ist, und zugleich im Verlangen nach Ehre das rechte Maß beobachtet. Wir tadeln einerseits den Ehrgeizigen, weil er im Übermaß und aus unrechter Quelle Ehre gewinnen will, anderseits tadeln wir den Nichtehrgeizigen, weil er nicht einmal die Ehre sucht, die aus dem sittlich Schönen erwächst. Es kommt aber auch, wie wir schon in den früheren Abschnitten bemerkt haben, vor, daß wir den Ehrgeizigen als mannhaft und für das Gute begeistert und den Nichtehrgeizigen als maßvoll und besonnen mit Lob erheben.
Man sieht also, daß man die Bezeichnung »ehrgeizig« in verschiedenem Sinne gebraucht, und wir darum, wenn wir jemanden so nennen, es nicht immer mit Bezug auf das Nämliche tun, sondern beim Lobe daran denken, daß einer mehr auf Ehre sieht als der große Haufe, beim Tadel dagegen daran, daß er es mehr tut als recht ist. Da nun die Mitte keine eigene Bezeichnung hat, so scheinen die Extreme um sie, als wäre sie unbesetzt, zu streiten. Aber wo Übermaß und Mangel ist, da ist auch eine Mitte. Und da man nach der Ehre teils mehr teils weniger als sich geziemt, streben kann, so kann es auch in geziemender Weise geschehen, und mit dem Lobe, das hier gespendet wird, ist dieser Habitus gemeint, der in Bezug auf die Ehre die Mitte hält und keinen Namen hat.
Er erscheint, gegen den Ehrgeiz gehalten, als Mißachtung der Ehre, gegen die Mißachtung der Ehre gehalten, als Ehrgeiz, gegen beides gewissermaßen als beides. Dies scheint auch bei den anderen Tugenden der Fall zu sein, nur daß in unserem Falle blos die Extremen sich gegenüber zu stehen scheinen, weil derjenige, der sich in der Mitte hält, keinen Namen hat.
Elftes Kapitel.
Sanftmut ist die Mitte bei den Zornesaffekten. Da aber der Mittlere und auch so ziemlich die Extremen unbenannt sind, so beziehen wir die Sanftmut, die doch nach Seiten des gleichfalls unbenannten Mangels neigt, auf den Mittleren. Das Übermaß kann man Zornmütigkeit nennen. Denn der Affekt ist Zorn, was ihn aber hervorruft, ist vieles und verschiedenes.
Wer nun zürnt worüber er soll, und wem er soll, und dazu wie, wann und solange er soll, wird gelobt, und so wäre er denn der Sanftmütige, wenn anders die Sanftmut Lob erhält. Denn der Sanftmütige soll ein Mann sein, der sich nicht verwirren und von seinem Affekt fortreißen läßt, sondern in der Art, in der Veranlassung und in der (1126a) Dauer seines Zornes nur der Vernunft Gehör gibt. Er scheint aber vielmehr nach seite des Mangels zu fehlen, weil der Sanftmütige nicht zur Rache, sondern vielmehr zum Verzeihen geneigt ist.
Der Mangel, mag er nun Zornlosigkeit oder sonst was immer sein, erfährt Tadel. Denn die nicht zürnen worüber sie sollen, und nicht wie sie sollen, noch wann, noch wem sie sollen, scheinen töricht zu sein. Man meint ja, ein solcher Mensch habe keine Empfindung und könne nicht gekränkt werden und sei wehrlos, da er nicht zornig werde. Sich aber Schimpf gefallen zu lassen und seine Angehörigen nicht dagegen zu schützen, verrät knechtischen Sinn.
Das Übermaß kann in allen Beziehungen stattfinden. Man kann zürnen wem man nicht soll, und worüber man nicht soll, und ärger und schneller und länger als man soll. Aber nicht alles findet sich in derselben Person vereinigt. Das wäre unmöglich; denn das Schlechte vernichtet sich selbst und würde in seiner Vollständigkeit unerträglich. Die Zornmütigen werden nun zwar schnell zornig und werden es über wen sie es nicht sollen, und worüber sie nicht sollen, und ärger als sie sollen. Sie hören aber schnell auf zu zürnen, und das ist das beste an ihnen. Dieses widerfährt ihnen, weil sie den Zorn nicht in sich verschließen, sondern wegen ihrer Reizbarkeit offen herausfahren und dann wieder ruhig werden. Übermäßig aufgeregt aber sind die Jähzornigen und bei allem und über alles zum Zorne geneigt; daher auch ihr Name96. Die Bittern sind schwer versöhnlich und zürnen lange Zeit. Denn sie verschließen ihren Grimm in sich. Die Ruhe aber stellt sich ein, wenn man Vergeltung geübt hat. Denn die Rache setzt dem Zorne ein Ziel, indem sie Freude an Stelle des Schmerzes hervorruft. So lange dieses nicht geschieht, bleibt der Druck auf ihnen lasten. Denn da ihre Stimmung nicht nach außen tritt, so redet auch niemand ihnen gütlich zu, und um für sich selber den Zorn zu verwinden, braucht es Zeit. Solche Leute sind sich selbst und ihren besten Freunden eine schwere Last. Grimmig97 nennen wir die, die aus unrechtem Anlaß und mehr und länger als sich gehört, zürnen und nicht eher aufhören, bis Rache oder Strafe erfolgt ist.
