Aristoteles

Gesammelte Werke


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der Verstand, und nicht der Logos, das Vermögen der Schlußfolgerung; und der eine Verstand, der es mit den Demonstrationen zu tun hat, geht auf die unbeweglichen und ersten Begriffe, der andere aber, der praktische, auf das Letzte, das Mögliche, den Untersatz. Solches ist Prinzip im Sinne des Zweckes oder des Beweggrundes; das Einzelne kann ja Prinzip sein, weil man aus ihm das Allgemeine gewinnt. Dieses Einzelne muß nun durch Wahrnehmung erfaßt werden, diese aber ist Verstand178. Darum scheinen diese Vorzüge auch physischer Art zu sein, und während man Niemanden von Natur für weise hält, nimmt man dagegen an, daß man Diskretion, Verständigkeit und praktischen Verstand als eine Naturanlage besitze. Ein Zeichen dessen liegt in der Vorstellung, die wir haben, als folgten diese Eigenschaften den verschiedenen Lebensaltern, und darin, daß ein bestimmtes Alter Verstand und Diskretion besitzt, als wäre die Natur die Ursache davon179.

      Daher ist der (praktische) Verstand (von Seite seines Gegenstandes) wie Anfang so auch Ende. Denn seine Schlußfolgerungen gehen vom Letzten und Einzelnen aus und beziehen sich auch darauf.

      Deswegen muß man auf die ohne Beweis ausgesprochenen Behauptungen und Meinungen der Erfahrenen, Alten und Klugen nicht weniger achten als auf die Demonstrationen. Denn weil sie ein durch Erfahrung geschärftes Auge haben, so sehen sie richtig.

      Dreizehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Wollte man aber sagen, die Klugheit sei nicht dafür da, um die Tugenden besser zu äußern, sondern um tugendhaft zu werden, so wäre sie dem, der tugendhaft ist, zu nichts nütze; aber auch dem nicht, der die Tugend nicht hat. Denn ob einer die Klugheit selbst besitzt oder Anderen, die sie besitzen, Folge leistet, möchte nichts austragen. Das letztere könnte uns genügen, wie es ja auch bezüglich der Gesundheit der Fall ist. Wir wollen alle gesund sein und studieren darum doch nicht alle Medizin.

      Zudem scheint es ungereimt, wenn sie (die Klugheit), die doch geringer ist als die Weisheit, wichtiger und maßgebender sein soll als sie. Denn die hervorbringende Tugend herrscht und befiehlt in allen Dingen.

      Hierüber also müssen wir uns erklären. Denn bis jetzt haben wir nur Fragen und Bedenken aufgeworfen.

      (1144a) Wir sagen also zuerst, daß diese beiden Tugenden, selbst wenn keine von ihnen etwas hervorbrächte, doch notwendig an und für sich begehrenswert wären, insofern jede von ihnen die Tugend und Vollkommenheit eines anderen Seelenteils ist.

      Was aber den Einwand angeht, daß niemand wegen der Klugheit in höherem Grade sittliche und gerechte Handlungen verrichte, so müssen wir zu seiner Entkräftung etwas weiter zurückgreifen und von folgendem ausgehen. Manche Personen, die gerechte Handlungen vollbringen, nennen wir darum noch nicht gerecht, solche z. B. nicht, die die gesetzlichen Vorschriften unfreiwillig oder unwissentlich oder aus sonst einem Grunde, nicht aber wegen der Vorschriften selbst beobachten, ob sie gleich das tun, was sie sollen und dem Tugendhaften die Pflicht auferlegt. Ebenso nun, scheints, gibt es auch eine bestimmte Verfassung, die erst jegliches so zur Ausführung gelangen läßt, daß es wahrhaft gut ist, ich meine ein Handeln aus freier Willenswahl und um der tugendhaften Handlung selbst willen. Daß nun die Willenswahl die rechte sei, ist das Werk der Tugend, daß aber alles das geschehe, was von Natur zur Erreichung des von der Tugend gewählten Zieles dient, ist nicht das Werk der Tugend, sondern eines anderen Vermögens. Wir müssen uns das noch deutlicher zum Verständnis bringen und noch etwas ausführlicher davon reden.

      (1144b) Wenden wir nun wieder der Tugend unser Augenmerk zu. Auch sie verhält sich zur Geschicklichkeit ähnlich wie die Klugheit: ohne mit ihr eins zu sein, ist sie ihr doch ähnlich. Ebenso verhält sich die natürliche Tugend zu der Tugend im eigentlichen Sinne. Denn jedermann scheint die einzelnen Charaktereigenschaften, die er hat, gewissermaßen von Natur zu besitzen. Die Eigenschaften der Gerechtigkeit, der Mäßigkeit, des Mutes und so weiter haben wir gleich von Geburt an, und dennoch fordern wir, daß das eigentliche Gute noch etwas anderes sei, und daß der Mensch solche Eigenschaften noch auf eine andere Weise besitze. Denn die natürlichen Dispositionen sind auch Kindern und Tieren eigen; da sie aber bei ihnen ohne das Geleite des Verstandes erscheinen, so richten sie leicht auch Schaden an. Jedenfalls ist, scheints, soviel ersichtlich, daß wie es einem starken Körper, der sich ohne Sehkraft bewegt, begegnen kann, daß er stark anstößt, weil ihm das Gesicht fehlt, es sich ebenso auch hier verhält. Wenn aber zu einem solchen Körper der Verstand hinzutritt, so leistet er Ausgezeichnetes. Der Habitus aber wird dann eigentliche Tugend, da er bis dahin ihr nur ähnlich war. Wie es also in dem meinenden und theoretisch urteilenden Seelenteil zwei Arten von Prinzipien des Handelns gibt, die Geschicklichkeit und die Klugheit, so gibt es auch im appetitiven und ethischen Teil ihrer zwei, die eine ist natürliche, die andere die eigentliche Tugend, und von diesen entwickelt die eigentliche sich nicht ohne Klugheit.