Silviane Scharl

Jungsteinzeit


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verschiedene Hinweise auf kontinuierliche Entwicklungen. Ein Argument gegen diese Kontinuität, das immer wieder angeführt wird, ist jedoch der deutliche Unterschied in der genetischen Signatur zwischen mesolithischen Wildbeutern und neolithischen Bauern (Details image Kap 5). Daher ist zu diskutieren, welches Erbe der letzten Jäger und Sammler in den folgenden Jahrtausenden zu beobachten ist.

      Intensivierte Pflanzennutzung – Verbreiterung der Nahrungsgrundlage

      Pflanzliche Nahrung spielt, dies zeigen auch die Ergebnisse von Isotopenanalysen an menschlichen Skeletten, für die frühneolithischen Bauern eine grundlegende Rolle. Im Gegensatz dazu wird für die Wildbeuter des Eiszeitalters eine stark fleischbasierte Ernährung rekonstruiert, während die Bedeutung von Fisch und pflanzlicher Nahrung als gering eingeschätzt wird8. Dieses Bild herrschte lange Zeit auch für das Mesolithikum vor, vor allem auch deshalb, weil Pflanzenreste, die eine Überprüfung dieser Vorstellung ermöglicht hätten, weitgehend fehlten. Botanische Makroreste erhalten sich nur unter spezifischen Lagerungsbedingungen, am besten in dauerhaft feuchtem Milieu und dies ist nur selten gegeben.

      Grundsätzlich können wir aber davon ausgehen, dass die mit dem Holozän einsetzende Umweltveränderung eine ganze Reihe neuer pflanzlicher Ressourcen verfügbar machte, die der Ernährung, aber auch anderen Zwecken (Medizin, Produktion von Alltagsgegenständen wie Körbe, Rindenbehälter) dienen konnten. Bislang sind um die 50 Pflanzenarten aus mesolithischen Kontexten dokumentiert, deren essbare vegetative Teile, Früchte oder Wurzeln als potentielle Nahrungsreste interpretiert werden9. Dies reflektiert eine deutliche Verbreiterung der Nahrungsgrundlage. Ein wichtiger Fundplatz, der in diesem Zusammenhang genannt werden muss, ist der Duvensee in Schleswig-Holstein10. Hier konnten seit 1923 im Uferbereich eines ehemaligen, heute jedoch verlandeten Sees zwölf mesolithische Lagerplätze entdeckt und untersucht werden. Weitere Fundstellen sind aufgrund von Begehungen bekannt. Die bislang untersuchten Plätze datieren in einen Zeitraum, der vom Präboreal (9700–8700 v. Chr.) bis in das frühe Atlantikum (7200–6500 v. Chr.) reicht. Der See wurde über Jahrtausende immer wieder von Wildbeutergruppen aufgesucht. Durch die Torfbedeckung waren nicht nur die Fundstellen selbst, sondern insbesondere das organische Fundmaterial sehr gut erhalten. So konnten u. a. Haselnuss, Eichel, Rutenmelde (Blätter als Gemüse verzehrbar, evtl. wurden auch die Samen genutzt), Weißer Gänsefuß (Blätter und Samen nutzbar), Holzapfel, Schlehe, Himbeere, Gelbe Teichrose (Samen geröstet essbar), Weiße Seerose (Rhizome nutzbar) und Knöterich (Früchte und Blätter nutzbar) nachgewiesen werden. Da es in Europa eine Reihe weiterer Fundstellen aus dieser Epoche gibt, wo ebenfalls die Nutzung verschiedener Pflanzenarten nachgewiesen ist11, wird mittlerweile durchaus darüber nachgedacht, ob nicht die intensivierte Pflanzennutzung als eines der grundlegenden Merkmale des Mesolithikums zu betrachten sei12.

      Am Duvensee spielte die Haselnuss eine wichtige Rolle als Nahrungspflanze, von der zahlreiche Schalenfragmente geborgen werden konnten. Diese zeichnet sich durch einen hohen Protein- und Fettanteil aus (13 % Proteine, 63 % Fett) und kann damit als wichtiger Nährstofflieferant eingestuft werden. Neben dem Duvensee kennen wir weitere gut untersuchte mesolithische Fundplätze, die eine Einschätzung des Potentials der Haselnuss für die Ernährung der Wildbeutergruppen dieser Zeit ermöglichen, so z. B. Staosnaig in Schottland oder Holmegård I und IV in Dänemark. Zusammengenommen erlauben sie relativ detaillierte Hochrechnungen zur Nutzung pflanzlicher Nahrung, insbesondere der Haselnuss, während des Mesolithikums. Am Duvensee konnte vor allem anhand der am Wohnplatz 5 gefundenen Haselnussschalen eine Hochrechnung der Ernte und damit der dort potentiell verfügbaren Kalorien aus diesen Nüssen erfolgen. So rechnet die Auswerterin Daniela Holst mit mind. 28 800 Nüssen, die am Wohnplatz vorhanden waren. Setzt man nun ein Gewicht von 1,8 g pro Nuss bzw. 0,9 g pro Nusskern ohne Schale an, kann für Wohnplatz 5 mit einem Gesamtgewicht von mind. 26–30 kg Nusskernen gerechnet werden, deren Reste dort entdeckt wurden. Dies entspricht einer Kalorienmenge von mind. 156 000 kcal (100 g = 600 kcal). Ähnliche Berechnungen für die oben genannten Fundplätze Staosnaig und Holmegård I und IV liegen im Ergebnis z. T. sogar noch höher13.

