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Gisela Sachs
Ave Maria
Höre Kindes Flehen
Roman
Impressum
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Print-ISBN: 978-3-96752-111-5
E-Book-ISBN: 978-3-96752-611-0
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Alle Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.
J. Freiherr von Eichendorff
1. Kapitel
Aus der Kirche ertönt eine glockenreine Stimme, die das ‚Ave Maria’ singt. Die Kräuter zupfenden Nonnen im Klostergarten auf der Fraueninsel falten in Demut ihre Hände, zeigen uns, den Abtrünnigen, den Weg zur Kirche, während ihre Blicke weiterhin auf Rosmarin, Thymian, Lavendel und Zitronenmelisse fallen.
Die Eingangstüre der Kirche quietscht laut, modrige feuchtkalte Luft strömt uns entgegen. Die singende Nonne am Marienaltar lächelt, als sie sieht, wie wir andächtig auf den Steinboden sinken, die Hände falten und beten.
Klaus, mit dem ich die Nacht verbracht habe, kniet neben mir, und ich sehe Tränen über sein bewegtes Gesicht laufen. Er wischt sie mit seinem Jackenärmel weg.
Unser Begleitpersonal wartet gelangweilt neben uns. Der Oberseelenklempner lächelt spöttisch und zieht eine Augenbraue nach oben. Das hätte er lieber nicht tun sollen. Ich greife mit beiden Händen nach dem Messingleuchter vom Altar der Mutter Maria und haue ihn dem Psychologen über die Birne. Der Leuchter scheppert laut über den Steinboden. Ein ätzendes Geräusch. Die ‚Ave Maria Nonne’ will Erste Hilfe leisten. Aus ihren zuvor gütigen Augen schreit nackte Angst. Ihre Kolleginnen rufen die Polizei. Die haben tatsächlich ein Handy in der Kutte, wundere ich mich.
Es dauert lange, bis das Polizeiboot auf der Fraueninsel anlegt. Drei Männer halten mich solange im Schraubstockgriff fest. Ich schaue den hüpfenden Spektralfarben an den Kirchenwänden hinterher und schicke meine Gedanken auf Safari, bis man mich unsanft in Ketten legt. Auf dem Weg zum Polizeiboot bietet mir ein Kleinkind seinen Lolli an. Die junge Mutter zieht das Mädchen von mir weg.
Ich werde wieder ins Gefängnis nach Bernau zurückgebracht und kriege dieses Mal – Hurra – eine Einzelzelle. Man kann mich wegen meiner Gewaltbereitschaft und Unberechenbarkeit nicht mit den anderen Häftlingen zusammenlegen meint der Gefängnisleiter Dr. Schulze. Endlich bin ich allein.
Das Essen wird mir dreimal am Tag minutiös pünktlich in die Zelle gebracht, ansonsten geschieht hier kaum etwas.
Manchmal werde ich wütend über den Fraß, den man mir vorsetzt und ich knalle die Pampe an die Wand. Daraufhin bekomme ich regelmäßig Besuch von einem Psychologen und auf Verlangen auch vom Gefängnispfarrer. Für meine Unterhaltung muss ich selbst sorgen, das habe ich schnell kapiert. Manchmal klettere ich auf den Tisch, um aus dem Fenster zu spähen und schaue sehnsüchtig den fliehenden Wolkenfetzen nach. Ich will weg aus Bayern und werde heute noch einen Versetzungsantrag nach Heilbronn stellen! Ich will in der Nähe meiner Mutter sein, auch wenn ich ihr Grab nicht besuchen kann.
Ich weine oft.
Ich bin wieder im ‚Ländle’.
In Handschellen und an die Hand eines Polizisten gekettet, laufe ich zum Eingang der Vollzugsanstalt. Trotz gefesselter Hände fühle ich mich frei. Unendlich frei. Seit langer Zeit habe ich wieder den Himmel über mir.
»Lieber Gott, ich danke dir!«
Ich werde Hafterleichterung wegen guter Führung bekommen und meine Strafe fällt auch gnädiger aus, als ich gedacht habe. Weil ich nicht voll zurechnungsfähig bin!
Diese Neuigkeit erfahre ich erst jetzt. Das ‚nicht voll zurechnungsfähig sein’, löst bei mir einen hysterischen Lachanfall aus. Für die Beamten ist das die Bestätigung meines Zustandes. Meine Gedanken aber sind so klar wie der Himmel über mir.
»Lieber Gott, was wird aus mir?«
Meine Mithäftlinge sind harte Brocken. Ein Kinderschänder und ein Muttermörder sind darunter. Der Boden ist dreckig, das Fenstergitter rostig, die Scheiben sind blind und es stinkt bestialisch in dem kleinen Loch mit den üblen Gestalten.
Manchmal darf ich im Gefängnishof herumlaufen. Der hohe graue Metallzaun ist zusätzlich mit Stacheldraht abgesichert. Nahe daran führt ein Fußweg vorbei. Die vorbeilaufenden Menschen schauen mich beschämt an, wenn sie mich in meiner grünen Anstaltskleidung sehen. Das verstehe ich nicht, ich bin doch der Verbrecher und ich spucke wütend dem nächsten Menschen, der mich blöd anglotzt ins Gesicht.
»Fuck you«, schreie ich außer mir vor Wut und tobe herum wie verrückt. Daraufhin erscheinen vier Wachmänner, die mich wie ein Stück Schlachtvieh abtransportieren.
Mein Rücken schleift