Siebe Josephine

Kasperle auf Burg Himmelhoch


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      In Wutzelheim schien den Kindern an diesem Abend allen der Mond auf die Näslein. Er stand nämlich voll und rund am dunkelblauen Nachthimmel. Der gute Mond sah aber noch mehr als die Kinder von Wutzelheim in ihren Betten liegen, die ihre Arme, Beinchen und Nasen aus ihren weißen oder rotkarierten Federnesten heraussteckten, der gute Mond sah auch auf eine grüne blühende Waldwiese nieder. Und auf die schaute er mit besonderer Lust herab, denn was er da sah und hörte, gefiel ihm besonders wohl.

      Ein Stückchen von der Grenze des Landes entfernt, in dem Herzog August Erasmus regierte, lag ein Häuschen im Walde, vor dem breitete sich eine Wiese aus und ringsum standen riesenhohe, uralte Tannen. In dem Häuschen aber wohnten der Puppenschnitzer Meister Friedolin und seine Frau Annettchen, sowie seine Tochter Liebetraut mit ihrem Mann, dem Meister Severin. Es war alles so, wie es der Kasperlemann in Wutzelheim erzählt hatte.

      An diesem Abend saßen die Bewohner des Waldhauses alle still auf der Wiese, sogar die Kinder der schönen Frau Liebetraut, das Zwillingspärchen Rose und Marie, waren noch auf. Die waren erst vier Jahre alt. Herr Severin und Frau Liebetraut hatten schon ganz traurig gedacht, sie bekämen keine Kinder, da hatte ihnen Gott doch noch die lieblichen Mädelchen geschenkt. Sie lauschten alle ganz still, denn an eine Tanne gelehnt stand da Michele und spielte Geige. Neben ihm aber hockte Kasperle, das richtige, lebendige Kasperle.

      Michele war kein kleines Büble mehr wie einst, als ihn Herr Severin mitgenommen hatte, er war ein großer, schöner Jüngling. In der Welt draußen nannten sie ihn den berühmten Geiger Michael. Daheim im Waldhaus, denn das Waldhaus war auch seine Heimat geworden, war er aber für alle noch das Michele.

      Wenn Michele draußen in der Welt in Königsschlössern und Festsälen gespielt hatte und heimkehrte ins Waldhaus, dann galt sein erster Gruß dem Kasperle, denn das lief ihm jedesmal schon weit entgegen.

      Kasperle war noch immer ein kleiner wilder Unnütz, und manchmal, wenn Michele wieder ein Stück gewachsen war, dann grämte er sich wohl über sein Kleinbleiben. Doch Michele lachte ihn aus und sagte neckend:

      „Ob groß, ob klein,

       Mein Freund mußt du sein.“

      Kasperle antwortete dann stets:

      „Bleib ich auch ein kleiner Wicht,

       Mein Michele vergess’ ich nicht.“

      Und wenn Kasperle noch so toll und übermütig war, sobald das Michele auf seiner Geige spielte, dann wurde er muckstill und saß da wie in einer Kirche.

      Aber Michele spielte auch wunderschön! Herr Severin, der doch ein großer Meister und Micheles Lehrer war, sagte: „Er spielt, wie der Wald rauscht, der Bach plätschert, die Vögel singen; so wie er spielt keiner jetzt auf der Welt.“

      Und in dieser hellen Mondnacht spielte Michele schöner als je. Am Nachmittag war er heimgekommen, und das Kasperle war ihm wie immer entgegengesprungen. Aber gleich hatte Kasperle gemerkt, dem Freunde fehlte etwas. Und als Michele jetzt spielte, da dachte das unnütze, törichte Kasperle: „Ach, des Michele Herz weint!“

      „So hat er noch nie gespielt,“ sagte Herr Severin leise zu seiner schönen Frau Liebetraut.

      Der flossen die Tränen in den Schoß. Leise rannen sie wie Regentropfen herab. Ach, dachte sie wie Kasperle, des Michele Herz weint ja!

      Die Bäume rauschten nicht mehr, die Vögel, die vorher noch gezwitschert und getschilpt hatten, schwiegen. Ein paar Rehe traten aus dem Walddunkel heraus, alles lauschte dem Spiel des Michele.

      Und als der den Bogen sinken ließ, konnte man die Gräser zittern hören, so stille war es im Walde.

      Die Waldhausleute saßen an diesem Abend lange auf der Wiese. Der Mond vergaß das Weiterwandern beinahe, so gut gefiel es ihm wieder einmal. Auch war der alte Bursch etwas neugierig, er hätte gern gehört, was Michele erzählte. Der redete von großen Städten, in denen er gespielt hatte, auch von Schlössern und vornehmen Leuten. Und endlich sagte er: „Bei dem Fürsten von Wolkenburg habe ich auch gespielt und weißt du, wer da war, Kasperle?“

      „Der Herzog!“ schrie Kasperle. Er fiel vor Schreck beinahe hintenüber, denn vor dem Herzog August Erasmus, den er einmal als Gespenst arg erschreckt hatte, und der noch immer aufpassen ließ, ob das Kasperle nicht über die Grenze lief, hatte er eine Heidenangst.

      „Nein,“ sagte Michele traurig, „der nicht, aber die schöne Gräfin Rosemarie war da, die nächstens den Grafen von Singerlingen heiraten wird.“

      Nun fiel Kasperle doch steif wie ein Stock hin. Denn was zuviel ist, ist zuviel, und daß die schöne Gräfin Rosemarie, die ihm einst als Kind geholfen hatte zu entfliehen, den alten Grafen von Singerlingen heiraten sollte, das ging über seine Nase.

      „Ist nicht wahr!“ schrie er.

      „Ist doch wahr!“ sagte Michele, und wieder war es, als ob sein Herz weinte.

      „Ist dumm!“ Kasperle streckte vor Wut die Beine in die Luft.

      „Wer ist dumm? Was ist dumm?“ fragte Michele.

      „Sie ist dumm, dumm, erzdumm!“ kreischte Kasperle.

      Aber da rief Michele zornig: „Die schöne Rosemarie ist nicht dumm. Aber sie muß den Grafen von Singerlingen heiraten, der Herzog August Erasmus, der ihr Vormund ist, will es.“

      „Hach!“ Kasperle überschlug sich dreimal, und dann hämmerte er mit den Fäusten auf dem Waldboden herum. „Ich mach dem Herzog wieder Schrecken, ich setz mich ihm als Gespenst auf den Magen, ih — ih — ih!“

      Fuchsteufelswild war das Kasperle, und Michele drohte: „Nimm du dich nur in acht! Der Herzog hat jetzt das Zipperlein, da hat er gesagt, er möchte dich als Spaßmacher haben. Wer dich findet, soll dich fangen.“

      „Hach, ich geh nicht zu ihm!“ Kasperle kreischte so laut, daß die Vögel, die nun eingeschlafen waren, in ihren Nestern munter wurden.

      „Dann mußt du auch nicht immer so nahe an die Grenze laufen,“ sagte Herr Severin, „dort bauen sie jetzt sogar ein Wachthäuschen und wehe, wenn sie dich erwischen!“

Kasperle senkte seine große Nase. Die Geschichte war ihm bänglich. Vor dem Herzog August Erasmus und seinen Landjägern hatte er große Angst. Eigentlich war Kasperle ein kleiner Ausreißer, der himmelgern einmal durch die Welt wutschte, aber seit er alle die Geschichten erlebt hatte, die der Kasperlemann in Wutzelheim erzählte, traute er sich nicht mehr weit vom Waldhaus weg. Und wenn einer nur des Herzogs Namen nannte, gleich bekam Kasperle Bauchweh vor Angst.

      Über dem Gerede, daß der Herzog ihn von neuem verfolge, hatte Kasperle des Freundes weinendes Herz ganz vergessen, aber als nun Herr Severin bat: „Spiele uns noch ein Schlußlied!“ und Micheles Geige so schmerzlich tönte, wurde es ihm ganz wind und weh. Sein kleines Kasperleherz brach fast vor Mitgefühl, und er war nachher beim Gutenachtsagen ganz still.

      Im Waldhaus gab es nicht allzu viele Zimmer, und Michele, der doch ein weltberühmter Künstler war und in der Welt draußen reich und vornehm wohnte, mußte, wenn er heimkam, im Waldhaus immer noch in seinem alten Bubenkämmerchen mit Kasperle zusammen hausen. Aber das tat Michele gern. Als Kind hatte er bei einem Bauern auf dem Heuboden seine Liegestatt gehabt und nichts besessen als ein Höslein und zwei Hemden. Daran und wie ihn durch Kasperle Meister Severin gefunden und ihn zu einem großen Künstler gemacht hatte, mußte er immer denken, wenn er ins Waldhaus kam. „Mein liebes Waldhaus!“ sagte er immer.

      Auch heute stieg er ins Bubenkämmerchen hinauf; das lag unter dem Dach, und die volle, helle Mondscheibe stand vor dem kleinen Fenster. Da brauchte man nicht Licht anzuzünden, Michele sah beim Mondenlicht, daß Kasperle traurig dreinsah, und Kasperle sah das von Michele.

      Es mochte ein Weilchen aber keiner anfangen zu fragen. Endlich tat das Kasperle einen kellertiefen