Jef Cumps

Soziokratie 3.0 – Der Roman


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Menschen die Absicht verfolgen, das Konsent-Prinzip vollständig umzusetzen«, fügt er hinzu.

      »Hmm, das ist interessant«, sage ich und halte einen Moment zum Reflektieren inne.

      »Ich würde vermutlich Informationsveranstaltungen oder Schulungen interessant finden, solange sie freiwillig sind«, fahre ich fort. »So kann ich auswählen, welche S3-Muster mir und meinem Team helfen und welche nicht. Und vielleicht wäre ein Coach nützlich; jemand mit Erfahrung, den ich um Hilfe bitten kann. Das wäre auf jeden Fall besser als ein Manager, der uns Dinge aufzwingt.«

      Bei Veränderung geht es nicht nur um die sichtbaren Dinge im Unternehmen, sondern auch um das Unsichtbare: die Art, wie die Menschen denken, und ihre Glaubenssätze.

      »Richtig«, sagt Bernie. »Also freiwillige Trainings und Unterstützung. Und selbst wählen, wie man seine Ziele erreicht.«

      Ich nicke.

      »Ich stimme dir vollständig zu, Chris«, sagt Bernie. »Ich nenne diesen Ansatz ›Einladungsbasierte Veränderung‹, auch wenn das S3-Muster dazu Veränderung einladen heißt. Das ist nach meiner Erfahrung viel kraftvoller als ein Veränderungsvorhaben, das vorher detailliert ausgearbeitet wurde und dann den Mitarbeitern aufgezwungen wird. Das gilt insbesondere für ein Unternehmen wie HRS, das bereits eine gewisse Reife erlangt hat.«

      »Einladungsbasierte Veränderung bedeutet aber nicht, dass jeder tun kann, was er will«, erklärt Bernie. »Als Führungskraft setzt du zunächst klare Ziele für das Unternehmen und dann definierst du den Rahmen, in dem Veränderungen und die Arbeit erledigt werden können. Wenn du dann deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Mitmachen bei den notwendigen Veränderungen einlädst, verstehen sie ihre Verantwortung. Ihre Freiheit besteht primär darin, die Art und Weise zu bestimmen, in der sie die Ziele erreichen. Das erhöht ihre Motivation und ihr Engagement, aber auch die Qualität der Arbeit.«

      »Veränderung durch Einladung kann anfangs langsamer sein, aber diese Investition zahlt sich später aus, weil der Ansatz langfristig effektiver ist. Du veränderst nicht nur, was im Unternehmen sichtbar ist – die Strukturen, die Vereinbarungen und das Verhalten –, sondern auch die unsichtbaren Aspekte – die Art zu denken und die Glaubenssätze, auf deren Basis die Menschen agieren.«

      Bernie stoppt seinen Redefluss und ich rutsche unruhig auf meinen Sitz hin und her. Ich weiß, dass das stimmt, aber es ist auch ganz anders als das, was wir bei HRS gewohnt sind.

      10

      DAS MANAGEMENTTEAM

      Am Abend berichte ich Kate von der Unterhaltung mit Bernie und vom Konzept der einladungsbasierten Veränderung. Je mehr ich darüber erzähle, desto mehr glaube ich an die Idee.

      »Was wirst du also als Nächstes tun?«, fragt Kate.

      »Morgen treffe ich mich mit Paul und dem gesamten Managementteam. Paul hat das Meeting einberufen, um über seinen Ausstieg und meine neue Funktion zu informieren. Ich denke, wir werden auch über mögliche nächste Schritte sprechen können. Ich möchte möglichst bald damit beginnen, mit einigen S3-Mustern im Managementteam zu experimentieren. So sammeln wir Erfahrungen mit den Mustern und fungieren außerdem als Vorbild für den Rest des Unternehmens.«

      »Das klingt sehr aufregend«, sagt Kate.

      »Was meinst du damit?«, frage ich.

      »Ich bin neugierig, wie deine direkten Kollegen auf die Neuigkeiten reagieren werden. Jetzt bist du ja plötzlich ihr Chef und nicht mehr einer von ihnen.«

      »Puh«, seufze ich. Ich hasse das Wort »Chef«. Ich war immer froh darüber, dass ich mich in meiner Abteilung nie als Chef gefühlt oder so agiert habe. Daher finde ich S3 auch so attraktiv. Durch echte Gleichstellung braucht man weder einen Chef noch eine Machthierarchie. Wenn man Macht stärker im Unternehmen verteilt, übernehmen die Mitarbeiter mehr Verantwortung für ihre Arbeit und Entscheidungen.

      Ich bin mir aber auch im Klaren darüber, dass nicht alle im Managementteam so denken werden. Daher gehen Kate und ich jedes einzelne Mitglied im Managementteam durch, um herauszufinden, wie es auf mich als Geschäftsführer und meinen S3-Ansatz reagieren könnte.

