten Tradition beruft, die er aber ausdrücklich einem reformierten Traditionalismus mit seinen konfessionalitischen Neigungen entgegenstellt.2 Wenn Barth sich auf die reformierte Tradition bezieht, will er konsequent als ein Theologe evan­gelischer Freiheit verstanden werden, der sich um eine unter den gegen­wärtig gegebenen Umständen einzunehmende Position bemüht. Das möch­te ich an drei ausgewählten Beispielen ein wenig illustrieren. Zu­nächst möchte ich mich mit Barths Verhältnis zum Bekenntnis beschäfti­gen (1.). Sodann soll mit einigen Andeutungen Barths besonderes Ver­ständnis des Wortes Gottes angesprochen werden, das die Theologie einer­seits zu einer prinzipiellen Vorbehaltlichkeit nötigt – dafür steht der bleibend dialektische Charakter seiner Theologie – und andererseits ihr eine Freiheit eröffnet, hinter der sie in ihren geschichtlichen Koalitionen und mit ihren ängstlichen Zögerlichkeiten faktisch in beschämender Per­manenz zurückbleibt (2.). Schliesslich möchte ich mich einer unbeachteten Platzanweisung zuwenden, die Barth für die Reformierten in der Öku­mene gleichsam als eine konkrete Konsequenz der Freiheit im Auge hatte (3.). Zum Schluss wird dann eine vorläufige Bilanz gezogen (4.).

      1. Von der Besonderheit des Bekenntnisses

      Ausweislich des Protokolls der Sitzung der Göttinger Theologischen Fa­kultät am 12. Mai 1921 wird Barths Lehrtätigkeit ausdrücklich auf die «Einführung in das reformierte Bekenntnis, reformierte Glaubenslehre und reformiertes Gemeindeleben» beschränkt.3 Barth musste sich also unweigerlich intensiv mit dem reformierten Bekenntnis und seiner Tradi­tion |26| beschäftigen. Gleich in seinem ersten Semester hält Barth eine Vorle­sung über den Heidelberger Katechismus. Es folgen Vorlesungen über Calvin4 und Zwingli5 und im Sommer 1923 eine Vorlesung über die Theolo­gie der reformierten Bekenntnisschriften6. In dieser Zeit erwirbt Barth nicht nur umfängliche Kenntnisse über das reformierte Bekenntnis und die reformierten Bekenntnisse, sondern er bestimmt zugleich auch sein eigenes Verhältnis zur reformierten Tradition und erarbeitet sich ein eigenes Verständnis von der Bedeutung und Reichweites eines Bekennt­nisses einschliesslich der damit verbundenen Konsequenzen. Das bedeu­tet weniger, dass er nach seinem persönlichen Zugang zu den Bekennt­nissen fragt, wohl aber, dass er konsequent die Forderung erhebt, dass es nicht allein darum gehen könne, die reformierten Bekenntnisse zu pfle­gen, sondern auch die Art und Weise dieser Pflege habe eine reformierte zu sein. Es reiche nicht aus, die reformierten Bekenntnisse in Ehren zu halten und sich an ihnen zu orientieren, sondern es komme auf einen seinerseits ausdrücklich reformierten Umgang mit ihnen an, der sich durchaus von dem lutherischen Umgang mit den Bekenntnissen unter­scheidet.

      Ich möchte dies an einem konkreten Beispiel veranschaulichen. Ge­rade weil es in diesem Beispiel um die Frage eines erst zu formulierenden Bekenntnisses geht, wird an ihm besonders deutlich, was für Barth mit einem Bekenntnis auf dem Spiele steht. Am 30. Juni 1924 erhielt Barth vom Generalsekretär des Reformiertes Weltbundes, John Robert Fleming, die offizielle Anfrage, ob er bereit wäre, in einem Vortrag auf der zwölf­ten Generalversammlung 1925 in Cardiff auf die Frage zu antworten, ob eine gemeinsame Glaubenserklärung bzw. Bekenntnis für die reformier­ten Kirchen der Welt wünschenswert und möglich sei.7 Das ist eine Frage, |27| die den Reformierten Weltbund schon länger bewegt hat und offenkun­dig bis heute immer wieder aufbricht, wenn erneut nach der reformierten Identität gefragt wird.8

      In der veröffentlichten Langfassung des Vortrags