Thomas L. Viernau

Krähwinkeltod


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       die hier, in den großen Ebenen wohnten

       und die Zeit ertrugen.

      

       Von Slawen gegründet,

       christliche Missionare bauten erste Kirchen,

       deutsche Händler querten die Flüsse,

       flämische Bauern rodeten Wälder,

       böhmische Siedler brauten Bier,

       Hugenotten brachten ein Stück Kultur,

       Napoleons Truppen kamen zu Fall,

       russische Soldaten waren überall.

      

       Der Schatten der Jahre ist spürbar noch,

       im Antlitz der Städte; Ziegelmauern, dunkelrot,

       Fachwerk, ergraut, alte Eichen, schwarzbraun,

       Holperpflaster, oft geflickt, bleigrau,

       alles durchsetzt mit dem ockernen Lehm der Mark,

       der getränkt mit Schweiß und Nieselregen.

      

       Man könnte sie trostlos nennen,

       spärlich sind die Äußerungen der Freude,

       die Leute, eher schüchtern und still,

       auf das Besondere wartend,

       im trägen Getriebe der Zeit,

       bleiben in ihren Städten zurück, zufrieden

       mit dem kleinen Glück, langsamen Verrinnens

       der Jahre; die Jüngeren versuchen, zu entflieh’n

       ins große Welttheater, jedoch im Herzen noch

       den alten Takt ihrer Welt bewahrend.

      

      Die alte Bischofsstadt Wittstock verblüffte mit einer vollkommen intakten Innenstadt, umgeben von einer kompakten Stadtmauer und der trutzigen Bischofsburg darinnen. Die Bischöfe zu Wittstock residierten hier wie Kleinkönige. Im Dreißigjährigen Krieg tobte vor den Toren der Stadt eine der blutigsten und verlustreichsten Schlachten. Die Schweden kämpften mit ihren Verbündeten gegen die Kaiserlichen. Wer Sieger blieb, war unwichtig. Nach der Schlacht war die Gegend verwüstet. Wittstock zählte noch achtzehn Einwohner. Es dauerte lange bis sich die Stadt von der Katastrophe erholt hatte.

      Das Schlachtfeld selbst wurde gefunden und als Freilichtmuseum begehbar gemacht. Beim Erkunden der Stadt bemerkt man nichts mehr von diesen Schrecken. Wittstock ist heute eine schöne Stadt.

      Linthdorf kurvte mit seinem Wagen durch die Altstadt von Wittstock. Die Polizeidirektion war irgendwo unweit vom Marktplatz. Einbahnstraßen schickten ihn jedoch immer wieder weg vom Zentrum. Entnervt parkte er den Wagen in einer stillen Seitenstraße und ging zu Fuß.

      Das Wetter war merklich schlechter geworden. Es regnete. Die Prignitz galt als Brandenburgs niederschlagsreichste Region. Wittstock war zwar noch der Ostprignitz zugehörig, die rein administrativ mit dem Ruppiner Land den Landkreis Ostprignitz-Ruppin bildete, hatte aber klimatisch bereits alle Eigenheiten der westlich gelegenen Prignitz vorzuweisen.

      Linthdorf zog sich seinen Hut, den er aus dem Sommerschlaf befreit hatte, tief ins Gesicht. Ein böiger Wind trieb ihm immer wieder Wassertropfen direkt ins Gesicht. Hier hatte der Herbst bereits Einzug gehalten. Das altehrwürdige Backsteingebäude, welches die Polizeidirektion von Wittstock beherbergte, war vom Regen blankgeputzt und schimmerte in dunklen Rottönen. Gerade wollte er die Schönheit des Gründerzeitbaus noch einen kleinen Moment auf sich einwirken lassen, als ein dienstbeflissener Polizist aus der Tür trat und ihn fragte, ob er der Mann aus Potsdam sei. Linthdorf nickte.

      Der Uniformträger führte ihn durch zwei dunkle Flure und ein Treppenhaus mit knarrenden Stufen in den ersten Stock. Die Büros waren erstaunlicherweise hell und gemütlich.

      Ein drahtiger, etwas zu kurz geratener Mann mit Igelschnitt sprang auf und begrüßte ihn.

