Aristoteles

Gesammelte Werke


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      Die Art, wie man die Liebe zu den Freunden betätigt, (1166a) und die Merkmale, durch die man den Begriff der Freundschaft bestimmt, scheinen aus dem Verhalten hervorgegangen zu sein, das wir gegen uns selbst beobachten.

      Man bezeichnet als Freund denjenigen, der uns das Gute, oder was so erscheint, um unseretwillen wünscht und tut, oder denjenigen, der uns Sein und Leben um unseretwillen wünscht, wie das die Gesinnung der Mütter gegen ihre Kinder oder die von Freunden in dem Falle ist, daß sie wegen eines Zerwürfnisses nicht zusammen leben können. Andere verstehen unter einem Freunde den, der mit uns umgeht und mit uns die gleichen Neigungen hat, oder den, der Leid und Freude mit uns teilt, was auch wieder vorzugsweise bei den Müttern in Bezug auf ihre Kinder der Fall ist. Entsprechend diesen verschiedenen Auffassungen bestimmt man auch die Freundschaft.

      Die angegebenen Dinge finden sich scheinbar auch bei der großen Menge, mag sie auch schlecht sein. Hat man nun wirklich teil an ihnen, insofern als man an sich selbst Gefallen findet und sich für vortrefflich hält? Daß kein vollendeter Bösewicht und Übeltäter sie hat, auch nicht dem Scheine nach sie hat, ist ja selbstverständlich. Aber das gleiche gilt wohl auch so ziemlich von schlechten Menschen überhaupt. Sie liegen mit sich selbst im Zwiespalt, und ihre sinnliche Gier steht nach anderen Dingen als ihr vernünftiger Wille, wie es bei den Unenthaltsamen der Fall ist. Sie ziehen dem, was sie selbst als gut ansehen, das Lustbringende, das ihnen schädlich ist, vor. Andere wieder scheuen sich aus Feigheit und Trägheit, das zu tun, was nach ihrer eigenen Überzeugung das beste für sie wäre. Die aber in ihrer Schlechtigkeit viele schwere Verbrechen begangen haben, hassen und fliehen das Leben und enden durch Selbstmord. – Der schlechte Mensch verlangt nach Gesellschaft und flieht vor sich selbst; in der Einsamkeit kommen ihm viele böse Erinnerungen und nicht minder schlimme Ängsten, die er in Gesellschaft anderer vergißt; da er nichts Liebenswertes an sich hat, so kann er auch nicht mit sich selbst in Freundschaft leben. – Auch teilt ein solcher Mensch so wenig Freude als Leid mit sich selbst. Seine Seele ist in Aufruhr; der eine Teil von ihr empfindet aus Schlechtigkeit Schmerz über Entbehrungen, der andere freut sich darüber, und der Teil zieht die Seele hieher, der dorthin, als sollte sie zerrissen werden. Und wenn es nicht möglich ist, gleichzeitig Unlust und Lust zu empfinden, so ärgert man sich doch in kurzer Frist über die gehabte Freude und möchte sie lieber nicht gehabt haben. Denn böse Menschen sind übervoll von Reue. So sieht man also, daß der böse Mensch nicht einmal gegen sich selbst freundschaftlich gesinnt ist, weil er nichts Liebenswertes an sich hat. Wenn demnach solch ein Zustand überaus unglücklich ist, so muß man mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft das Laster fliehen und die Tugend zu erwerben suchen. Dann wird man mit sich selbst in Freundschaft leben und auch eines anderen Freund werden.

      Fünftes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Daher könnte man das Wohlwollen metaphorisch eine untätige Freundschaft nennen, die aber, wenn sie länger dauert und zur Vertrautheit wird, in wirkliche Freundschaft übergeht, eine Freundschaft nicht wegen des Vorteils oder der Lust, da wegen solcher Dinge kein Wohlwollen entsteht. Denn derjenige, der Wohltaten empfangen hat und zum Dank für das Empfangene Wohlwollen schenkt, erfüllt nur eine Forderung der Gerechtigkeit; und wer jemanden Wohlergehn wünscht, weil er davon Vorteile für sich erhofft, ist nicht sowohl gegen jenen wohlwollend als vielmehr gegen sich selbst, so wie auch der sein Freund nicht ist, der ihm in eigennütziger Absicht Aufmerksamkeiten erweist. Überhaupt wird Wohlwollen wegen irgend einer Tugend und trefflicher Eigenschaft erworben, wenn uns jemand als sittlich gut, tapfer u. s. w. erscheint, wie das bei den Wettkämpfern zutrifft, von denen die Rede war.

      Sechstes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis