Christina Geiselhart

Paganini - Der Teufelsgeiger


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einer Antworte formte ich meine Lippen zu einem Kuss. Emilia errötete.

      „Du hast sehr große schwarze Augen, in denen ein heißes Feuer lodert“, flüsterte sie und neigte sich vor. „Mit diesem Feuer wirst du die Welt erobern.“

      So ein schönes Kompliment verdiente endlich die Antwort auf die von ihr zuvor gestellte Frage.

      „Ich denke, du hast eine Ahnung davon, was ein Flageolett sein könnte?“

      „Certamente, amore mio! Es sind die leisen Obertöne deiner Geige. Du machst sie hörbar, indem du die Saite an einem Teilpunkt mit sehr viel Fingerspitzengefühl abdrückst. Der erklingende Flageolettton ist eine Oktave höher als die Saite.“

      „Brillante, tesoro mio! Dennoch solltest du wissen, dass ich außer den einfachen Flageoletttönen auch solche in Doppelgriffen der Terz, Quinte, Sexte ausführe und dass man ja auch natürliche Töne mit Flageoletttönen in Oktavengängen zusammenklingen lassen kann.“

      „Ich bin erstaunt darüber, wie begeistert du von deiner Arbeit sprichst. Du liebst deine Musik.“

      „Würde ich es nicht tun, wäre ich nicht hier, wäre ich nirgends, existierte ich nicht. Meine Musik bin ich.“

      „Ist es nicht Hassliebe? Sicherlich hat sie dich oft gequält!“

      Darauf fiel mir nicht sogleich eine Antwort ein. Natürlich lagen mir böse Worte über meinen Vater auf der Zunge. War die Schinderei, der er mich unterworfen hatte, wirklich nötig gewesen? Ich liebe die Musik, ich liebe die Mandoline, die Gitarre, die Geige. Meine Liebe gehört niemandem sonst als diesen Instrumenten und der Musik. Was wäre die Welt ohne Musik? Was wäre mein Leben ohne sie? Vater hätte mich nicht mit Essensentzug zu strafen brauchen, wenn ich statt zehn nur acht Stunden geübt hätte, denn ich habe der Musik den Platz eingeräumt, den sie für ihr Wachstum benötigte. Im Zusammenleben mit mir blieb der Musik nichts anderes übrig, als sich mit mir gemeinsam auszudehnen und zu wachsen. Schritt für Schritt Genua erwecken, aus seinem mittelalterlichen Schlaf reißen, als rebellische Melodie in sein Ohr schleichen, bis ins Innerste, dort aufräumen, die in Ketten schmachtenden Gefühle befreien. Dann weiter, Schritt für Schritt, Ton um Ton, hinaus in die Weite des italienischen Landes.

      16

      Das Gelbfieber in Livorno griff weiter um sich. Lucca sperrte vorerst die Grenzen und verbot allen Verkehr mit Livorno und Mailand blockierte die Einfuhr von Waren jeglicher Art aus der Toskana.

      Niccolò machte es sich über die Wintermonate im Haus in San Biagio bequem. Seine Mutter Teresa kochte Genueser Speisen und servierte ihm einen Montferrat. Nicht immer war der Himmel grau und die Luft feucht und so wagte Niccolò einige Spaziergänge zur schönsten Bucht von Genua am Cap Santa Chiara. Wenn er dann auf der Anhöhe stand, in einen dicken Mantel gehüllt, den Kragen über die Ohren geklappt, die langen, gewellten Haare widerborstig im Wind, träumte er von Emilia. Vor seinem geistigen Auge sah er sein Konzert in ihrer Residenz. Er auf dem Podest, begleitet von einer Harfenspielerin, Emilia im Festsaal eine applaudierende begeisterte Zuhörerin. Er erinnerte sich nun, wie sie sich beim ersten Mal dem Podest näherte, ihren Arm zu ihm hochhob, diesen schönen, elfenbeinfarbenen Arm, seine Hand ergriff und sie länger drückte, als es nötig gewesen wäre. „Niccolò Paganini!“, hatte sie überschwänglich gerufen. „Wien hatte Amadeus, wir haben Niccolò!“ Wie immer beschämte ihn der Vergleich mit Mozart. Er war es, dem die Welt die schönste Musik zu verdanken hat. Niccolò könnte sich allenfalls in seinem Glanz sonnen, wenn er eine Variation zu einem seiner göttlichen Werke schaffen würde. Vielleicht kommt der Tag, dachte Niccolò und machte sich in Gedanken schon an die Arbeit.

      So entstand in den kalten Wintermonaten des Jahres 1804 die Sonata concertata für Gitarre und Violine. Er saß allein am Fenster des lichten Hauses in San Biagio, die Geige griffbereit, die Gitarre an einem Gurt um seine Schulter, als er sie vollendete. Das Knistern des Kaminfeuers echote in seinen Ohren, Klanggirlanden, harmonische Tonbögen erregten sein Herz. Er widmete das Werk seiner Emilia.

