Leonhard Frank

Die Räuberbande


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sonst das möglich.“

      „Da gehn wir ganz einfach zurück und machen Krach.“

      „Ach, laß ihn. Ich pfeif ja auf seine drei Mark.“

      „Aber eine halbe Stunde hast du’s doch ausgehalten“, sagte der Schreiber, mit der Uhr in der Hand.

      „No wart nur, bis er wieder einmal läuft.“

      „Ich schlag vor, daß wir jetzt zum Bäcker Schlauch gehen. Da gibt’s warmen Käsekuchen. Es ist genau vier Uhr, seht. Da kommt er grad aus dem Backofen raus.“

      „Ich hab kein Geld“, sagte Oldshatterhand.

      „Aber ich!“ rief der Schreiber. „Siebzig Pfennig. Weil ich heut früh für mein Vater Schuh fortgetrage hab, und da hab ich siebzig Pfennig mehr für die Reparatur verlangt.“

      „Wenn das dein Vater erfährt . . . mei Lieber.“

      „Er erfährt’s aber nit. O Gott, das mach ich schon seit Jahr und Tag so. Die Kundschaft frägt mein Vater nit, weil sie’s jetzt schon gewöhnt ist, daß bei mein Vater die Reparaturen so teuer sind.“

      Der Bäckermeister und Weinwirt Schlauch war ein frommer Mann, fett und bleich.

      Die Räuber blieben auf der Straße vor der Bäckereiauslage stehen. Der Schreiber kaufte für sich und die andern sieben Stück Käsekuchen, welche Herr Schlauch durch das Verkaufsfensterchen den Räubern hinausreichte. Oldshatterhand ließ sich auf sein Stück noch Zucker nachstreuen.

      Da spuckte der Schreiber einen Bissen wieder aus, sah die Räuber an und sagte: „Der Kuchen schmeckt nach Petroleum . . . Herr Schlauch, der Kuchen schmeckt ja nach Petroleum.“

      Alle reichten unter Protest die halbgegessenen Stücke durchs Fenster Herrn Schlauch wieder hinein, der sich ängstlich nach seinen weintrinkenden Gästen umsah und entsetzt den Kuchen beroch. „Petroleum? . . . Ja, was wär denn das.“

      „Versuchen Sie ihn nur selber.“

      „Wo schmeckt denn der Käsekuchen nach Petroleum“, sagte Herr Schlauch erstaunt, weiter mit der Zunge prüfend.

      „Tatsächlich, er schmeckt danach, das merkt man doch gleich!“ sagte der bleiche Kapitän überzeugend und verzog das Gesicht. „Wahrscheinlich ist die Petroleumkanne daneben gestanden.“

      „Wa wa wa wa wa!“ schrie der Bäcker aufgeregt. „Das gibt’s nit!“ Und schob die angebissenen Stücke auf dem Tische herum.

      „Also wenn ich Ihnen sag, er schmeckt nach Petroleum . . . Sie müssen uns neuen Kuchen geben. Wir ham doch bezahlt . . . Schneiden Sie halt einmal den andern Platz an.“

      Zitternd reichte der Bäcker noch einmal sieben Stücke zum Fensterchen hinaus.

      Oldshatterhand ließ sich wieder Zucker nachstreuen. Die Räuber bissen in den Kuchen . . . „Wahrhaftig! der schmeckt auch nach Petroleum“, sagte der Schreiber nach einer Weile.

      Der Bäcker wurde dunkelrot.

      „Ich schmeck nix“, sagte der König der Luft mit vollem Munde und schluckte hastig.

      „Du bist halt ein Rindvieh“, flüsterte der Schreiber . . . „Also, Herr Schlauch, das gibt’s doch nit, daß Käsekuchen nach Petroleum schmecken darf . . . da müssen Sie uns doch recht geben.“

      Sie reichten auch diese halbgegessenen Stücke zum Fenster hinein. Der Bäcker beroch sie, legte sie hier- und dorthin, türmte sie aufeinander und sagte endlich zu seiner Frau: „Da, versuch du einmal den Kuchen.“

      „Jag die Lausbube weg . . . Der Kuchen schmeckt doch nit nach Petroleum.“

       Der Bäcker knallte das Verkaufsfensterchen zu.

      „Machen Sie auf!“ Der Schreiber schlug an die Scheibe . . . „Da gehn wir ganz einfach in den Laden.“

      „Ich nit. Mein Vater sitzt drin“, sagte Oldshatterhand bedauernd und verschwand.