Zu der Sanftmut stellen wir mehr das Übermaß des Zorns in Gegensatz. Denn einmal kommt dasselbe häufiger vor, da es mehr in der menschlichen Art liegt, sich zu rächen. Und dann ist auch mit den Grimmigen schlechter umgehen als mit denen, die übermäßig milde sind.
Aus dem Gesagten ergibt sich eine Wahrheit, von der wir schon bei früherer Gelegenheit gesprochen haben. Es ist nicht leicht, genau zu bestimmen, wie und wem und worüber und wie lange man zürnen soll, und welches die Grenze des rechten und des verkehrten Verhaltens ist. Denn wer dieselbe nur um weniges überschreitet, sei es nach seiten des Zuviel oder des Zuwenig, erfährt keinen Tadel. Zuweilen loben wir diejenigen die das Zuwenig (1126b) haben und nennen sie sanftmütig; zuweilen loben wir auch die Zornigen als zum Herrschen geeignet. Wie weit also und wie man von der Mitte abweichen muß, um dem Tadel zu verfallen, läßt sich nicht leicht mit Worten angeben, da das Urteil es hier mit dem Einzelnen zu tun hat und dem Sinne anheimfällt98.
So viel ist jedenfalls klar, daß die Mitte ein lobenswerter Habitus ist, vermöge dessen wir zürnen wem wir sollen und worüber wir sollen, und was sonst noch alles hieher gehört; und daß das Übermaß und der Mangel tadelnswert sind, und zwar wenn beide gering sind in geringem Maße, wenn bedeutender, in höherem, und wenn sehr bedeutend, im höchsten Maße.
Man sieht also, daß man sich an den mittleren Habitus zu halten hat.
Hiermit sind die auf den Zorn bezüglichen Charaktereigenschaften erledigt.
Zwölftes Kapitel.
Was den Umgang, das Zusammenleben und den Verkehr in Worten und Handlungen betrifft, so scheinen die einen gefallsüchtig zu sein, jene nämlich, die alles den Leuten zu liebe loben, einem in keiner Sache entgegentreten, sondern sich für verpflichtet halten, denen, die mit ihnen verkehren, nicht unangenehm zu werden. Diejenigen, die umgekehrt wie die Vorigen in allem widersprechen und sich nicht im mindesten darum kümmern, ob sie jemanden unangenehm werden, werden eigensinnig und streitsüchtig genannt.
Es ist klar, daß die genannten Charaktereigenschaften tadelnswert und die zwischen ihnen in der Mitte liegende Eigenschaft, vermöge deren man billigt und verwirft was man soll und wie man soll, lobenswert ist. Sie hat aber keinen Namen bekommen, gleicht jedoch am meisten der Gesinnung, die den Verkehr unter Freunden bestimmt. Denn wer den mittleren Habitus besitzt, ist das, was wir meinen, wenn wir von einem rechten Freunde sprechen, nur daß bei diesem noch die Liebe hinzukommt. Denn der Unterschied dieser Eigenschaft von der Freundschaft besteht darin, daß ihr der Affekt abgeht, die Liebe zu denen, mit welchen man verkehrt. Wer die gedachte Eigenschaft hat, nimmt jegliches gebührend auf, nicht weil er liebt oder haßt, sondern weil es so in seinem Wesen liegt. Er wird dies gleichmäßig gegen Unbekannte und Bekannte, gegen Nahestehende und Fernstehende tun, nur freilich gegen jeden, wie es sich paßt. Denn es ist nicht geziemend, das gleiche Interesse an Vertrauten und Fremden zu nehmen, und ebensowenig sie ohne Unterschied unangenehm zu berühren.
Im allgemeinen also gilt, wie gesagt, daß er im Verkehr sich auf die rechte Art verhalten wird. Er ist von der Rücksicht auf das Gute und Nützliche bestimmt, wenn er bestrebt ist, verletzendes zu vermeiden oder Anderen Vergnügen zu machen. Denn da er es mit dem Angenehmen und Unangenehmen des Umgangs zu tun hat, so wird er, falls er zu dem Vergnügen Anderer nicht beitragen kann, ohne daß es für ihn unsittlich oder schädlich ist, dasselbe jedesmal