Helen Donlon

Partyinsel Ibiza


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      Zwei Filme waren während der Planungsphase meines ENTER.-Events eine besondere Inspiration: Gaspar Noés Enter The Void und Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, die beide Eskapismus und Voyeurismus thematisieren. Beide beschäftigen sich zudem mit den widersprüchlichen Gefühlen von Isolation und Akzeptanz in einer Gruppe von Freunden und Bekannten, und das erinnerte mich an viele Erfahrungen, die ich innerhalb der Party-Kultur Ibizas gemacht habe.

      Ibiza ist ein Ort, der für die meisten Menschen weit von ihrem „realen“ Alltagsleben entfernt ist, ein Ort, der sie dazu einlädt, aus diesem Alltag zu entfliehen, sich in ihrer eigenen Realität zu isolieren und in ein Paralleluniversum aus Phantasie-Erfahrungen einzutauchen. Ein Ort, weit weg von den Normen der Gesellschaft, der Freiheit suggeriert, wenn nicht sogar garantiert. Diese Themen wurden zu den Grundlagen dessen, was ENTER. heute ist. Wenn man auf der Insel aus dem Flugzeug steigt, lässt man die Realität hinter sich und geht der Phantasie entgegen, die diese Insel repräsentiert. Auf dem schmalen Grat zwischen dem, was real ist und was nicht – dort liegt Ibiza. Ein schwarzes Loch in der Mitte der Welt, wo alles möglich ist.

      Richie Hawtin, Februar 2015

      Es ist kein Zufall, dass „Pirat“ und „Party“ aus fast den gleichen Buchstaben bestehen. Und die starke Verbindung zwischen beidem ist nirgendwo auf der Welt klarer zu erkennen als auf Ibiza. Jahrhundertelang haben hier Piraten, Ausgestoßene und individualistische Freigeister verschiedene Arten des Lebens und des Feierns ausprobiert oder zerstört, und daran hat sich hinter den Kulissen nicht viel geändert, auch wenn die heutigen Partypiraten inzwischen mehr oder weniger innerhalb einer gewissermaßen „zivilisierten“ Inselgesellschaft leben.

      Auf Ibiza sind die Partys anders als sonst irgendwo, wie jeder gern bestätigen wird, der die Insel auch nur ein bisschen kennt. Immer wieder brachten fremde Völker ihre Einflüsse hierher mit: Römische Dekadenz, die Trommelrituale der Mauren oder die religiösen Symbole der Hindus und Buddhisten spielten alle eine Rolle, verbanden sich mit dem Plünderergeist der Piraten und legten damit das Fundament für die Grundsätze, die heute noch die Ibiza-Clubnächte oder After-Partys bestimmen. Ob die Trance-Partys tief in den Wäldern, die Trommler, die den Sonnenuntergang inszenierten, oder auch die Freaks, die sich irgendwo unter freiem Himmel mit Gitarren und Bandmaschinen zusammenfanden und drei Tage lang Jazz und Rock hörten – dass die heute weltweit bekannten Clubs entstanden und zu dem wurden, was sie sind, war eine direkte Folge all jener Entwicklungen, die sich zuvor auf der Insel vollzogen hatten.

      Die ersten Nightclubs wurden von den Hippies ins Leben gerufen und standen allen offen, ob sie nun arm oder reich, international oder einheimisch, schwul oder hetero waren. Die Weltenbummler, die vom „Hippie-Trail“ zurückkehrten, die Köpfe voller psychedelischer Drogen und esoterischer, bunter Ideen, bereicherten diese Events um viele neue Elemente, die sie von ihren Reisen mitbrachten. Man legte Kissen aus und tanzte auf den Terrassen, unter den Sternen, unter dem Sonnenaufgang. Daraus entstanden nach und nach die legendären Clubs.

      Aber es gibt auch eine andere Seite der Geschichte: die der zwielichtigen Mafia-Verbindungen, korrupten Politiker, von Verrat und intriganten Gemeinheiten, vordergründigen Drogenrazzien, Auftragsmorden, Selbstmorden und hohen Bußgeldern.

      Doch genauso wichtig waren stets weltfremde Originalität und futuristische Visionen, talentierte Impresarios, impulsive Genialität, idealistisch-utopische Zusammenhänge und neue Definitionen dafür, wie man Zeit, Raum und menschliche Körper miteinander verschmelzen kann. Ibiza ist das Zentrum der Chill-Out-Kultur, und wenn sich deren Geist mit den unvergleichlichen Clubnächten der Insel verbindet, wird die daraus entstehende Party-Erfahrung zum perfekten, euphorischen Gesamterlebnis.