      Von nun an traf er sie nur noch offiziell. Ihr Ehemann war mittlerweile so gesalbt aus Paris zurückgekehrt, als wäre er selbst gekrönt worden. Niccolò erfuhr von Napoleons ungehörigem Verhalten in der Kathedrale Notre Dame. Vor aller Welt habe der Konsul dem Papst die Krone aus der Hand genommen und sich selbst gekrönt. Warum hatte er den Papst bloß kommen lassen? Von Rom hinauf nach Paris, weit über die Alpen? Damit alle Welt begreift, dass die Kirche ihre krönende Macht verloren hat, antwortete Emilia.

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      Lucca hatte inzwischen die Quarantäne aufgehoben. Im Januar des folgenden Jahres kehrte Paganini mit seinem Bruder nach Lucca zurück. Die Quilici boten den Brüdern an, so lange in ihrem Haus zu wohnen, wie es ihnen beliebte. Eleonora war gereift, und in Niccolò erwachte sogleich der Wunsch, sie zu berühren. Emilia hatte in ihm ein Feuer geschürt, das nun aufloderte. Natürlich durfte er das junge Mädchen nicht anfassen. Er durfte ihr Gitarrenstunden geben, ihre Fortschritte verfolgen, ihre Fehler verbessern und dabei ihren runden Arm und ihre weißen Finger versetzen. Das war alles und das war nicht genug. Niccolò litt Qualen beim Anblick des üppigen Mädchens und zwang sich, nur an die Arbeit zu denken. Konzerte, Komponieren und Gitarrenunterricht füllten seine Zeit nicht vollständig aus. Immer blieb Zeit für Gedanken, Wünsche, Drang, Unruhe. Nicht nur aus diesem Grund, sondern weil er tatsächlich regelmäßige Einkünfte wünschte, bewarb er sich um die Anstellung als Konzertmeister im Orchester von Lucca. Seine Kunstfertigkeit hatte sich herumgesprochen und er war nicht größenwahnsinnig wie Napoleon, wenn er sich ausmalte, sein außerordentliches Talent könnte das Orchester von Lucca ja nur weiterbringen. Das Amt für Innere Angelegenheiten schrieb ihm Folgendes:

      Dem Signor Niccolò Paganini

      Der oben genannte Paganini ist unter die Musiker des Nationalen Orchesters in der Eigenschaft eines Ersten Geigers aufgenommen, ohne dass dadurch die Rechte des derzeitigen Leiters, Professor Romaggi, eingeschränkt werden … Er erhält, beginnend mit dem heutigen Tag, eine monatliche Summe von zwölf Scudi und wird verpflichtet sein, zwei aus Lucca stammende Schüler aufzunehmen …

      Am 22. Januar 1805 wurde Paganini eingestellt. Das Orchester war ein bunter Haufen unterschiedlich begabter Musiker, der Niccolò bei weitem nicht das Wasser reichen konnte, doch niemand bekam dies zu spüren. Niccolò stellte seine Begabung unter den Scheffel, während er seine Kollegen gewandt korrigierte, sie beriet, ermunterte, aber niemals tadelte. Er half jedem Musiker, was auch immer er für ein Instrument spielte, egal welches Problem ihn peinigte. In nur wenigen Lektionen stellte er eine falsche Bogenhaltung richtig, obwohl die seine ganz und gar nicht der üblichen entsprach, statt trocken und pedantisch unterrichtete er seine Schüler spielerisch, vermittelte ihnen Freude an der Arbeit und respektierte auch den schlechtesten unter ihnen. Er war unfehlbar in seiner Technik und konnte wie Mozart eine Tonhöhendifferenz von einem Achtelton wahrnehmen. Dank seiner Fürsprache wurde auch Carlo im Orchester aufgenommen. Dieser ließ, kaum hatte er eine Bleibe gefunden, sein Frau Anna nachkommen.

      Indessen wohnte Paganini weiterhin im Hause der Familie Quilici. Allerdings war er so beschäftigt, dass er den Bewohnern meistens nur flüchtig begegnete, wenn er gerade durch den Flur auf sein Zimmer hastete. Seine schmale Gestalt blieb dennoch nie unbemerkt. Und sobald ihn jemand erwischte, packte er ihn an der Jacke und zog ihn zu einem Schwätzchen in ein Zimmer.

      „Paganini, Sie sind ein Genie! Italiens Mozart, dio mio! Sie leisten Unglaubliches in diesem wahrhaft durchschnittlichen Orchester. Durch Sie werden die Hanswurste über Italien hinaus bekannt werden!“, plapperte die Hausherrin. Oder Signor Torre, den er im Cellospiel unterrichtete, sagte: „Sie sind keine Spur neidisch, fahren kaum aus der Haut, obwohl die Schüler so rechte Nieten sind.“ Paganini nickte verzweifelt, denn er wollte nichts anderes als seine Ruhe. Im Februar ergab sich hin und wieder ein gemeinsames Abendessen, doch Niccolò hatte Mühe, an turbulenten Tagen gleichzeitig das gute Essen, die Ruhe und Eleonoras Anblick zu genießen.

      In den folgenden Monaten begann er die Komposition „Alla Ragazza Eleonora“, unterwies mehrmals wöchentlich seine Schüler, übte und arrangierte täglich unter anderem Werke