Leonhard Frank

Die Räuberbande


Скачать книгу

      „Ich wollt halt auch einmal die He . . . die He . . . Hefte trag . . . Dann weiß ich aber noch einen, de . . . de . . . der gemartert werden muß. Meee . . . Meee . . . Mechaniker Tr . . . Tr . . . Tr . . . Tritt!“ schrie Oldshatterhand wütend.

      „Und die anständigen Leute, es gibt ja sowieso nur ein paar in Würzburg“, sagte sinnend der bleiche Kapitän, „die werden vorher durch Briefe aufgefordert, ihre Kostbarkeiten zusammenzuraffen und mit Weib und Kind aus der Stadt zu fliehen . . . Alles was recht ist.“

      „Zum Beispiel dem Rat Häberlein schreiben wir vorher einen Brief. Der hat mich gestern abend sein Garten gießen lassen.“

      „Am Silbersee müssen wir unser Blockhaus bauen. Der liegt inmitten von Prärien und Urwäldern“, sagte die Rote Wolke und deutete weit hinaus.

      „Einmal kann ich ja meiner Schwester z . . . zwei Pa . . . Pa . . . Papageienflügel schicken? Für ihren H . . . Hut“, sagte Oldshatterhand. „Grü . . . grüne vielleicht.“

      „Wenn sie nicht umgekommen ist in der Brandnacht.“

      „Die, die . . . muß einen Brief bekommen!“ rief Oldshatterhand erschrocken und gab die Friedenspfeife weiter.

      „Wer von uns seine Familie schonen will, kann ja einen Brief schreiben, ich tu’s nit“, sagte der bleiche Kapitän, tat die drei vorgeschriebenen Züge aus der Friedenspfeife und sagte monoton in tiefem Baß: „Falkenauge“, reichte das qualmende Schilfrohr seinem Nachbarn, stand auf und übte mit einem Sandowmuskelspanner.

      Falkenauge blickte mit dem einen Auge aufs glimmende Schilfrohr, während das andere gespenstisch und interesselos nach rechts blickte. Es war ein Glasauge.

       Eine Kirchturmuhr begann zu schlagen, eine entfernte geiferte dünn und schnell dazwischen, andere mit tiefen Tönen setzten ein; der Zusammenklang währte eine Weile. Da hub die Domuhr voll und dunkel an zu schlagen: töm . . . töm . . . töm . . . zwölf Schläge in die tiefe Nachtstille.

      „Nach den Sta . . . tatata . . . tuten mü . . . ssen wir jetzt den heutigen Ra . . . Raubzug beginnen. Oldshatterhand haaa . . . t ge . . . sp . . . sprochen.“

      Der Schreiber unterdrückte das Lachen. Winnetou gab ihm einen Rippenstoß. Oldshatterhand errötete und heftete seine wutfunkelnden Augen auf den Schreiber.

      Da erschien auf dem Bergrücken plötzlich eine große, dunkle Gestalt, die sich lautlos reckte und schnell wieder zusammenduckte, als ein Räuber den Kopf hob.

      „Mit Gott denn!“ rief der bleiche Kapitän.

      Die Räuber sprangen auf und tanzten, schwerfällig von einem Fuße auf den anderen hüpfend, im Kreis um das Lagerfeuer herum und sangen gedämpft und monoton dazu:

      „Tsching tschang, tsching tschang, bumbetewitschki,

      Nang kang killewi, nang kang killewi,

      Tsching tschang, tsching tschang, bumbetewitschki,

      Nang kang killewi wau.“

      Der bleiche Kapitän reckte die Hand in den Nachthimmel — die Räuber standen in ihrer momentanen Stellung still. Die Hand des bleichen Kapitäns sank, und die Räuber stürzten, den bequemen Weg, der aus dem Graben führte, verachtend, zur Mauer, krabbelten hinauf, schlichen vor bis zum Bergrand und riefen: „Weh dir!“ zur Stadt hinunter.

       Die Gestalt war hinter einem Baumstamm verschwunden.

      Die Knaben standen jetzt auf einem Felsenvorsprung, der, gebüschbewachsen und zerklüftet, dreißig Meter senkrecht in die Tiefe fiel, bis in den Hof einer Malzfabrik, in deren haushohen Schlot die Räuber oben hineinsehen konnten.

      Ein Diebabhalter, fächerartig auseinanderstehende, altersmorsche Latten, die aus dem Felsenabhang hinaus in die Luft ragten, versperrte den Weg in die königlichen Weinberge.

