jene Weltraumserie, die mein Freund Clark Darlton alias Walter Ernsting zusammen mit K. H. Scheer gründete. So viel ist darin vorweggenommen worden – zu allem Anfang die Landung auf dem Mond. Die Autoren setzten als Datum das Jahr 1971 fest, und in der Realität war dies das Jahr, in dem ich Walter persönlich kennen lernte. Vorher hatte ich ihn als Schriftsteller gekannt und von einigen Telefonaten …
Ich war damals Direktor eines Viersternehotels im Schweizer Kurort Davos. Eines Abends betrat ein schlaksiger Herr die Hotelbar. Seine Wangen schienen mir etwas eingefallen zu sein und passten nicht so recht zu den dunklen Koteletten vor seinen Ohren. Er trug ein blaukariertes Hemd ohne Krawatte und darüber ein hellbraunes Jacket. Der Fremde blieb hinter den Barhockern stehen und starrte mich an. Ich glotzte zurück und wusste augenblicklich: Den kennst du! Der Mann grinste und streckte mir zwischen den Schultern anderer Gäste die Hand entgegen. »Sie müssen Erich von Däniken sein«, meinte er lachend, und mir war schlagartig klar: Dort, in der zweiten Gästereihe, stand Walter Ernsting alias Clark Darlton. Dabei hatte ich noch nie ein Bild von ihm gesehen.
Obwohl wir uns zum ersten Mal begegneten, umarmten wir uns wie alte Freunde und duzten uns sofort. Es wurde eine lange heitere Nacht, erst an der Bar, dann in meinem Büro. Schon damals entstand die Idee zu dem Roman Der Tag, an dem die Götter starben, der sehr viel später erschien. Aber nur Monate später begleitete mich Walter zu einem Kongress der AAS (Gesellschaft für Astronautik, Archäologie und SETI) nach Chicago. Mit dabei waren der Wiener Schriftsteller Peter Krassa und der Bibliothekar Uli Dopatka. Dort geschah es dann auch, dass während meines Vortrags plötzlich ein dicker Polizist, der seitwärts der Bühne gestanden hatte, auf mich zuhechtete, mich umwarf und mit seinem ganzen Körpergewicht auf mir liegenblieb. »Nicht bewegen!«, zischte er. Ich merkte, unter der Last ächzend, wie das Licht anging, verstand aber die Lautsprecherstimme nicht, die den Zuhörern im Saal etwas mitteilte. Das Auditorium wurde von Security-Leuten geräumt, und ich sah aus den Augenwinkeln Walter, der auf die Bühne rannte und sich nicht abweisen ließ. Er schubste den Polizisten von meinem verschwitzten Körper weg und half mir auf.
»Was ist eigentlich los?«, wollte ich völlig verdattert wissen. Darauf Walter: »Irgendein Idiot hat gedroht, dich zu erschießen!«, und dabei dirigierte er mich ruhig, aber bestimmt hinter einen Vorhang. Schaudernd entfuhr es mir: »Wenn der Psychopath eine MP oder eine Granate einsetzt, bist du auch weg!« Während Walter sich eine Zigarette anzündete, antwortete er lachend: »Ich kann dich doch nicht allein krepieren lassen!«
Und dann gibt es noch diese Begebenheit auf dem Weltcon, der 1980 in Mannheim stattfand – sicher ein etwas anderes Kaliber, aber auch typisch Walter. Es wimmelte von Jugendlichen und der Crème de la crème der Moewig-Autoren, vor allem den PERRY RHODAN-Machern. William Voltz war anwesend, desgleichen K. H. Scheer … Das 1000. Heft der Serie wurde gefeiert! In einer Pause standen Walter und ich mit anderen Männern vor einem Urinal und erleichterten uns, als sich ein Bursche mit Heft und Kugelschreiber hinter ihn stellte und um ein Autogramm bat. Walter drehte seinen Oberkörper leicht in Richtung des Jungen, die Linke immer noch am Glied: »Und mit welcher Hand soll ich schreiben?«
Am lebhaftesten erinnere ich mich aber an ein gefährliches Abenteuer, das wir in Brasilien erlebten. Manaus, die heiße Stadt am Amazonas, war der Ausgangspunkt unserer Expedition zu einem Indiostamm weiter oben am Fluss. Kayapo nannten sich die Eingeborenen, und ich hatte gehört, dass dieser Stamm Jahr für Jahr einen Tanz zu Ehren eines Außerirdischen aufführte, der vor vielen Jahrtausenden ihre Vorfahren besucht habe. Da musste ich hin, und Walter war genauso gespannt wie ich. Damals gab es in Brasilien eine Indianerschutzbehörde, die FUNAI. Sie sollte darüber wachen, dass keine Fremdlinge zu den Indiostämmen vorstießen. Doch gegen etwas Bakschisch ließ sich alles arrangieren. Ein pensionierter General machte uns mit einem katholischen Missionar bekannt, der den Stamm regelmäßig mit Medikamenten und dem Evangelium versorgte. Dieser Missionar trug den passenden Namen José Angelo de Dios (Engel Gottes) und erklärte sich gern bereit, uns in seinem einmotorigen Wasserflugzeug zu den Kayapo zu bringen. Und dann ging’s los!
Vorne saßen der Priester und ich, hinter uns Walter, umrahmt von Benzinkanistern, Medikamenten und unseren Rucksäcken. Keiner der Sitzgurte funktionierte. Um die Maschine in die Luft zu bringen, war eine Startbahn von einigen hundert Metern nötig. Der Priester ließ den Motor aufbrüllen und raste schnurstracks in Richtung der Urwaldbäume vor uns. »Heb ab! Heb ab!«, schrie ich, doch das Flugzeug schoss unbeirrt auf die grünbraune Mauer am Ufer zu. Um es kurz zu machen: Wie als Antwort auf unser Stoßgebet brachte der Missionar es tatsächlich fertig, die Maschine zwei Meter vor der Böschung zum Stillstand zu bringen. Dann wendete er die Maschine und tuckerte langsam zurück.
Aber das war noch nicht alles. »Ihr müsst mir helfen«, meinte er und blickte uns aus seinem Runzelgesicht engelsgleich an. »Ihr müsst euch gleichzeitig mit mir vor- und wieder zurückbeugen. Stark wippen müsst ihr, damit die Flugzeugnase nach oben zeigt und die Schwimmer sich vom Wasser lösen können. Verstanden?« Walter starrte den Missionar an. »Sind Sie verrückt? Am Ende der Wasserpiste stehen Urwaldriesen. Wir werden sie voll rammen!« Padre de Dios, der so gar nichts von einem Priester an sich hatte und seine Boxermuskeln unter einem grau verschwitzten Unterhemd versteckte, belehrte uns, er habe diese Art von Start schon mehrfach durchgeführt. Meistens klappe es. Wir sollten Vertrauen haben. »Da braucht es Gottvertrauen«, grinste Walter mich an. »Kannst du beten?«
Der Flieger startete erneut. Zu dritt – der Pilot, Walter und ich – führten wir auf Kommando Wippbewegungen aus. Mit dem ganzen Oberkörper vor und zurück, immer wieder vor und zurück. Beinahe hätten sich die Schwimmer des Flugzeugs auch aus dem Wasser gelöst, doch dann – der jähe Abbruch. Unsere kleine Flugzeugkanzel war die reinste Sauna. Die Unterwäsche klebte uns am Leib, und in der Kabine machte sich Benzingeruch breit. Einer der Kanister schien nicht dicht zu sein. Der Missionar versuchte es immer wieder, und der fünfte Startversuch klappte endlich. Mit breitem Grinsen zog er sein Flugzeug einen Meter über den Wipfeln nach oben. Dann bekreuzigte er sich und wollte sich eine Zigarre anzünden. »Um Gottes willen, nein!«, schrie Walter. »Riechen Sie denn nichts?«
So war Walter. So erinnere ich mich an ihn während unserer gemeinsamen Zeit in den Siebzigern. Vielleicht verstanden wir uns deshalb so gut, weil er wie ich ein Fantast war – ein Visionär, der es wagte, das Undenkbare zu denken, der durch seine Geschichten das Unvorstellbare vorstellbar machte. Und der durch sein Schreiben Millionen Menschen inspirierte!
Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was Walter und K. H. Scheer mit PERRY RHODAN erschufen, das Denken der Jugend mehr beeinflusst hat als alle Politik zusammen. Walter brachte die Serie mit auf den Weg. Seine Fantasie veranlasste unzählige Menschen, die Vision der Weltraumfahrt und eines frühen Kontakts mit Astronauten aus dem All zu teilen. Und das Großartige ist: Es nimmt kein Ende. Die Faszination der Serie lebt weiter. Seit Jahrzehnten ersinnen die Autoren, die sich um die beiden herum gruppiert haben, phänomenale Welten, transportieren die Leser in die Zukunft und in die Vergangenheit und beschreiben nach dem Vorbild der ersten Autorengeneration Ereignisse, die es einmal gab oder noch geben wird. Was für ein Vermächtnis! Was für eine starke Botschaft!
PERRY RHODAN ist nicht nur die erfolgreichste Weltraumserie auf Erden, sondern auch die fantastischste. Sie entfesselt die Fantasie und macht das Unvorstellbare vorstellbar. Und das seit fünfzig Jahren! In meinen Augen ist das ihr größtes Verdienst. Dafür danke ich der Serie und allen, die bisher an ihr mitgewirkt haben. Schon deshalb sollte man jeden einzelnen ihrer Autoren durch den Zuruf adeln: »Sie sind ja ein Fantast!«
»PERRY RHODAN und ich«
von PERRY RHODAN-Gastautor Andreas Eschbach
Andreas Eschbach, zwei Jahre vor dem Serienstart geboren, studierte Luft- und Raumfahrttechnik, arbeitete zunächst als Softwareentwickler und war Geschäftsführer einer EDV-Beratungsfirma, ehe er als Schriftsteller in Erscheinung trat. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen »Das Jesus-Video«, »Die Haarteppichknüpfer«, »Quest«, »Eine Billion Dollar« und »Ausgebrannt«. Er schrieb mit Band 1935 den ersten PERRY RHODAN-Gastroman, der im August 1998 erschien, und seither zwei weitere.
Das erste PERRY RHODAN-Heft meines Lebens war alt, regelrecht zerschlissen und fraglos schon durch viele Hände gegangen. Mein bester Freund Max hatte es mir geliehen. Es trug die