      Die Räuber schoben sich drängend durch die Tür, in den Laden hinein.

      „Wir wollen ja auch nicht so sein, aber wenn man doch bezahlt“, begann der Schreiber. „Jesus, wenn sowas bekannt wird!“

      Die Wirtin hatte den Atem verloren, blickte, unnatürlich reglos, das dichte Räubergrüppchen an, während ihr Mann sich zum Regal umwandte, die Ränder der unangeschnittenen, großen Kuchen ratlos beroch und dabei heimlich seine still genießenden Gäste beobachtete.

      „Heiliger Gott, wenn das die Leut erfahre täten“, sagte der Schreiber sehr laut in die Richtung, wo die Gäste saßen.

      Der bleiche Kapitän drängte sich vor. „Genau betrachtet, müssen Sie uns unser Geld zurückgeben, natürlich.“

      Und während Wirtin und Wirt erlöst und eilig nach der Kasse griffen, verglich der Kapitän: „Wenn mei Mutter in ihrer Wirtschaft stinkenden Schwartenmagen verkauft, muß sie’n a zurücknehm. So was ist doch ganz klar. Ich versteh Sie wirklich nit.“

      „Also und, also da hinten hockt er“, flüsterte plötzlich der König der Luft, der Herrn Lehrer Mager entdeckt hatte. „Also und, ich geh.“

      Winnetou war mit Oldshatterhand gegangen.

      Vor einigen Wochen hatte Oldshatterhand einen Zwetschgenkern in die Erde gelegt, auf daß ein Bäumchen daraus werde. Er und Winnetou mußten lange suchen, bis sie die Stelle wiederfanden. Endlich sah Oldshatterhand ein streichholzgroßes, zartes Stengelchen, an dem drei herzförmige Blättchen waren, und rief: „Das ist mein junger Zwetschgenbaum!“

      Sie knieten nieder. Um sie herum lagen zerbrochene Töpfe, zerknüllte, nicht mehr brauchbare Blecheimer, Flaschen, Gipsbrocken, stinkende Gemüseabfälle. Es war der Schuttablagerungsplatz vor der Stadt. Oldshatterhands Lieblingsaufenthalt. Ein mit grünem Schlamm überzogenes Altwasser, in dem es Feuersalamander gab, war auch da, von Haselnußsträuchern umstanden.

      Oldshatterhand drückte das Stengelchen mit dem Zeigefinger vorsichtig zur Seite und ließ es zurückschnellen. „Es hat schon ziemlich viel Kraft.“

      Sie setzten sich, die Beine auseinandergespreizt und die Fußsohlen gegeneinander gestemmt, so daß das Stengelchen in der Mitte war.

      „Wie lange braucht’s, bis was dranhängt“, sagte Winnetou bedauernd und drückte das Stengelchen auch zur Seite.

      Oldshatterhand sah es schon als Baum: „Alles, was er trägt, gehört mir und dir. Er wächst schnell, hier ist der Boden gut.“

      „Es braucht auch viel Sonne und Regen.“

      Oldshatterhand sah zum bewölkten Himmel empor und wieder auf das Stengelchen; er empfand einen Druck über dem Herzen, weil er so klein bei dem kleinen Pflänzchen saß und die Zeit ihm unüberwindbar schien; seine Sehnsucht machte einen Sprung, und er sagte: „Wenn ich dann einmal zurückkehre, als . . . wenn ich dann einmal als ein Fremder zurückkehre . . . in einem Gummimantel, dann ist es schon ein großer Baum geworden, der gestützt werden muß.“

      „Wir könnten’s eigentlich jetzt schon stützen, meinst nit?“ fragte Winnetou und nahm ein Streichholz aus der Schachtel. Sie steckten das Streichholz zum Stengelchen in die Erde und banden es daran fest. Aber der Druck wich nicht aus Oldshatterhands Brust. Auch Winnetou sah nachdenklich drein. Beide dachten jetzt nicht an das Pflänzchen, sondern in die Zukunft. Das Pflänzchen blieb klein zurück.

      Winnetou riß sich zuerst los und sah wieder auf das Pflänzchen. „Wollen wir? . . . Was meinst du? . . . Das düngt“, sagte er und war auf einmal fröhlich. Oldshatterhand sah Winnetou erst entsetzt an.

      „Wirklich, das düngt“, beschwichtigte Winnetou.

      „Du glaubst, man kann das tun? . . . Schaden kann’s ihm eigentlich nit“, sagte Oldshatterhand gedankenvoll, und ein Lächeln entstand in seinem Gesicht.

      Sie