Sri Aurobindo

Die Stunde Gottes


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hört Wissen auf, Wissen zu sein, und wird zu einer unbeschreiblichen Wesenseinheit. Werde Parabrahman, wenn du willst und wenn Es dich lässt, aber bemühe dich nicht, Es zu erkennen, denn mit diesen Werkzeugen und in diesem Körper wirst du keinen Erfolg haben.

      In Wirklichkeit bist du schon Parabrahman und warst es immer und wirst es immer sein. Um Parabrahman in irgendeinem anderen Sinne zu werden, musst du die manifestierte Welt und sogar die Welt-Transzendenz ganz und gar verlassen.

      Warum aber sollte es dich danach gelüsten, aus der Manifestation auszuscheiden, als ob die Welt ein Übel wäre? Hat nicht Das sich in dir und in der Welt manifestiert, und bist du weiser und reiner und besser als das Absolute, oh denkgenarrte Seele im Sterblichen? Wenn Das dich zurückholt, dann ist dein Fortgehen von hier unvermeidlich; solange aber Seine Kraft in dir ist, ist es unmöglich, mag auch dein Mental noch so inbrünstig und jammernd danach verlangen. Deshalb sollst du die Welt weder begehren noch meiden, sondern allein die Seligkeit, Reinheit, Freiheit und Größe Gottes in jedwedem Zustand und in jedweder Erfahrung und Umgebung suchen.

      Solange du irgendeinen Wunsch hegst, sei es auch der Wunsch, nicht mehr geboren zu werden, oder der Wunsch nach Befreiung, solange kannst du Parabrahman nicht erlangen. Denn Das hat keine Wünsche, weder nach Geburt noch danach, nicht geboren zu werden, weder nach der Welt noch nach dem Ausscheiden aus der Welt. Das Absolute bleibt unbegrenzt durch deine Wünsche, genauso wie Es unzugänglich bleibt für dein Erkennen.

      Wolltest du Paratpara Brahman kennen, so kenne Es, wie Es Sich in der Welt manifestiert und wie es die Welt transzendiert – denn auch Transzendenz ist eine Beziehung zur Welt und nicht das reine Absolute. Auf andere Weise ist Es nicht erkennbar. Dies ist das gleichzeitige Wissen und Nichtwissen, von dem im Vedanta die Rede ist.

      Von Parabrahman sollten wir nicht sagen, „Es“ sei welttranszendent oder weltimmanent oder stehe zur Welt in Beziehung oder habe keine Beziehung zu ihr. Alle diese Vorstellungen von Welt und Nicht-Welt, von Transzendenz und Immanenz und Beziehungen sind Ausdrucksweisen des Denkens, durch die das Mental seine eigenen Werte der Selbst-Offenbarung des Parabrahman gegenüber Seinem eigenen Erkenntnisprinzip beilegt. Und von keinem dieser Werte, nicht einmal dem höchsten unter ihnen, können wir behaupten, er sei die wahre Wirklichkeit dessen, was zugleich alles und jenseits von allem, nichts und jenseits des Nichts ist. Ein tiefes und gedankenfreies Schweigen ist die einzige Haltung, die die in der Welt manifestierte Seele dem Absoluten gegenüber einnehmen sollte.

      Wir wissen von Parabrahman, dass Es ist, und zwar in einer Weise, in der kein Gegenstand und kein Zustand in der Welt ist. Wann und in welche Richtung auch immer wir nämlich an die äußersten Grenzen der Seelenerfahrung oder der Gedankenerfahrung oder der Körpererfahrung oder jeder anders gearteten wesentlichen Erfahrung gelangen, wir kommen an Seine Pforten und werden gewahr, dass Es auf unerkennbare Weise ist, ohne die Möglichkeit zuzulassen, darüber irgendeine weitere Wahrheit in Erfahrung zu bringen.

      Wenn deine Seele sich tiefer und tiefer nach innen zurückgezogen hat, wenn sie sich bis in das Unermessliche nach außen ausgeweitet hat und schließlich in der Stille ihres Wesens vor einem Unbekannten und Unerkennbaren steht, von dem aus gesehen und neben welchem die Welt wie etwas existiert, das weder materiell noch mental wirklich ist und doch nicht als ein Traum oder eine Lüge beschrieben werden kann, dann wisse, dass du im Allerheiligsten stehst, vor dem Schleier, der sich nicht zerreißen lässt. Weder in diesem sterblichen Körper noch in irgendeinem anderen Körper kannst du ihn zerreißen, weder im Zustand des verkörperten Selbst noch im Zustand des reinen Selbst, weder im Wachen noch im Schlafen noch in der Trance noch in irgendeinem Zustand oder unter Umständen ganz gleich welcher Art; denn du musst jenseits aller Zustände sein, ehe du in das Paratpara Brahman eintreten kannst.

