der chemischen Typenbezeichnung verbirgt sich ein in Deutschland entwickelter Ersatzstoff, der vor der Einführung des heute gängigen Methadon zur Behandlung von Heroinabhängigen eingesetzt wurde. Eigentlich war DF118 ein künstlich hergestelltes Opiat für Schmerzpatienten, und die Tabletten durften nicht mit Alkohol eingenommen werden. Lambert scherte sich darum freilich genauso wenig wie seinerzeit Keith Moon. Er nahm Brandy, um die Tabletten, die ihm Ärzte verschrieben, zu schlucken.
„Zu einem großen Teil fühlte sich Lambert gelangweilt, weil ihm das glamouröse schnelle Leben, das er durch The Who kennen gelernt hatte, verwehrt wurde“, schreibt sein Biograf Andrew Motion. „Seine überschäumende Unbekümmertheit, durch Townshend und die anderen kanalisiert, der Motor für die Transformation von Zerstörung in Kunst, hatte nun keine andere Richtung mehr, als sich nach innen zu wenden.“ Kits früherer Kollege, der Musikmanager Simon Napier-Bell, traf Lambert wenige Tage vor dessen Tod und erzählt:
„Wir waren zusammen im Yours And Mine, was damals der angesagte Klub für Schwule im Showbiz war. Drei oder vier Stunden lang war er in schlechter Verfassung. Er hielt keine Monologe mehr, wie er es früher gern getan hatte, sondern fiel mitten in der Suppe in eine Art Koma – sein Drogenkonsum war exzessiv. Dabei war er bankrott und lebte von zweihundert Pfund die Woche. Ich nehme an, dass er jede Wochenauszahlung dafür verwendete, um das Heroin der vorigen Wochen abzustottern. Er lieh sich auch Geld von den Who und manipulierte seine Rechnungen. Später an diesem Abend im Yours And Mine kam er noch in Bestform. Über die Musik hinweg erzählte er von aufregenden Erlebnissen am Bahnhof von Rom, und dass er dort bald in tollen Hotels leben würde, was alles mit den römischen Strichjungs zu tun hatte. Er war großartig. Ich dachte, er würde sich vielleicht tatsächlich wieder unter Kontrolle bringen; aber dann, eine Woche später, wurde er übel zusammengeschlagen, ging zu seiner Mutter nach Hause und fiel die Treppen runter.“
Was Kollege Napier-Bell in einem flotten Nebensatz abhandelt, war in Wirklichkeit ein zwei Tage währendes Drama. Lambert tauchte tatsächlich am Samstagabend, dem 25. April 1981, unerwartet und betrunken vor der Haustür seiner Mutter auf, was er zuvor tunlichst vermieden hatte, da ihn ein Gefühlsmix aus Reue, Scham und Sohnesliebe davon abhielt, der zarten Florence Lambert seinen wahren Zustand zu offenbaren. Kit konnte sich kaum auf den Beinen halten, er war schwer verletzt. Seine Mutter bezahlte das Taxi, setzte ihn ins Wohnzimmer und lauschte erschrocken seiner Geschichte. Er sagte, er wäre im Yours And Mine gewesen und sei dort von vier jungen Männern in der Toilette zusammengeschlagen worden. Grund dafür waren offenbar Drogenschulden. Als die vier Männer herausgefunden hatten, dass er kein Geld dabei hatte, um seine Schulden zu begleichen, stießen sie ihn ins Klo und schlugen auf seinen Kopf ein. „Während er mir das erzählte, fiel er aus dem Sessel“, sagt Mrs. Lambert über ihren Sohn. „Er war in einem schrecklichen Zustand. Sein Gesicht war aufgeschürft und zerschnitten. Er bat mich um einen Brandy, aber ich meinte, er solle nicht von mir verlangen, ihn umzubringen. Er bestand darauf. Als ich ihm die Flasche gab, ließ er sie erst einmal fallen. Er holte auch ein weißes Puder hervor, das in das Silberpapier einer Zigarettenschachtel eingewickelt gewesen war.“
Während Kit seinen Stoff inhalierte und Brandy dazu trank, rief seine Mutter die Polizei an. Man kannte Lambert gut im Revier und nahm den Vorfall nicht weiter ernst: „Glauben Sie, wir sind seine Kindermädchen?“ fragte der Beamte.
Florence Lambert wollte ihren Sohn ins Bett stecken, aber der bestand darauf, sich zuerst in die Badewanne zu legen. Kit schleppte sich ins obere Stockwerk, badete und plumpste schließlich ins Bett. Seine Mutter ermahnte ihn, liegen zu bleiben, weil sie mit der Wirkung des Brandys rechnete.
Kurz nachdem sie selbst schlafen gegangen war, weckte sie das laute Geräusch eines die Treppe hinunter polternden Körpers. Sie fand ihren Sohn bewusstlos auf der untersten Stufe, aus dem Mund und aus der Nase blutend.
