Gisela Sachs

Schwiegermutteralarm


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ist es besser zu schweigen.

      Meine Ehefrau und meine Schwiegermutter setzen ihre Pilsgläser ab, wischen sich den Bierschaum mit den Handrücken von den Mündern und lächeln mich an. Ihre Bewegungen sind so was von identisch, das gibt es gar nicht. Mutter und Tochter haben so ziemlich die gleiche Stimme, in etwa die gleiche Figur, denselben Kleidergeschmack, die gleiche Frisur. Meine Schwiegermutter trägt den gleichen Goldton im blond gefärbten Haar wie meine Dania im echten. Kein Wunder, dass ich neulich versehentlich »Schatz« zu ihr gesagt habe.

       9. Kapitel

      »Nicht jeder hat das Glück, seine persönliche Friseurin im Haus zu haben« lacht meine Oma, während Gisela an meinen Haaren herumschnippelt. Mehr Kürze bringe mehr Fülle, meint sie. Als ich mich dann im Spiegel betrachte, erschrecke ich. »Ich sehe aus wie ein Hamster unter Stromschlag«

      »Boris-Becker-Frisur« lacht Oma.

      »Das trägt man heute so, Ollischatz« sagt Dania.

      »Und mit diesem Stoppelfeldschnitt soll ich bei unserem Betriebsfest erscheinen?«

      »Halt still, Olli! Da muss noch Gel eingearbeitet werden. Die Frisur ist top aktuell, ich habe sie schon bei mehreren prominenten Männern gesehen. In Hollywood ist sie gerade der letzte Schrei«

      »Ich bin doch nicht ihre Frisurenpuppe, verdammt noch mal. Was bildet sie sich überhaupt ein. Aber wenn ich jetzt noch mehr aufbegehre, habe ich noch mehr Stress. So sage ich nur: »Wir sind aber in Stuttgart«

      Es ist eine Selbstverständlichkeit für meine Schwiegermutter, dass sie Dania und mich auf das Betriebsfest begleitet. Für meine Ehefrau und meine Oma übrigens auch.

      Gisela brezelt sich für den Abend auf wie zu einem Staatsbankett. Enges, schwarzes, viel zu kurzes Kleid für ihr Alter, wie ich meine. Mit viel zu tief geschnittenem Ausschnitt und viel zu hohen Schuhen. Sie trägt tomatenroten Lippenstift. Apfelduftparfüm. Goldenen Lidschatten. Hat sich ihre Krallen rot lackiert …

      Demonstrativ setze ich meine Army Cap auf.

      »Aber Olli, deine Frisur. Du machst ja meine ganze Arbeit kaputt. So kannst du doch nicht mit mir beim Betriebsfest erscheinen«

      »Du kannst ja daheim bleiben« brumme ich.

      Sie schnappt nach Luft wie ein Krokodil, reißt ihr Maul auf bis zum Anschlag und japst: »Undank ist der Welt Lohn«

      Auf dem Betriebsfest. Schwiegermutter steuert geradewegs den Tisch in der ersten Reihe an. Sie streckt meinem Chef ihre rechte Hand hin.

      »Und sie sind Herr Kallenberger. Ich habe ja schon so viel von Ihnen gehört«

      Sie lacht aufreizend, schüttelt seine Hand wie ihren Schüttelmixer von Tupper.

      »Natürlich nur Gutes, Herr Kallenberger«

      Der fragende Blick meines Chefs trifft mich. Am liebsten würde ich im Fußboden versinken.

      »Darf ich Ihnen meine Schwiegermutter vorstellen« sage ich leise.

      »Frau Gisela Kammerberger«

      »Aha«

      »Wir sind ja fast namensverwandt, Herr Kallenberger« flötet Gisela. Als hätte sie das eben erst festgestellt. Ich suche den Blick meiner Ehefrau. Dania sieht sich im Saal um.

      Meine Schwiegermutter plappert munter weiter. Der Blick meines Chefs bleibt in ihrem Ausschnitt hängen.

      »Äh« murmelt er, dann nochmals »Äh«

      Er räuspert sich. »Dann nehmen sie doch mal Platz, Frau Kammerberger«

      Gisela lässt sich das nicht zweimal sagen. Sie platziert sich ungeniert auf den Stuhl rechts neben meinem Chef, steckt die Karte, auf der »Reserviert« steht, kurzerhand in ihre neu erstandene goldene Handtasche:

      »Das hat sich ja jetzt erledigt«

      »Setzen sie sich doch, Herr Nägele, Frau Nägele«

      Dania und ich setzen uns. Schweigend. Mein Chef fragt uns, was wir gerne trinken möchten. »Champagner« antwortet Gisela wie aus der Pistole geschossen.

