Leonhard Frank

Die Räuberbande


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is er weg.“

      „Ach, der sieht die ganze Zeit mit sein eine Aug Sachen, die gar nit da sind“, sagte der Schreiber.

      Da drückte Falkenauge sein Glasauge heraus, hielt es dem Schreiber hin und rief frohlockend: „Mach das einmal nach!“

      Ärgerlich sah der Schreiber zur Seite.

      Falkenauge setzte seinen Ersatz wieder ein und blickte im Kreise herum.

      Die Räuber hoben einen Steinquader aus der Mauer des Festungsgrabens — ein großes, schwarzes Loch wurde sichtbar. Der Anfang eines unterirdischen Ganges.

      Der bleiche Kapitän zündete eine Pechfackel an, die im Gange lag, und ging voran. Fledermäuse klebten an der Decke, flatterten auf, prallten gegen die Räuber, und huschten ins Freie.

      Viele Seitengänge führten vom Hauptgang weg. Über jeden Seitengang hatte der bleiche Kapitän ein Täfelchen unter Glas angebracht und mit Druckschrift darauf geschrieben, wohin der Gang führte. Auf einem Täfelchen war zu lesen:

      Mördergang! Führt unter die ganze Stadt durch, in den Hinrichtungshof des Justizgebäudes. Vorsicht!

      Auf einem anderen Täfelchen stand:

      Gang der lebendig eingemauerten Nonnen. Führt eine Stunde weit ins Nonnenkloster Himmelspforten.

       Auf dem dritten Täfelchen:

      Gang des Mittelalters. Führt hinunter bis in die Mitte des Flusses, zur Wasserfalle, die von Ratten wimmelt. In diesen Gang hat im vierzehnten Jahrhundert der Bischof von Würzburg falsche Priester gestoßen, die in die Wasserfalle gerieten, bis zum Nabel im Wasser standen und lebendigen Leibes von den Ratten aufgefressen wurden. Es wird gebeten, diesen Gang nur bei Lebensgefahr zu betreten.

      Der Hauptmann.

      Die Räuber tasteten sich den Hauptgang vor, bis zu einem weißen Mullvorhang, den Oldshatterhand seiner Mutter vom Waschseil gestohlen hatte. Das einzige, was er hatte beisteuern können. Der bleiche Kapitän zog den Vorhang zur Seite und ließ seine Leute eintreten, in einen quadratischen Raum, in dem, von den Räubern aus den Felsen herausgehauen, Steinbänke waren.

      Das war „das Zimmer“.

      Die Rote Wolke zündete die Petroleumlampe an, welche von der niederen Decke herunterhing, und schimpfte: „Die ist wieder nicht geputzt worden.“

      Die großen und reifgelben Trauben wurden sorgsam auf die Holzregale gelegt, die an den Mauern angebracht waren, und auf denen schon vielerlei Vorrat aufgestapelt lag: Zigarren in jeder Form und Qualität, von den Räubern den verschiedenen Vätern gestohlen, lagen, mit Zigaretten untermischt, in einer Handschuhschachtel beisammen. Daneben lagen: ein großer, geräucherter Schwartenmagen, Äpfel, Birnen und Eier, in Reihen geordnet, ein Stoß Stearinkerzen, zwölf Paar von den Räubern eigenhändig genähte Sandalen aus dickem Rindleder, welches Falkenauge in dem Ledergeschäft, wo er zum Kaufmann ausgebildet werden sollte, mitgenommen hatte. Er trug sich mit dem Gedanken, von den ersten zwölf Büffeln, die er im wilden Westen erlegen würde, die Häute an seinen Chef zu senden, zum Ersatz.

      Die Sandalen waren neu und wurden niemals getragen, aber täglich mit Schweinefett eingerieben, auf daß sie nicht knarrten, wenn man in der Prärie die Rothaut beschliche.

      Ein leeres Bierfaß stand in der Ecke und ein volles darauf, vom bleichen Kapitän aus dem Keller seines Bruders mitgenommen. Die Biergläser, sorgfältig gespült, mit blitzenden Zinndeckeln, hingen darüber auf einem Zapfenbrett. Der schwarze Erdboden war festgestampft und mit zertrennten Kartoffelsäcken belegt. Besen und Schaufel und zwölf Vogelstutzen hingen an der Mauer.

      Es herrschte musterhafte Ordnung im „Zimmer“.