      Bei einigen haben ich Schwierigkeiten, ihre Reaktionen abzuschätzen. Ich kenne Sarah, unsere stets fröhliche Vertriebs- und Marektingmanagerin, und Carlos, der Betrieb und Logistik verantwortet, seit Jahren. Wir kommen sehr gut miteinander aus, trotz unserer unterschiedlichen Persönlichkeiten. Sarah liebt es, neue Dinge zu lernen, und ich vermute, dass sie gerne bei meinem Experiment mitmacht. Carlos ist viel ruhiger als Sarah, aber auch er arbeitet sehr hart. Wie ich ist er eine Führungskraft, die hinter ihren Leuten steht und nicht über ihnen. Daher glaube ich, dass auch er offen für meine Ideen sein wird.

      Ich bin mir sicher, dass Steve sich mit den anstehenden Veränderungen schwerer tun wird. Er verantwortet alle Softwareanwendungen und -systeme mit Ausnahme der mobilen Anwendungen, die bisher in meinem Verantwortungsbereich lagen. Auch wenn Steve so wie ich erst 38 Jahre alt ist, war er bisher viel konservativer in seinen Ansätzen. Er managt seine Mitarbeiter in einer klaren Art und Weise und überwacht jedes Projekt persönlich. Seine Absichten sind gut und er will das Beste für HRS, aber wir sind immer wieder unterschiedlicher Meinung. Ich hoffe, dass er meine Pläne nicht gleich von Anfang an untergräbt.

      Schwieriger ist die Reaktion von Bart, unserem Daten- und Informationsmanager, vorherzusagen. Er ist noch relativ neu bei HRS und ich weiß wenig über seinen Hintergrund. Ich empfinde ihn als etwas reserviert; seine Leute sprechen allerdings gut über ihn.

      Julia, unsere HR-Managerin, wird es großartig finden, dass ich den Teammitgliedern mehr Freiheit durch S3 geben will. Sie brennt für Mitarbeitermotivation und persönliche Entwicklung, auch wenn ihre Vergangenheit als Anwältin dazu führt, dass sie sehr strikt ist, wenn es um Regeln und Vorgaben geht; sie mag klare Vereinbarungen. Ich weiß nicht, ob unser S3-Experiment sie beunruhigen wird, aber ich erwarte, dass sie mir einiges abverlangen wird bezüglich Rollen und Funktionen und vielleicht auch hinsichtlich der Mitarbeiterbewertung. Wenn ich die Chance dazu bekomme, werde ich Bernie nach seinen Erfahrungen mit diesen Themen fragen. Ich brauche auf jeden Fall Julias Unterstützung für meinen Plan. Sie kann andere sehr gut überzeugen und ich brauche diese Art von Unterstützung.

      Und dann ist da noch Peter, unser Finanzdirektor. Er ist außerdem auch Mitglied im Vorstand. Zwischen uns funkt es nicht so richtig, aber bisher hat das keine Probleme verursacht. Da er im Vorstand ist und dort keine Einwände gegen mich als Geschäftsführer hervorgebracht hat, erwarte ich wenig Gegenwind von ihm. Ich mache mir in Gedanken eine Notiz, Paul zu befragen, wie Peters erste Reaktion hat.

      Nach meinem Gespräch mit Kate bin ich etwas ängstlich, wie das Gespräch im Managementteam morgen laufen wird. Ich überlege, ob ich eine ausgefeilte Präsentation zu S3 und meinen Absichten vorbereiten sollte, damit ich professioneller und überzeugender wirke.

      Ich schiebe meine Bedenken aber schließlich beiseite und entscheide, nichts vorzubereiten und abzuwarten, was im Meeting passiert, auch wenn ich dadurch angreifbar werden könnte. So bleibe ich immerhin authentisch.

      11

      PAULS NACHRICHT

      »Warum Chris?«, fragt Steve Paul. Es ist Freitag und Paul hat dem Managementteam gerade erklärt, warum er als Geschäftsführer zurücktreten wird und dass er mich als Nachfolger vorgeschlagen hat.

      »Ich verstehe deine Frage, Steve«, antwortet Paul ruhig. »Auf den ersten Blick scheint Chris die am wenigsten logische Wahl zu sein. Er ist kein typischer Manager, so wie ich oder einige andere von euch. Außerdem hat er keinen wirtschaftswissenschaftlichen oder Finanzhintergrund. Aber Chris ist der Einzige unter uns, der auf natürliche Art und Weise seine Mitarbeiter motiviert und sie zu einem echten Team geformt hat. Das Ergebnis ist sehr gute Software und glückliche Kunden. Das wissen wir alle sehr gut.«

      Carlos blinzelt mir zu und sogar Steve nickt zustimmend. Ich würde vor Scham erröten, wäre ich nicht so nervös.