wollen …« Er hob Tony mit Behutsamkeit aus dem Wagen. »Kompliment, Herr Buddenbrook! Wohlauf, der Herr Papa? Und die Frau Konsulin?… Ist mir ein aufrichtiges Pläsier!… Na, treten die Herrschaften näher! Meine Frau hat wohl so etwas wie einen kleinen Imbiß bereit. – Fahr'n Se man to Gastwirt Peddersen«, sagte er zum Kutscher, der den Koffer ins Haus getragen hatte; »da sünd de Pierd ganz gaut unnerbracht … Sie übernachten doch bei uns, Herr Buddenbrook?… I, warum nicht gar! Die Pferde müssen doch verschnaufen, und dann kämen Sie ja nicht vor Dunkelwerden zur Stadt …«
»Wissen Sie, hier wohnt man mindestens so gut, wie draußen im Kurhaus«, sagte Tony eine Viertelstunde später, als man in der Veranda um den Kaffeetisch saß. »Was für prachtvolle Luft! Man riecht den Tang bis hierher. Ich bin entsetzlich froh, wieder in Travemünde zu sein!«
Zwischen den grünbewachsenen Pfeilern der Veranda hindurch blickte man auf den breiten, in der Sonne glitzernden Fluß mit Kähnen und Landungsbrücken und hinüber zum Fährhaus auf dem »Priwal«, der vorgeschobenen Halbinsel Mecklenburgs. Die weiten, kummenartigen Tassen mit blauem Rande waren ungewohnt plump im Vergleich mit dem zierlichen alten Porzellan zu Hause; aber der Tisch, auf dem an Tonys Platz ein Strauß von Wiesenblumen stand, war einladend, und die Fahrt hatte Hunger gemacht.
»Ja, Mamsell soll sehen, daß sie sich hier herausmacht«, sagte die Hausfrau. »Sie sieht ein bißchen strap'ziert aus, wenn ich mich so ausdrücken darf; das macht die Stadtluft, und dann sind da die vielen Fêten …«
Frau Schwarzkopf, eine Pastorstochter aus Schlutup, schien ungefähr 50 Jahre zu zählen, war einen Kopf kleiner als Tony und ziemlich schmächtig. Ihr noch schwarzes, glatt und reinlich frisiertes Haar stak in einem großmaschigen Netze. Sie trug ein dunkelbraunes Kleid mit einem kleinen weißgehäkelten Kragen und ebensolchen Manschetten. Sie war sauber, sanft und freundlich und empfahl eifrig ihr selbstgebackenes Korinthenbrot, das, umgeben von Rahm, Zucker, Butter und Scheibenhonig, in dem bootförmigen Brotkorb lag. Diesen Korb schmückte eine Borte von Perlenstickerei, welche die kleine Meta gearbeitet hatte, ein achtjähriges, artiges, kleines Mädchen, das in schottischem Kleidchen und mit einem flachsblonden, steif abstehenden Zöpfchen neben seiner Mutter saß.
Frau Schwarzkopf entschuldigte sich wegen des Zimmers, das für Tony bestimmt war, und in dem diese schon ein wenig Toilette gemacht hatte. Es sei so einfach …
»Pah allerliebst!« sagte Tony. Es habe Aussicht auf die See, das sei die Hauptsache. Und dabei tauchte sie die vierte Scheibe Korinthenbrot in ihren Kaffee. Tom sprach mit dem Alten über den »Wullenwewer«, der jetzt in der Stadt repariert wurde …
Plötzlich kam ein junger Mensch von etwa 20 Jahren mit einem Buch in die Veranda, der seinen grauen Filzhut abnahm und sich errötend und etwas linkisch verbeugte.
»Na, min Söhn«, sagte der Lotsenkommandeur, »du kömmst spät …« Dann stellte er vor: »Das ist mein Sohn –«, er nannte einen Vornamen, den Tony nicht verstand. »Studiert auf den Doktor … bringt seine Ferien bei uns zu …«
»Sehr angenehm«, sagte Tony, wie sie es gelernt hatte. Tom stand auf und gab ihm die Hand. Der junge Schwarzkopf verbeugte sich nochmals, legte sein Buch aus der Hand und nahm, aufs neue errötend, am Tische Platz.
Er war von mittlerer Größe, ziemlich schmal und so blond wie möglich. Sein beginnender Schnurrbart, so farblos wie das kurzgeschnittene Haar, das seinen länglichen Kopf bedeckte, war kaum zu sehen; und dem entsprach ein außerordentlich heller Teint, eine Haut wie poröses Porzellan, die bei der geringsten Gelegenheit hellrot anlaufen konnte. Seine Augen waren von etwas dunklerem Blau als die seines Vaters, und hatten denselben, nicht sehr lebhaften, gutmütig prüfenden Ausdruck; seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und ziemlich angenehm. Als er anfing zu essen, zeigte er ungewöhnlich gutgeformte, engstehende Zähne, die spiegelnd blank waren, wie poliertes Elfenbein. Übrigens trug er eine graue, geschlossene Joppe mit Klappen an den Taschen und einem Gummizug im Rücken.