Florence Lambert rief sofort einen Krankenwagen. Kit wurde ins Charing-Cross-Hospital gebracht, wo man schwere Gehirnblutungen feststellte und ihn künstlich am Leben erhielt. Er zeigte keine Anzeichen von Bewusstsein. Auch seine Verlegung in das auf solche Fälle spezialisierte Middlesex Hospital brachte keine Besserung. Obwohl sich die Nachricht von seinem Unfall herumsprach, ließen sich nur wenige Menschen an seinem Bett blicken: seine Mutter, die alte Freundin Daria Shuvalloff, Anya Butler und Chris Stamp, der angeblich später zu Marsha Hunt sagte: „Ich sah ihn und wusste sofort, dass er starb – der Drecksack, er starb und ließ mich verdammt noch mal allein zurück.“ Am Montag, dem 27. April, war klar, dass Kit Lamberts Gehirn so zerstört war, dass er nie mehr das Bewusstsein erlangen würde. Die Beatmungsmaschine wurde abgestellt; Kit starb nur wenige Augenblicke später. Christopher Lambert war fünfundvierzig Jahre alt geworden, kaum zwei Wochen älter als sein berühmter Vater, dessen Schicksal ihm wie eine zwanghafte Vision immer vorgeschwebt war. Louise Fitzgerald, die für fünf Tage bei Kits Mutter einzog, um sie nicht allein zu lassen, sagt, dass sich in dieser Zeit nicht ein einziger Freund oder Wegbegleiter Lamberts meldete. Als sie auf eigene Faust ins Yours And Mine ging, um die genauen Umstände des Überfalls zu erfragen, schrie sie der Klubbesitzer an: „Wo waren denn Kits Freunde, als er starb? Hier war er immer willkommen!“
Pete weilte zu dieser Zeit in New York, wo er nach eigenen Angaben generell „nicht mehr besonders viele Gefühle“ entwickeln konnte. Lamberts Begräbnis fand ohne ihn statt. Überhaupt nahm keiner von den Who daran teil, was Anlass zu manchen Spekulationen gab. Kit Lambert wurde im Krematorium von Golders Green eingeäschert – wie Keith Moon zweieinhalb Jahre zuvor.
Die Trauerfeier muss eine bizarre Veranstaltung gewesen sein. Anya Butler, die laut eigenen Angaben bis zum Anschlag mit Alkohol und Haschisch narkotisiert war, sah nur Szenegänger, schrille Typen und Möchtegernstars, aber keine Freunde von Kit. Vielleicht hatte Lambert nie wirkliche Freunde besessen? Wenn wir seinem Intimfeind Shel Talmy glauben wollen, war „Lambert eins der abscheulichsten Stücke Scheiße, von denen ich jemals das Unglück hatte, ihnen zu begegnen. Ich hielt seinen Tod immer für verdächtig, und ich glaube, dass ihn jemand erledigt hat, weil er eine verkommene, ekelhafte Schwuchtel war. Ich hoffe, das klingt nicht schockierend – aber falls doch: Nun, so ist das Showbiz.“
Weil Shel Talmys Urteil alles andere als ein würdiger Nachruf ist auf einen Mann, der mit The Who groß geworden war und nicht zuletzt durch seine elementare Mitwirkung an Tommy einen erheblichen Einfluss auf die Jugendkultur der Nachkriegszeit hatte, muss angefügt werden, dass Lamberts Schicksal eher Mitleid wecken sollte als Verachtung. Er war mit Sicherheit einer der talentiertesten Menschen seiner Zeit, und seine charakterlichen Schwächen schadeten vor allem ihm selbst. Seine wenigen Vertrauten litten freilich immer mit, und sein brutaler, auch selbstverschuldeter Tod muss vor allem für seine Mutter grauenvoll gewesen sein. Sie vertrat übrigens wie Talmy die Auffassung, dass ihr Sohn getötet worden war. Selbst wenn die entscheidenden Kopfverletzungen nicht durch die Schläge in der Herrentoilette entstanden waren: „Er war so durcheinander nach dem Überfall, dass er ausrutschte und die Treppen runterfiel.“
Die Behörden schlossen sich dieser Argumentation jedoch nicht an, sondern blieben bei einem Unfalltod: Kit Lambert starb an Gehirnblutung infolge eines Treppensturzes (und nicht an einem Genickbruch, wie Chris Charlesworth in seiner Who-Biografie schreibt).
Pete war kurz nach Lamberts Tod von New York nach London zurückgeflogen und arrangierte für seinen ehemaligen Mentor, den er nach wie vor bewunderte, eine zweite, weit würdigere Trauerfeier in der Kathedrale von St. Paul’s, wo man fast genau zwanzig Jahre zuvor Kits Vater, den Komponisten und Dirigenten Constant Lambert, zu Grabe getragen hatte. „Es war eine sehr schöne und außergewöhnliche Zeremonie“, erinnert sich Barnes. „Etwa zwei Dutzend Gäste waren anwesend, und wir wurden überwältigt vom Londoner Orchester.“
Pete hatte die Londoner Philharmoniker persönlich engagiert. Sie trugen Stücke aus Tommy vor, Musik von Lamberts Vater und Teile aus dem „Gordischen Knoten“ von Kits Lieblingskomponisten Henry Purcell. Petes Rede rührte die Trauergemeinde zu Tränen, wie Deirdre Redgrave erzählt. Im Anschluss an die Totenfeier gingen Pete, Chris Stamp und einige andere in eine Kneipe. Der Kontrast zur auserlesenen Atmosphäre in St. Paul’s wirkte irritierend. Bald waren alle betrunken, und Pete geriet in den Sog seines seltsam berauschenden Niedergangs: