Else Ury

Professors Zwillinge in der Waldschule


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      Else Ury

      Professors Zwillinge in der Waldschule

      Eine Reihe Erzählungen

      Saga

       Professors Zwillinge in der Waldschule

      Coverbild/Illustration: Shutterstock

      Copyright © 1925, 2021 SAGA Egmont

      Alle Rechte vorbehalten

      ISBN: 9788726883619

      1. E-Book-Ausgabe

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

      Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

      www.sagaegmont.com

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      1. Kapitel. Geographiestunde

      »Klinglinglingling« machte die Schulglocke. Da war die Frühstückspause zu Ende. Flinke Beine hielten mitten im Laufen auf dem Schulhof inne. Kleine Schreihälse dämpften plötzlich ihre hellen Stimmen. Ganz geschwind noch einmal vom Frühstücksbrot abgebissen, dann verschwanden die Brote in Blechbüchsen und Ledertäschchen.

      »Zu zweien antreten«, rief die Lehrerin, Fräulein Giesicke, die an der Treppe heute die Aufsicht führte. Ja, Fräulein Giesicke hatte gut rufen. Immer wieder erwischte sie ein dreiblätteriges, ja sogar vierblätteriges Freundschaftskleeblatt, das sich nicht einmal auf der Treppe trennen mochte. Besonders die Mädel hingen wie die Kletten zusammen, während es den Jungen gleichgültiger war, neben wem sie gingen.

      »Die nächsten schreibe ich unter Tadel.« Fräulein Giesicke war mit Recht ungehalten.

      »Suse Winter, was habe ich eben gesagt? Kannst du denn nicht hören, Kind?« Die Lehrerin hielt ein kleines, etwa neunjähriges Mädchen, das, zu vieren eingehakt, gerade an ihr vorbeischlüpfen wollte, fest.

      Die Braunaugen der Kleinen sahen erschreckt zu der erzürnten Lehrerin auf. Nein, die Suse, Traumsuschen, wie sie oft genannt wurde, hatte mal wieder nichts gesehen und gehört.

      »Ja, ich muß dich jetzt unter Tadel ins Klassenbuch als ungehorsam schreiben, Suse Winter.«

      In den braunen Augen des kleinen Mädchens begann es zu flimmern. Tränen stiegen heiß empor, und da überfluteten sie auch schon das rosige Kindergesicht.

      »Meine Suse kann ja gar nichts dafür, daß wir zu vieren gehen«, rief da der kleine Junge, der sie untergeärmelt hatte, mit blitzenden blauen Augen. »Wenn wir doch Zwillinge sind! Die gehören immer zusammen. Und jeder hat einen Freund und eine Freundin, den Klaus und die Steffie, das macht vier«, erklärte er eifrig.

      Um die Lippen der Lehrerin zuckte es belustigt. »Ei, Herbert, wenn du dich nicht von deiner Schwester trennen magst, dann müssen eben der Klaus und die Steffie allein zu zweit gehen. Hör' nur jetzt auf zu weinen, Suse. Diesmal werde ich dir den Tadel noch schenken«, begütigte Fräulein Giesicke.

      Dankbar drückte Suse die Hand des neben ihr gehenden Bruders. »Wie gut, daß wir Zwillinge sind, Herbert«, sagte sie, die Tränen trocknend.

      »Du hättest auf keinen Fall den Tadel bekommen, Suse. Dann hätte ich ihn mir geben lassen. Es kann Fräulein Giesicke doch gleich sein, wer den Tadel kriegt, du oder ich. Jungs müssen gegen Mädels immer ritterlich sein, sagt Vater.«

      Damit nahmen sie ihre Plätze nebeneinander auf der Schulbank ein.

      Die nächste Stunde war Geographiestunde. Die große Landkarte von Deutschland hing an der Wand. Die Klasse erhob sich. Dr. Tiedemann, der Geographielehrer, war erschienen. Er griff nach dem großen Zeigestock und fragte wie stets zu Anfang der Stunde: »Na, Kinder, wohin wollen wir heute reisen?«

      »Ins Riesengebirge.« – »Nein, lieber in den Harz.« – »Nach München.« – »An der Ostsee ist's noch viel schöner.« – »Im Schwarzwald, da ist's am allerfeinsten«, überschrie einer den andern.

