A. F. Morland

Die Schwester, die Dr. Härtling belog: Arztroman


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kamst, in dich verliebt.”

      Sie schien das nicht gern zu hören. Die Falte über ihrer Nasenwurzel wurde tiefer.

      „Ist dir mein Geständnis unangenehm?”, fragte Timo zaghaft.

      „Du solltest dich nicht in ein Mädchen verlieben, das du nicht kennst.”

      „Mir ist das auch noch nie passiert. Aber bei dir hat es mich erwischt. Ich konnte es nicht verhindern. Es traf mich völlig unvorbereitet, und nun bin ich krank und kann nur auf eine Art geheilt werden ...”

      Claudia sah dem Kellner nach, der an ihrem Tisch vorbeiging.

      „Findest du es schlimm, dass ich in dich verliebt bin?”, fragte Timo sanft.

      „Nein. Aber du wünschst dir natürlich, dass ich deine Gefühle erwidere, und ich fürchte, das kann ich nicht.”

      „Wieso nicht?”

      Claudia sagte nichts.

      „Findest du mich abstoßend?”, wollte Timo wissen.

      „Wie kannst du so etwas Unsinniges fragen? Ich wäre doch nicht mit dir ausgegangen ...“

      „Magst du mich, Claudia?”, drang er weiter in sie „Ich finde dich sehr nett. Du bist mir sehr sympathisch, aber das hat nichts mit Liebe zu tun.”

      „Daraus kann Liebe werden.”

      „Das glaube ich nicht.”

      „Ich habe Zeit, ich kann warten”, lächelte Timo. „Warum bist du immer so traurig. Claudia? Ich habe dich noch nie lachen sehen.”

      „Ich bin ein ernster Mensch.”

      „Ich habe manchmal den Eindruck, dass dich etwas bedrückt.”

      „Das ist ein falscher Eindruck”, behauptete Claudia rasch.

      „Irgend etwas verhindert, dass du glücklich bist”, nahm Timo Faber an. „Leben deine Eltern noch?”

      „Nein. Sie kamen vor fünf Jahren bei einem Lawinenunglück in den Schweizer Alpen ums Leben.”

      „Das tut mir leid.”

      Claudia nickte kaum merklich. „Ich hatte sie sehr gern. Meine Mutter war eine herzensgute Frau, und mein Vater rieb sich auf für seine Familie.”

      „Und nun — bist du mutterseelenallein auf der Welt?”

      Claudia schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Bruder.” Ihre Miene wurde hart. „Ich hätte lieber keinen Bruder.”

      „Was hast du gegen ihn?”

      „Oh, eine ganze Menge” Sie verstummte kurz. Ihr Blick verdüsterte sich. „Arnulf ist kein guter Mensch. Er hat überhaupt nichts von unseren Eltern mitbekommen. Manchmal denke ich, man hat ihn nach der Geburt irrtümlich ausgetauscht.” Sie merkte, dass sie schon zu viel über ihren Bruder gesagt hatte, und unterbrach sich.

      „Hat er dich schlecht behandelt?”, wollte Timo wissen.

      Claudia antwortete nicht.

      „Was ist er von Beruf?”, erkundigte sich der junge Mann nun.

      Claudia schaute ihn mit kalten Augen an. „Der Abend verlief bisher sehr nett. Bitte verdirb mir nicht die Stimmung, indem du mich weiter mit Fragen nach meinem Bruder löcherst.”

      Er hob sofort die Hände und sagte: „Entschuldige.”

      Arnulf war für sie also ein Reizwort! Es wäre ein Fehler gewesen, noch mehr über ihn in Erfahrung bringen zu wollen. Vielleicht war Claudia ein andermal bereit, näher auf ihn einzugehen. Um sie nicht zu verärgern, wechselte Timo das Thema und rettete damit den Abend. Aber er konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass Claudia nicht nur wegen ihres missratenen Bruders immer so betrübt war. Da musste auch noch etwas anderes sein ...

      5

      Als Dr. Sören Härtling von der Paracelsus-Klinik nach Hause kam, zeigte ihm die neunjährige Josee, der Sonnenschein der Familie, voller Stolz ein Familienporträt, das sie gemalt hatte. Alle waren drauf auf dem großen Zeichenblatt — Mutter, Vater, Tom, die Zwillinge Ben und Dana. Josee selbst, und auch Ottilie, die Wirtschafterin, hatte sie nicht vergessen.