      Aufgrund der lokalen Gegebenheiten und unter Einbeziehung von Daten aus modernen Haselnussbetrieben rechnet Holst mit ca. 70 voll ertragfähigen Haselbüschen pro Jahr, die jeweils im Schnitt 1 400 weiterverarbeitbare Nüsse liefern konnten (ohne die sog. tauben Nüsse), sodass vorsichtig geschätzt mind. 98 000 Nüssen abgeerntet werden konnten und damit entsprechend über 88 kg bzw. 528 000 kcal Nüsse (ohne Schale). Um diese zu ernten – dies belegt auch die Auswertung weiterer botanischer Reste, die genau zu dieser Jahreszeit verfügbar waren – hielten sich die Wildbeutergruppen für wenige (max. zwei) Wochen Ende August und Anfang September am Duvensee-Ufer auf. In dieser Zeit konnte eine Person ein Vielfaches des eigenen Energiebedarfs sammeln und zur Vorratshaltung verarbeiten. Dies macht die große Bedeutung der Haselnuss für die mesolithische Ernährung deutlich, die sich auch im archäologischen Befund widerspiegelt. Denn was die Archäologen am Duvensee, aber auch in Staosnaig und Holmegård I und IV entdeckt haben, sind sog. Haselnuss-Röstplätze, die gezielt im Spätsommer aufgesucht wurden, um große Mengen der Nüsse zu ernten und haltbar zu machen. Das Rösten hat dabei diverse Vorteile: So hilft es, die Nüsse haltbar zu machen, da das nusseigene Enzym Lipase, das bei Lagerung zur Anreicherung von Karzinogenen führt sowie zur Entwicklung von ranzigem Geschmack, dadurch zerstört wird. Weitere Verunreinigungen werden ebenfalls entfernt. Darüber hinaus lassen sich geröstete Nüsse leichter verarbeiten, da die Schalen schneller geknackt werden können und die Nuss leichter gerieben werden kann. Dies verringert wiederum das Transportgewicht der Nüsse um ca. 50 % – ein durchaus relevanter Faktor für mobile Wildbeutergruppen, die solche Nahrungsmittelvorräte natürlich mittransportieren mussten. Und schließlich sind geröstete Nüsse besser verträglich und sicherlich auch schmackhafter14.

      Die archäologischen Spuren am Duvensee erlauben die Rekonstruktion solcher Röstplätze. So konnte am frühmesolithischen Wohnplatz 8 eine fast quadratische Matte aus Kiefern- und Birkenrinde dokumentiert werden, in deren Bereich eine aschig-weiß Sandschicht lag, die mit Artefakten, Holzkohle und Nussschalenresten durchsetzt war (image Abb. 4.4). Mittig lag zudem eine braune Sandlinse. Die Auswerterin Holst rekonstruiert hier eine Rindenmatte, die als Isolation gegen die Bodenfeuchte in Ufernähe diente und den Sand zusammenhielt, der wohl vom Ostufer des Sees eigens herantransportiert worden war. Das dokumentierte Volumen beläuft sich auf etwa 287 l und macht den Aufwand deutlich, der hier betrieben worden war.

Images

      Abb. 4.4: Duvensee, Wohnplatz 8. 3D-Rekonstruktionszeichnung der Röststelle mit Rindenmatte und einer Auflage aus weißem sowie braunem Sand.

      »Auf einer Rindenmatte bzw. in einer flachen Grube mit Sand wurde ein Feuer entzündet, dessen glühende Kohlen in den umgebenden Sand gemischt wurden. Haselnüsse wurden in den so erhitzten Sand gepackt, in dem sie nach eigenen Versuchen nach wenigen Minuten gegart bzw. geröstet sind. Am Ende des Röstvorgangs wurden die Sandmasse ausgestrichen und die Nüsse herausgelesen.«16

      Mit der intensiven Nutzung der Haselnuss als Nahrungsmittel sind zwei wichtige Annahmen verknüpft. Zum einen wurde vorangehend deutlich, dass eine gezielte Ernte und Haltbarmachung der Haselnuss für das Mesolithikum angenommen werden. D. h. die Wildbeuter betrieben in diesem Fall Vorratshaltung und legten damit Verhaltensweisen an den Tag, die man eher den bäuerlichen Gesellschaften des nachfolgenden Neolithikums zuschreiben würde. Zum anderen zeigen Pollenprofile insbesondere für das Boreal eine massive Zunahme der Hasel. Dies wird als Ergebnis einer gezielten Förderung dieser Pflanze (Pflanzenmanagement) durch die mesolithische Bevölkerung interpretiert.