      »Champagner?« fragt Kallenberger erstaunt. »Champagner gibt es bei uns nicht, gnädige Frau«

      Und jetzt ist meine Schwiegermutter erstaunt: »Ach?«

      »Wir trinken Rilling Sekt«

      »Ach? Auch an so besondern Tagen wie heute?«

      »Gerade an so besonderen Tagen wie heute« kontert Kallenberger.

      »Gewöhnlich trinken wir hier Bier«

      Ich schaue meiner Schwiegermutter stumm in die Augen, hoffe, dass sie endlich ruhig ist. Sie kapiert meinen Blick, sagt nur: »Aha«

      Und ist still, bis die Kapelle anfängt zu spielen.

      Sie wippt immer heftiger mit ihren Füßen, hält es kaum mehr aus auf ihrem Platz. Mein Chef hat zur Betriebsfeier die Band »Münchner Freiheit« engagiert.

      Meine Schwiegermutter liebt diese Gruppe über alles, kennt sämtliche Lieder auswendig. Sie singt leise mit. »So lange man Träume noch leben kann«

      »Wollen wir tanzen, Frau Kammerberger?« fragt mein Chef freundlich lächelnd.

      »Gerne« lächelt meine Schwiegermutter zurück. Sie springt auf, nimmt Kallenberger an der Hand, zieht ihn zur Tanzfläche und schlingt ihre Hände um seinen Nacken. Sie drückt sich an ihn. Viel zu eng, wie ich meine.

      »Mein Gott, wie peinlich« sage ich.

      »Was ist daran peinlich, wenn meine Mama mit deinem Chef tanzt?«

      »Daran, dass sie tanzt, ist nichts Peinliches, aber wie sie tanzt. Guck dir das doch mal an. Das ist nicht nur peinlich, das ist megapeinlich! Die Kollegen schauen schon zu uns rüber, Dania, merkst du das denn nicht?«

      Suchende Blicke aus blau-grau-grünen Katzenaugen wandern über die festlich gedeckten Tische: »Na und, dann sollen sie halt gucken«

      Mein Chef und meine Schwiegermutter tanzen fast den ganzen Abend miteinander. Bei »Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein« sieht sie ihm vielsagend in die Augen, legt für einen kurzen Moment ihren Kopf an seine Schultern. Dann sagt sie: »Zeit, nach Hause zu gehen«

      Und lässt ihn mitten auf der Tanzfläche stehen.

      »Mein Gott, wie peinlich ist das denn?«

      »Die Mama wird schon wissen, was sie tut«

      Ein paar Tage nach dem Betriebsfest kann ich kaum glauben, was ich lese. Ich halte meine Gehaltsabrechnung direkt unter das Neonlicht im Flur. »500 Euro mehr« flüstere ich. »Satte 500 Euro mehr« Ich schüttle meinen Kopf: »Das gibt‘s doch nicht«

      Und just in diesem Moment geht die Tür zum Allerheiligsten auf.

      »Stimmt etwas mit ihrer Gehaltsabrechnung nicht, Herr Kammerberger?«

      »Ich habe 500 Euro mehr als sonst auf meiner Gehaltsabrechnung«

      »Die Gehaltserhöhung war wohl schon längst überfällig, mein Lieber« Kallenberger tätschelt wohlwollend meinen Rücken.

      »Mein Name ist Nägele. Oliver Sven Nägele. Ich arbeite seit zehn Jahren in ihrem Betrieb. Ich bin verheiratet. Meine Schwiegermutter heißt Kammerberger«

      »Sie wollen doch eine Familie gründen, Herr Kammerberger«

      »Nägele«

      »Und kein Geld für die Kinderchen zu haben, das schafft Konflikte« Kallenberger zwinkert mir vertraulich zu. Viel zu vertraulich, wie ich meine. »Ab dem dritten Kind gibt‘s noch mal einen Aufschlag« sagt er. Dann steuert er die Toilettentür an, drückt die Klinke nach unten, dreht sich in der halb offenen Tür noch einmal zu mir um: »Und grüßen sie doch bitte ihre reizende Schwiegermama recht herzlich von mir«