      Alle Personen wirkten flach und stilisiert. Die kleine Künstlerin hatte sich bei ihrer Darstellung auf das Wesentliche beschränkt und dieses so sehr überspitzt, dass es für die Betroffenen nicht eben schmeichelhaft war.

      Trotzdem lobte Sören die Zeichnung, wusste er doch, dass keine böse Absicht dahintersteckte.

      Er gab seiner Frau einen Begrüßungskuss. Jana trug einen schmeichelnd schönen himmelblauen Pulli, dessen Hauptgarn aus seidig glänzender Baumwolle bestand und der mit Krausrippen aus meliertem Garn und lustigen eingehäkelten Noppen aufgepeppt war. Leise flüsterte er ihr ins Ohr, er sei froh, dass sie in natura ein bisschen besser aussehe als auf Josees Zeichnung.

      Jana erkundigte sich schmunzelnd, wie sein Tag gewesen war. Früher Kinderärztin, heute Hausfrau und Ärztin für die eigenen Kinder, interessierte sie sich nach wie vor für alles, was die Klinik betraf, die ihr Vater, Professor Dr. Walter Paracelsus, nach dem Krieg gegründet hatte.

      Heute gab es nicht viel zu berichten. Der Tag war ohne Aufregungen und Höhepunkte abgelaufen. Sören hätte nichts dagegen gehabt, wenn es häufiger solche Tage gegeben hätte.

      Schwester Claudia kam ihm in den Sinn. „Wenn man sie bei der Arbeit beobachtet”, sagte er zu Jana, „könnte man meinen, sie hätte in ihrem ganzen Leben nichts anderes gemacht, als Kranke zu pflegen. Dabei ist sie noch sehr jung! Es ist wirklich erstaunlich, was sie leistet. Sie ist schnell, zuverlässig und sicher, und jeder Handgriff sitzt, als hätte sie ihn tausendmal geübt.”

      Mofageknatter erklang vor dem Haus. Gleich darauf kamen die siebzehnjährigen Zwillinge herein, Sie hatten wieder mal eine heiße Diskussion, und Sören war froh, dass sie ohne Schiedsrichter auskamen.

      „Wo ist Tom?”, erkundigte sich Sören.

      „Bei einem Freund”, antwortete seine Frau. „Der hat ein paar neue CD’s, die unser Herr Sohn unbedingt hören muss.”

      „Ich hoffe, er vergisst darüber nicht, wann wir zu Abend essen.”

      „Er wird rechtzeitig hier sein”, versicherte Jana ihrem Mann.

      Zwanzig Minuten später servierte Ottilie das Abendbrot, und Tom saß zwischen Josee und Ben am Tisch. Sogar mit sauberen Händen — was man bei ihm nicht unbedingt als Selbstverständlichkeit ansehen konnte!

      „Wisst ihr schon das Neueste?”, fragte Dana in die Runde „Oscar de Angelis hat geheiratet.”

      Ben staunte „Ist nicht wahr? Von wem hast du das?”

      „Von Rebekka Krantz. Die ist doch sein größter Fan. Es gibt nichts, was sie nicht von ihm weiß. Jeden seiner Filme hat sie mindestens fünfmal gesehen, und wenn er in München ist, belagert sie rund um die Uhr sein Hotel. Sie war ganz sicher, dass er sich irgendwann mal in sie verlieben würde”

      „Und nun diese kalte Dusche”, sagte Ben lächelnd.

      „Sie ist völlig geknickt. Sie hat mir gestanden, dass sie nicht mehr leben möchte.”

      „So ein verrücktes Huhn.” Ben schüttelte verständnislos den Kopf.

      „Für sie ist eine Welt zusammengebrochen.”

      „Das ist kein Grund, so etwas Dummes zu sagen. Wen hat Oscar de Angelis denn zur Frau genommen?”

      „Irgendein unbekanntes Starlet. Rebekka versteht die Welt nicht mehr.”

      „Sie wird darüber hinwegkommen”, warf Sören Härtling ein.

      „Um sie zu trösten, habe ich ihr gesagt, dass diese Ehe bestimmt nicht lange halten wird”, berichtete Dana weiter. „Nun wartet sie voller Ungeduld auf die Nachricht,