»Ja, ich bitte um Entschuldigung, ich komme zu spät«, sagte er. Seine Sprache war ein wenig schwerfällig und knarrend. »Ich habe ein bißchen am Strande gelesen und nicht früh genug nach der Uhr gesehen.« Hierauf kaute er schweigsam und musterte Tom und Tony nur dann und wann prüfend von unten herauf.
Später, als Tony wieder einmal von der Hausfrau genötigt wurde, zuzulangen, sagte er:
»Dem Scheibenhonig können Sie vertrauen, Fräulein Buddenbrook … Das ist reines Naturprodukt … Da weiß man doch, was man verschluckt … Sie müssen ordentlich essen, wissen Sie! Diese Luft hier, die zehrt … die beschleunigt den Stoffwechsel. Wenn Sie nicht genug zu sich nehmen, so fallen Sie ab …« Er hatte eine naive und sympathische Art, sich beim Sprechen vorzubeugen und manchmal eine andere Person dabei anzublicken als die, an die er sich wandte.
Seine Mutter hörte ihm zärtlich zu und forschte dann in Tonys Gesicht nach dem Eindruck, den seine Worte hervorbrächten. Der alte Schwarzkopf aber sagte:
»Nu speel di man nich up, Herr Dokter, mit deinem Stoffwechsel … Da wollen wir gar nichts von wissen«, worauf der junge Mensch lachte und wieder errötend auf Tonys Teller blickte.
Ein paarmal nannte der Lotsenkommandeur den Vornamen seines Sohnes, aber Tony konnte ihn durchaus nicht verstehen. Es war etwas wie »Moor« oder »Mord« … unmöglich, es in der breiten und platten Aussprache des Alten zu erkennen.
Als die Mahlzeit beendet war, als Diederich Schwarzkopf, der, mit weit von der weißen Weste zurückgeschlagenem Rock, behaglich in die Sonne blinzelte, und sein Sohn ihre kurzen Holzpfeifen zu rauchen begannen und Tom sich wieder seinen Zigaretten widmete, waren die jungen Leute in ein lebhaftes Gespräch über alte Schulgeschichten geraten, an dem Tony sich munter beteiligte. Herr Stengel wurde zitiert … »Du sollst 'ne Line machen, und was machst du? Du machst 'n Strich!« Schade, daß Christian nicht da war; er konnte das noch viel besser …
Einmal sagte Tom zu seiner Schwester, indem er auf die vor ihr stehenden Blumen wies:
»Herr Grünlich würde sagen: Das putzt ganz ungemein!«
Worauf Tony ihn, rot vor Zorn, in die Seite stieß und einen scheuen Blick zu dem jungen Schwarzkopf hinübergleiten ließ.
Man hatte mit dem Kaffeetrinken heute ungewöhnlich lange gewartet, und man saß lange beieinander. Es war schon halb sieben Uhr, und über den »Priwal« drüben begann sich die Dämmerung zu senken, als der Kommandeur sich erhob.
»Na, die Herrschaften entschuldigen«, sagte er. »Ich habe nun noch drüben im Lotsenhause zu tun … Wir essen um achte, wenn's gefällig ist … Oder heut' mal ein bißchen später, Meta, wie?… Und du –« hier nannte er wieder den Vornamen, – »nun sitz hier nur nicht herum … Nun geh nur hinaus und gib dich wieder mit deinen Knochen ab … Mamsell Buddenbrook wird wohl auspacken … Oder wenn die Herrschaften an den Strand gehen wollen … Störe nur nicht!«
»Diederich, mein Gott, warum soll er nicht noch sitzen bleiben«, sagte Frau Schwarzkopf sanft und vorwurfsvoll. »Und wenn die Herrschaften an den Strand gehen wollen, warum soll er nicht mitgehen? Er hat doch Ferien, Diederich!… Und soll er denn gar nichts von unserem Besuche haben?«
Sechstes Kapitel
In ihrem kleinen, reinlichen Zimmer, dessen Möbel mit hellgeblümtem Kattun überzogen waren, erwachte Tony am nächsten Morgen mit dem angeregten und freudigen Gefühl, mit dem man in einer neuen Lebenslage die Augen öffnet.
Sie setzte sich empor, und indem sie die Arme um ihre Knie schlang und den zerzausten Kopf zurücklegte, blinzelte sie in den schmalen und blendenden Streifen vom Tageslicht, der zwischen den geschlossenen Läden hindurch ins Zimmer fiel, und kramte mit Muße die gestrigen Erlebnisse wieder hervor.
Kaum ein Gedanke streifte Herrn Grünlichs Person. Die Stadt und der gräßliche Auftritt im Landschaftszimmer und die Ermahnungen der Familie und Pastor Köllings lagen