Leonhard Frank

Die Räuberbande


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       Leonhard Frank

      Die Räuberbande

      Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020

       [email protected]

      EAN 4064066117665

       Erstes Kapitel

       Zweites Kapitel

       Drittes Kapitel

       Viertes Kapitel

       Fünftes Kapitel

       Sechstes Kapitel

       Siebentes Kapitel

       Achtes Kapitel

       Neuntes Kapitel

       Zehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Plötzlich rollten die Fuhrwerke unhörbar auf dem holprigen Pflaster, die Bürger gestikulierten, ihre Lippen bewegten sich — man hörte keinen Laut; Luft und Häuser zitterten, denn die dreißig Kirchturmglocken von Würzburg läuteten dröhnend zusammen zum Samstagabendgottesdienst. Und aus allen heraus tönte gewaltig und weittragend die große Glocke des Domes, behauptete sich bis zuletzt und verklang.

      Die Unterhaltungen der Bürger und die Tritte einer Abteilung verstaubter Infanteristen, die über die alte Brücke marschierten, wurden wieder hörbar.

      Über der Stadt lag Abendsonnenschein.

      Ein roter Wolkenballen hing über der grauen Festung auf dem Gipfel, und im steil abfallenden königlichen Weinberg blitzten die Kopftücher der Winzerinnen — die Weinernte hatte begonnen.

      Es roch nach Wasser, Teer und Weihrauch.

      Ein paar Knaben, die lachend und schreiend „Nachlauferles“ spielten, um die zwölf mächtigen Brückenheiligen aus Sandstein herum, vom heiligen Kilian zu Totnan, und von da zu Pipinus, standen erschrocken still und versteckten sich hinter Sankt Colonatus, denn Herr Mager, der Volksschullehrer und Tyrann vieler Generationen Knaben, schritt über die Brücke.

      Bei jedem Schritt schob er die rechte Schulter vor und stieß mit Vehemenz seinen Spazierstock aus Weichselholz, an dem ein Riemchen hing, aufs Pflaster. Erzürnt sah er sich um, seine kleinen Apfelbäckchen spannten sich. Er hatte einen der Knaben erkannt. Die schlichen betreten davon. Ihr morgiger Sonntag war verhängt von der Schulstunde des Montags.

      Der Lehrer war gefürchtet.

      Seine Technik im Strafen war aufs feinste ausgebildet. Keiner traf so sicher wie er mit dem Rohrstock die Fingerspitzen, immer genau dieselbe Stelle, daß die Fingerspitzen schwollen und blau anliefen. Unverhofft mit dem Rohrstock auf den Handrücken zu schlagen, liebte er. Und zöbelte er einen Jungen, so faßte er die feinsten Härchen an der Schläfe. Benötigte er einen neuen Rohrstock, dann mußte der Junge, welcher Prügel zu bekommen hatte, selbst eine Anzahl Stöcke zur Auswahl beim Kaufmann holen. Herr Mager untersuchte lange und sorgfältig, beroch die Stöcke, hieb sie durch die Luft und horchte auf das Pfeifen, wählte den dünnsten und zähesten, präparierte ihn erst, indem er das Ende spaltete, und der gewollte Erfolg war, daß der Stock beim Schlagen Blutblasen in die Fingerspitzen zwickte.

      Die Furcht der Knaben umgab Herrn Mager wie eine Wolke, sein Leben lang. Und es kam vor, daß vierzigjährige Männer, frühere Schüler von ihm, erschrocken zur Seite wichen, wenn sie ihn des Weges kommen sahen.

      Am letzten Tage, wenn er seine Schüler aus der Volksschule entlassen mußte, gab er ihnen die Angst mit auf den Lebensweg: „Wir sind noch nicht fertig miteinander“, sprach er und lächelte. „In der Fortbildungsschule habe ich euch wieder, und wer von euch zu den ‚Neunern‘ einrückt, den bekomme ich noch einmal als Rekrut. Denn auch da unterrichte ich.“ Und dann erst war die Klasse entlassen.

      Herr Mager blieb auf der Brücke stehen und sah auf die beleuchtete Uhr vom „Spitäle“, einer kleinen Kirche im Mainviertel, deren Vorderfront gegen den Brückenberg steht.

      Nach zwei Jahre langen Verhandlungen und vielem Streit war von den Würzburger Stadtvätern der Jahresetat von zwanzig Mark für die Nachtbeleuchtung der Uhr bewilligt worden.

      Heute zum ersten Male leuchtete das Ziffernblatt. Sogar schon am Tage, denn die Sonne war noch nicht unter.

      Herr Mager freute sich. Er hatte für Beleuchtung gestimmt. Er war für den Fortschritt.

      Ein Fischer mit violett angelaufener Stülpnase und rotem Schnurrbart, der erst bei den Mundwinkeln begann und zwei buschigen Eichhornschwänzchen glich, stand vor dem „Spitäle“ und ein alter Polizeiwachtmeister mit kurzen Säbelbeinen.

      „A richtje Uhr muß beleucht sei! Das sag i!“ rief der Fischer und schnitt mit einer Handbewegung jede Erwiderung ab. „Was nützt uns denn a ubeleuchte Uhr! Bei der Nacht sin alle Menschen schwarz . . . Jau, so a Gaudi, zwä Jahre brauche sie dazu.“ Er steckte die Hände in seine gestrickte, blaue Wolljacke, wandte sich weg und sah, die Unterlippe grimmig vorgeschoben, den Brückenberg hinauf.

      Auf die Kirche zu kam mühsam atmend ein großmächtiger Pfarrer, dessen ausgeprägte Rückenverlängerung sich stark hin und her bewegte, denn er hatte Plattfüße. Ein kleines Mädchen sprang zu ihm hin: „Gelobt sei Jesus Christus“, knickste und gab ihm die Hand.

       „In Ewigkeit. Amen.“ Der Pfarrer schlug das Kreuz und hielt Herrn Mager seine Horndose hin. Herr Mager nahm eine Prise, tat, als schnupfe er, und ließ den Tabak in seine Tasche fallen.

      „Gestern nacht ham mir die Sakramentslumpe an dreipfündige Hecht aus mein neue Sandschiff g’stohle, mitsamt’n Blechkaste“, rief der rote Fischer. „Wenn i so ’n Malefizhamml erwisch, dem dreh i . . . rrracks! die Gurgl um.“ Er hielt dem Wachtmeister die Faust unter die Nase. Die Adern an seinem Halse schwollen.

      Das silberne Klingeln der Ministranten tönte aus der Kirche. Herr Mager beugte das Knie und hob erbleichend die Arme, taumelte gegen die Kirchenmauer: ein durchgegangenes Pferd war auf ihn zu galoppiert, stieg vor ihm in die Höhe und raste den Brückenberg hinauf.

      Der Wachtmeister riß die Waffe heraus und rannte, den Säbel hocherhoben, dem Pferde in großem Abstand über die Brücke nach.

      Eine graue Dogge mit heraushängender Zunge überholte ihn und sprang freudig bellend am Pferde empor, das hinter einem hochbeladenen Heuwagen stehen geblieben war und Heu herauszupfte. Dogge und Pferd gehörten einem Besitzer.

      Bürger umringten den erhitzten Polizeiwachtmeister. Der Heuwagenkutscher trat auch hinzu, tätschelte dem durchgegangenen Pferde den Hals. Es hob den Schwanz — die Bürger traten zurück. Und wieder zusammen.

      Die Dogge umraste den Heuwagen und die Bürger, die das heufressende Pferd umstanden und ihre Pfeifen stopften. Man unterhielt sich weiter.

      Drei Brückenheilige entfernt stand