      Der bleiche Kapitän rutschte auf dem Bauche ein Stück den Felsenabhang hinunter, erfaßte die Latten, schwang ein paarmal wie ein Kirchenglockenschwengel über der Tiefe hin und her — und stand in den königlichen Weinbergen.

      Die anderen folgten und waren nach einer Weile alle glücklich drüben, außer Oldshatterhand, der zitternd am Felsenabhang klebte, denn seine freie Hand reichte nicht bis zum Diebabhalter. Er wagte nicht, sich zu rühren.

      Der bleiche Kapitän beugte sich, auf dem Bauche liegend und von den anderen gehalten, über den Felsenabhang hinaus, streckte Oldshatterhand die Hand hinüber und riß ihn frei durch die Luft zu sich.

      Der Diebabhalter brach und stürzte in die Tiefe.

      Der Schreiber grinste: „Hohaho! Oldshatterhand.“

      „Still!“ rief der bleiche Kapitän und sah zürnend im Kreise herum.

      Falkenauges gläserner Ersatz funkelte im Mondlicht.

      Oben lag die mondbeschienene Festung. Vom Fuße der Festung weg, bis zu den ersten Häuschen der Stadt, fiel der königliche Weinberg steil ab, aus dessen Trauben der berühmte Leistenwein gekeltert und in Bocksbeutel abgezogen wird.

      „Jeder hat sich unter seinen Weinstock zu setzen und so viel zu fressen, wie er kann“, befahl der bleiche Kapitän. „Und dann erst steckt jeder so viel Trauben ein, wie möglich, für unsere Vorratskammer.“

      Die Räuber schwärmten aus und wählten jeder seinen Weinstock.

      Der Mond stand jetzt voll am Himmel über der schlafenden Stadt. Die Domuhr schlug eins.

      Es raschelte im Weinberg. Kleine, dunkle Gestalten krochen herum. Oldshatterhand hockte in Kniebeuge und horchte, atemlos vor Angst. Ohne hinzusehen, griff er seitwärts in den Weinstock und steckte eine Beere in den Mund. Da glaubte er, die anderen seien schon fort, rutschte erschrocken den steilen Weinberg hinab und prallte gegen Winnetou. „Wenn jetzt jemand kommt!“

      Winnetou richtete sich hoch auf und sah zur alten Brücke hinunter, auf der einzelne, verkürzte, zusammengedrückte Menschen traumhaft taumelten, und sagte laut: „Wenn jetzt einer kommt, dann bleibe ich so stehen, daß er mich sieht.“

      „Duck dich doch“, flüsterte Oldshatterhand entsetzt.

      „Daß ihr mir fei tüchtig Trauben einsteckt“, erklang die Stimme des bleichen Kapitäns laut von seitwärts.

      Oldshatterhand war zusammengefahren und riß empfindungslos, ohne noch an etwas zu denken, hastig Trauben vom Stock und stopfte sie in die Taschen.

      Winnetou stieg den Weinberg hinauf und verschwand im Schatten der Festungsmauer.

       „Mit dem Messer mußt du abschneiden“, schimpfte der bleiche Kapitän Oldshatterhand, „sonst werden sie ja ganz verdrückt.“

      Mit zitternden Händen suchte Oldshatterhand nach seinem Messer.

      Plötzlich stieß er einen gellenden Schrei aus — über ihm stieg eine klare hohe Stichflamme aus dem Weinberg in den Nachthimmel. Entsetzt blickten die Räuber zur Flamme hin. Der bleiche Kapitän kroch auf sie zu, und die Räuber hörten ihn sagen: „Herrgott, was ist denn das für eine Dummheit! Sollen wir vielleicht alle miteinander erwischt werden. Das sieht man doch von der Stadt drunten.“

      Die Räuber waren hinzugelaufen. Die Flamme beleuchtete Winnetous Gesicht. „Und wenn sie’s sehen! Sie sollen’s ja sehen!“ schrie er und trat in Raserei den brennenden Weinstock nieder.

      Die Wildheit Winnetous hatte die Räuber stumm gemacht. Seine Lippen zuckten. Die Tränen schaukelten an seinen Wimpern.

      „Also, machen wir lieber, daß wir fortkommen . . . Wenn ihr alle genug habt“, sagte der bleiche Kapitän. Die Domuhr schlug dunkel zwei. „Wie ein Mensch so was tun kann, nur damit er erwischt wird, das versteh ich wahrhaftig nit.“

      Vollbepackt schlichen die Räuber aus dem Weinberg und gelangten, jetzt auf einem ganz ungefährlichen Weg, den sie herwärts verachtet hatten, zurück in den Festungsgraben. Voran der bleiche Kapitän mit einem Waschkorb voll Trauben, den er schon am Tage vorher leer