      Auf einem großen Büchergestell standen, Rücken an Rücken, alle Räuber-, Indianer- und Seegeschichten, die es überhaupt gibt: Der Bayrische Hiesl oder Der Herr der böhmischen Wälder, Gesamtausgabe in zweihundertunddreizehn gelben Heftchen à zehn Pfennige, mit einem Pechdraht verschnürt. Räuberhauptmann Rinaldini, in ebenfalls zweihundertunddreizehn Heftchen à zehn Pfennige. Um sieben Millionen oder Der Schurke von Zanzibar. Das Gespensterschiff von Hauff. Und alle Indianergeschichten, die der Herr Buchbinder Männlein, der Meister des bleichen Kapitäns, in seinem Laden führte, standen wohlgeordnet im gepreßt vollen Bücherregal.

      Auf einem kleinen Eckbrett lag für sich allein ein dünnes Reclambändchen: „Die Räuber. Drama in fünf Aufzügen von Friedrich von Schiller.“ Das Hausbuch der Bande.

      Ein alter, großer Revolver lag unter einer Glasvitrine, die früher das Kruzifix im Schlafzimmer der Witwe Benommen vor Staub geschützt hatte.

      Ein mit Totenköpfen verziertes Plakat hing an der Wand. „Heimlicher Versammlungsort der Räuberbande von Würzburg“ stand darauf.

      Die Räuber saßen und lagen auf den Bänken.

      „Rechnungsführer, bitte die neuen Einkünfte zu registrieren“, sagte der bleiche Kapitän und stülpte die Lippen nach außen.

      Der Schreiber schloß ein Schränkchen auf und nahm Tinte und Feder und ein Büchlein heraus.

      Oldshatterhand kicherte. Er freute sich immer, wenn der Rechnungsführer an seine Schande erinnert wurde, ein Schreiber zu sein. Was dieser jedoch mit grimmigem, etwas leidvollem Humor ertrug. „Was bin ich? Ein Schreiber bin ich, ein Schrieb“, sagte er, „ein Federfuchser, hohaho!“ Und dabei errötete er stets tief.

      „Wieviel soll ich registrieren, Hauptmann?“ fragte er und sah auf die Trauben.

      „Nun . . . sagen wir viereinhalb Zentner.“

      „Viereinhalb Zentner Weintrauben aus den königlichen Weinbergen. Jahrgang achtzehnhundertneunundneunzig“, notierte der Schreiber. Und deutete auf eine farbige Eidechse aus der Nymphenburger Porzellanmanufaktur. „Und diese Eidechse? . . . Gekauft?“

      „Mitgenommen“, gab der bleiche Kapitän an. „Schreib auf: ein Kunstwerk, in Form einer Eidechse.“

       „Und das da, Hauptmann?“

      „. . . Wer hat da gelacht!“ brüllte erzürnt der bleiche Kapitän. „. . . Wenn noch einmal einer lacht, so wird er ausgeschlossen . . . Da wird ganz einfach ballotiert, mit schwarzen und weißen Kugeln. Und dann ist er draußen. Dann kann er sehen, wo er hinkommt. Glaubt ihr vielleicht, wir sind zum Spaß da! . . . Schreib auf: Ein weißer Stallhase, lebend, gekauft beim Jud Meyerheim, um fünfunddreißig Pfennige.“

      Der Stallhase saß auf dem Bücherregal und schnupperte mit der Oberlippe.

      Gelacht hatte die Kriechende Schlange. „Der macht uns ja alles voll“, sagte er, fuhr aber schnell fort: „Morgen ist ein Schnelläufer auf dem Sanderrasen. Er läuft im Trikot.“

      „Da wird hingegangen“, erwiderte der Hauptmann, „wenn ihr wollt“, setzte er, noch erbost, hinzu. „Morgen mache ich einen Käfig für ‚Das heilige Tier‘. So heißt von heute an der Stallhase.“

      Oldshatterhand schritt zum Tisch, der in der Mitte stand, stellte eine Rattenfalle darauf und ging, ohne gesprochen zu haben, zurück an seinen Platz.

      Der bleiche Kapitän wandte den Kopf nach ihm hin: „. . . Gekauft?“

      „. . . Eigentlich geschenkt bekommen, vom Schmied Gottlieb.“

      Der Schreiber notierte die Rattenfalle und den dreipfündigen Hecht, den die Rote Wolke mitsamt dem Blechkasten aus dem neuen Sandschiff des roten Fischers geholt hatte, und schloß das Büchlein wieder in den Schrank.

       Der große Fisch schnalzte heftig im Kasten.

      Der bleiche Kapitän schlug mit einem Holzklöpfel den Hahn ins Bierfaß. Das donnerte im unterirdischen Gang, wie wenn Felsen gesprengt würden. Er schenkte die zwölf Gläser voll, zündete zwölf Kerzen an, stellte sie auf die Regale und verlöschte die Petroleumlampe.

      Die Räuber saßen um den Tisch herum, tranken und rauchten.

      „O Felli“, sagte Winnetou. Das