      »Kinder, macht nicht solchen Krach – mein Trommelfell platzt.« Der Lehrer hielt sich die Ohren zu. »Ruhe – mäuschenstill! So – nun werde ich euch mal einen Vorschlag machen. Erst nehmen wir uns eine Rundreisekarte durch Deutschland und wiederholen dabei zur Klassenarbeit für die Osterzensuren. Denn wir wollen doch alle gute Zeugnisse bekommen. Und dann – ja, dann habe ich als Belohnung eine Überraschung für euch.«

      »Au fein.« – »Was ist es denn?« – »Herr Tiedemann ist der allernetteste!« so schwirrte das wieder von Jungen- und Mädchenstimmen durcheinander.

      Aber als der Lehrer jetzt mit dem Zeigestock gegen die Tafel klopfte, waren sie wirklich mäuschenstill. Denn alle hatten sie den netten Lehrer, der ihnen manche Freiheit ließ, dafür aber auch volle Aufmerksamkeit forderte, gern.

      Und nun ging's los. Schneller als der Blitzzug fuhr der Zeigestock durch Deutschland. Jetzt war er an der Ostsee, segelte von Stettin die Oder hinab nach Breslau – hopp, ins Riesengebirge hinauf zur Elbquelle – weiter gesaust an den Rhein. Nun machte er in Köln Station.

      »Welches herrliche Bauwerk wollen wir hier in Köln besuchen? Das kann uns mal die Suse Winter sagen.«

      Traumsuschen fuhr empor. Es war mit seinen Gedanken im Riesengebirge, im Elbgrund, den es im letzten Sommer mit den Eltern und dem Bruder durchwandert hatte, kleben geblieben. Nun hatte es den Anschluß bei der eiligen Reise verloren. Hilflos blickte es zu dem nebensitzenden Bruder. Von dort pflegte immer Rettung zu kommen.

      Suse irrte sich nicht. Herbert ließ sein Zwillingsschwesterchen nicht im Stich.

      »Den Dom – Dom«, raunte er ihr zu.

      »Rom«, sagte Suse erleichtert.

      Unbändiges Gelächter folgte. Die Klasse wieherte vor Vergnügen, besonders die Jungen wollten nicht aufhören. Suse war ein wenig empfindlich. Die Tränen hingen schon wieder locker.

      Da klopfte zum Glück Dr. Tiedemann mit dem Stock auf den Klassentisch. »Ich kann das gar nicht lustig finden,« sagte er, nachdem wieder Ruhe eingetreten war, »wenn einer vorsagt und der andere falsch versteht. Ich finde es traurig, daß ihr euren Lehrer täuschen wollt.«

      Herbert machte ein bestürztes Gesicht. Er hatte doch den netten Herrn Tiedemann nicht täuschen wollen – nein, ganz gewiß nicht! »Die Suse ist doch mein Zwilling«, stieß er zu seiner Entschuldigung hervor.

      »Ich wollte nur hören, was der eine Zwilling weiß, nicht, was sie alle beide zusammen wissen«, sagte Herr Tiedemann, mit dem Finger drohend. »Sonst muß ich euch beide auseinander setzen.«

      »Das geht nicht«, sagten die Zwillinge wie aus einem Munde. Nein, das erschien ihnen ganz unmöglich. Hatten sie doch vom ersten Schultage an als kleine Abcschützen immer getreulich nebeneinander gesessen.

      Der Zeigestock sauste weiter durch Deutschland; Suses Gedanken jetzt eifrig hinterdrein. Sie war ein fleißiges kleines Mädchen und bemühte sich, ihre Unaufmerksamkeit wieder gutzumachen.

      Da gab es noch manche Entgleisung auf der Reise. Steffie verlegte Hamburg an den Rhein, und der Peter gar die Schneekoppe in den Harz. Lenchen meinte, die Wartburg sei berühmt durch Luthers Tintenfleck. Und von Wittenberg wußte der Hans nur, daß es dort besonders guten Apfelkuchen gab. Aber im ganzen konnte Herr Tiedemann mit der Klasse zufrieden sein. Sie hatten etwas gelernt.

      »Nun die Belohnung – jetzt kommt die Belohnung!« riefen die Kinder, als der Zeigestock reisemüde haltmachte.

      »Richtig.« – Der Lehrer rollte eine Karte, die auf dem Klassentisch lag, auseinander und hängte sie an den Landkartenständer. Darauf sah man lauter Kreise, Linien und Punkte. Viele Hunderte, große und kleine.

      Die Jungen und Mädchen machten enttäuschte Gesichter. Das war doch keine