      »Schönen juten Tach! Schwertfejer, Oberkommissar. Sie sind der Mann aus Potsdam? Lin …?«

      Linthdorf nickte. »Linthdorf, korrekt. LKA Potsdam.«

      »Na, dann kommense ma!«

      Schwertfeger öffnete die Tür zu einem größeren Konferenzraum, der direkt neben den Büros der Abteilung der Kripo lag.

      Linthdorf folgte dem drahtigen Oberkommissar. Eine junge Kollegin in Uniform huschte herbei, stellte Tassen auf den Tisch und brachte eine große Thermoskanne mit Kaffee heran.

      Linthdorf nahm auf dem Stuhl direkt am Fenster Platz. So konnte er auch das Geschehen draußen auf dem geräumigen Marktplatz beobachten. Die Stadt hatte sich für den Nationalfeiertag gerüstet. Eine Bühne war aufgebaut worden. Wimpelketten flatterten zwischen den kleinen zurechtgestutzten Bäumchen, die den Platz säumten. Vor dem Rathaus war bereits ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung damit beschäftigt, die Fahnen aufzuziehen.

      Schwertfeger schenkte Kaffee ein. »Zucker? Sahne?«

      Linthdorf nickte wieder. »Ja, beides.«

      Die beiden Männer rührten ihren Kaffee um. Jeder hoffte, dass der Andere mit dem Gespräch beginnen würde. Nach ein paar Sekunden Höflichkeitsschweigen begann Schwertfeger zu erzählen.

      Kurz und knapp schilderte er den Leichenfund. Ein junger Mensch sei es gewesen, vielleicht Anfang Zwanzig. Genauer ließ es sich im Moment noch nicht feststellen. Kein Einheimischer. Lange Haare hätte er gehabt, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Und sehr dünn sei er gewesen, fast schon anämisch. Im Ohr ein Silberring und am Arm ein Tattoo. So ein Totenkopf, der komisch grinst. Das wäre alles, was es gäbe, um ihn zu identifizieren. In den Taschen seiner Röhrenjeans und des Kapuzenshirts war nichts weiter zu finden gewesen. Keine Papiere, keine Geldkarten, kein Handy. Der Tod war schnell gekommen.

      Der Schnitt am Hals, wahrscheinlich mit einem sehr scharf geschliffenen Messer ausgeführt, habe die Schlagader durchtrennt, so dass der Unglückliche innerhalb weniger Minuten verblutete. Es muss wohl einen kurzen Zweikampf gegeben haben. Am rechten Arm hatten die Kollegen ebenfalls eine oberflächliche Schnittwunde gefunden. Vom selben Messer ausgeführt.

      Verwertbare Spuren habe man leider keine, denn die Leiche lag schon mindestens drei Tage dort. Zwischendurch hatte es geregnet.

      Linthdorf nickte, er hatte die blassgraue Mappe gelesen. Darin waren alle Fakten bereits in dem Bericht niedergeschrieben. Auch Fotos des jungen Bürschchens waren beigefügt. Keine schönen Bilder. Ein blasses, schmales Gesicht, die seltsam ausdruckslos ins Nichts starrenden Augen und wirre Haarsträhnen, die in die hohe Stirn fielen. Dann die Bilder der Wunden. Die tödliche Halswunde, ein vielleicht acht Zentimeter langer Schnitt, blutverkrustet, klaffend. Die Schnittverletzung am rechten Arm, knapp fünf Zentimeter lang, nur oberflächlich, dennoch auch stark blutverkrustet.

      Der Fundort der Leiche, ein schäbiger Straßengraben inmitten einer tristen Felderlandschaft. Linthdorf war nach den Ermittlungen in den vielen Schlössern, Parks und kultivierten Gegenden plötzlich in der rauen Wirklichkeit des Landes Brandenburg angekommen.

      Hier gab es nichts als die große, leere Weite und dem trübgrauen Himmel darüber. Er kannte die Landschaften, mochte sie. Sie zwangen ihn, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nichts lenkte das Auge ab, keine Geräusche störten. Es war eine große harmonische Welt, deren Stille ein angenehmer Kontrast zum hektischen Berliner und Potsdamer Leben war. Und plötzlich wurde die Stille der leeren