      Nachdem ich viele Saisons von Anfang bis Ende auf der Insel erlebt habe und dabei fast zehn Jahre lang als Clubland-Korrespondentin für verschiedene Magazine und als Party-Promoterin tätig war, ist es mir ein Anliegen geworden, detailliert und aus erster Hand die ganze Geschichte der Partyinsel Ibiza zu erzählen. In diesem Buch verbindet sich die wechselvolle Entwicklung der einzelnen Clubs mit neuen und exklusiven Interviews, die ich mit einigen der größten DJs und anderen Schlüsselfiguren der Club­szene führen konnte – vor der farbenprächtigen Kulisse einer Insel, die sich im Laufe der Jahrhunderte stetig veränderte und immer neuen Einflüssen ausgesetzt war, bis hin zu den Aussteigern und Freaks, die den Grundstein für die Clublandschaft Ibizas legten, wie wir sie heute kennen.

      Helen Donlon, Frühjahr 2015

      „Jeden Stromschlag hautnah erleben … das elektrisierende Beben eines Psychedelic Circus … die Beatniks … Freaks … und Acidheads … ihre Ekstasen, ihre Qual und ihre bizarre Sinnlichkeit … Dieser Film zeigt alles über ihre verdorbenen Träume und wilden Phantasien!“

      Mit solchen reißerischen Slogans wurde Ende der 1960er-Jahre für den Film Hallucination Generation geworben. Die grelle Drogenstory wurde 1966 auf Ibiza gedreht, und zwar größtenteils in Schwarzweiß, sah man von den Trip-Szenen ab, denen man um der Unterscheidung willen einen berauschten Sepiaton verlieh. Der Film porträtierte die Insel als Treffpunkt für vagabundierende Beatniks und Kiffer, die ihre Tage damit zubrachten, in alten Fincas herumzugammeln oder sich, angetan mit schwarzen Sonnenbrillen und schwarzen Pullovern, in den Bars am Hafen herumzudrücken: eine hedonistische Lebensweise, für die das pittoresk abgewirtschaftete Ibiza eine perfekte Kulisse bildete. Dieser größtenteils in Vergessenheit geratene Streifen war im Grunde nichts weiter als eine streckenweise geradezu alberne LSD-Version des Drogenklassikers Reefer Madness von 1936, doch heute ist Hallucination Generation ein Geschenk für Lokalhistoriker: Er bietet einen frühen, seltenen Blick auf die einzigartige internationale Künstlerszene, die sich damals am Hafen versammelte und gewissermaßen der Hippie-Invasion vorausging, die Ibiza wenig später erleben sollte.

      Die Beatniks waren die ersten Freaks, die in größerer Zahl auf der Insel eintrafen, und da es sich um ein relativ kleines Grüppchen handelte, kannte in dieser Szene jeder jeden. In jenen glücklichen Tagen erwarben sich die Bars rund um das alte Hafenviertel von Ibiza-Stadt den Ruf, dass sich hier Wegbereiter und Außenseiter sammelten, schräge Vögel, für die beispielsweise schon die Veröffentlichung eines neuen Jazz-Albums ein gesellschaftliches Großereignis war.

      Auf die Beatniks sollte nur wenige Jahre später ein etwas bunteres Völkchen folgen, die Hippies, die besonders von den Naturschönheiten begeistert waren, die Ibiza zu bieten hatte. Die einheimischen Ibicencos nannten sie peluts (ein Ausdruck, der auf Katalanisch „die Haarigen“ bedeutet) und lebten mit ihnen zumeist in einer entspannten, wenn auch trügerischen entente cordiale. Schließlich waren die peluts, genau wie die Beatniks, nur die Letzten in einer sehr, sehr langen Reihe von Aliens, die auf der Insel aufschlugen und dabei unterschiedlich herzlich willkommen geheißen wurden. Der Tourismus, dessen Förderung Generalissimo Francisco Franco zur Chefsache gemacht hatte, steckte auf Ibiza damals noch in den Kinderschuhen, während auf der Nachbarinsel Mallorca bereits kräftig dafür gebaut wurde. Aber als es dann auf Ibiza richtig losging, drückte der Tourismus auch dieser Insel seinen billigen, fröhlichen Stempel auf.

      Heute wirbt Ibiza vor allem mit einer großen Attraktion: der außergewöhnlichen und berüchtigten Clubszene. Beobachtern erscheint sie als das gemästete Kalb der Insel, ein primitiver Zirkus aus Musik, Tanz, Stimulanzien, überbezahlten DJs, vor Touristen überquellenden Superclubs und einer schier unglaublichen Vielfalt von Merchandise-Artikeln, mit denen versucht wird, aus dieser Szene Kapital zu schlagen. Dabei zählt Ibiza, das geografisch betrachtet von Barcelona genauso weit entfernt ist wie von Algier, tatsächlich eher zu den Mittelmeerzwergen und misst weniger als 45 Kilometer in der Länge und 25 Kilometer in der