      Dies ist der unbekannte Gott, dem kein Altar errichtet und keine Verehrung dargebracht werden kann. Das Universum ist Sein einziger Altar, das Dasein Seine einzige Verehrung. Dass wir sind, fühlen, denken, handeln oder sind, ohne zu fühlen, zu denken und zu handeln, ist Ihm genug. Ihm ist der Heilige dem Sünder gleich, die Tätigkeit der Untätigkeit, der Mensch der Molluske, da alle gleichermaßen Seine Manifestationen sind. Diese Dinge treffen zumindest auf Parabrahman oder Para Purusha zu, d.h. auf das Höchste, was wir kennen, und das dem Absoluten Nächste. Was aber Das hinter dem Schleier ist, und wie Es sich selbst und seine Manifestationen hinter dem Schleier sieht, darüber kann sich kein mentaler Geist anmaßen, etwas auszusagen oder zu wissen. Ebenso unwissend und anmaßend ist derjenige, der Ihm einen Altar erbaut oder weiht, oder der vorgibt, das Unbekannte denen zu vermitteln, die wissen, dass sie Es nicht kennen können. Verwirre nicht die Gedanken, führe nicht die Seele des Menschen auf ihrem Vormarsch in die Irre, sondern wende dich dem Weltall zu und erkenne Jenes in diesem, tad va etat. Denn nur so und unter diesen Bedingungen hat Es sich denen, die im Weltall sind, zu erkennen gegeben. Lasse dich nicht von Unwissenheit täuschen, lasse dich nicht vom Wissen täuschen. Niemand ist gebunden, niemand ist frei, niemand strebt nach Freiheit: einzig Gott spielt mit diesen Dingen in der ausgedehnten Macht Seines selbstbewussten Seins, para maya, mahimanam asya, welches wir das Weltall nennen.

      * * *

      Kapitel 3

      Das Ziel unseres Yoga

      Das Ziel unseres Yoga ist Selbst-Vollendung, nicht Selbst-Auslöschung.

      Zwei Pfade bieten sich den Schritten des Yogin, Rückzug aus dem Universum und Vollendung im Universum. Das erste Ziel wird durch Askese erreicht, das zweite durch Tapasya. Das erste nimmt uns auf, wenn wir Gott im Sein verlieren; das zweite wird erlangt, wenn wir unser Sein in Gott erfüllen. Lasst unseren Pfad den der Vollendung und nicht den der Preisgabe sein. Lasst den Sieg in der Schlacht und nicht die Flucht vor allen Konflikten unser Ziel sein.

      Buddha und Shankara nahmen an, die Welt sei von Grund auf falsch und elendig. Deshalb war für sie die Flucht aus der Welt die einzige Weisheit. Aber diese Welt ist Brahman, die Welt ist Gott, die Welt ist Satyam, die Welt ist Ananda. Falsch ist bloß die Fehldeutung der Welt durch unseren mentalen Egoismus; das einzige Elend ist unsere verkehrte Beziehung zu Gott in der Welt. Es gibt sonst nichts Falsches und nichts, dass Anlass gäbe zu klagen.

      Gott erschuf die Welt in Sich durch Maya; die ursprüngliche, vedische Bedeutung von Maya ist jedoch nicht Illusion, sondern Weisheit, Erkenntnis, Vermögen, weite Ausdehnung des Bewusstseins. Prajna prasrta purani. Eine Allmächtige Weisheit erschuf die Welt; sie ist nicht der organisierte Missgriff eines Unendlichen Träumers. Eine allwissende Macht manifestiert sie oder hält sie in Sich oder Ihrer eigenen Wonne verborgen; sie ist keine dem freien und absoluten Brahman durch Seine eigene Unwissenheit auferlegte Fessel.

      Wäre die Welt ein selbstauferlegter Alptraum Brahmans, so wäre es das natürliche und einzige Ziel unseres höchsten Strebens, daraus zu erwachen. Wäre das Leben in der Welt unwiderruflich mit Elend verbunden, dann wäre das einzige entdeckenswerte Geheimnis ein Mittel zur Flucht aus dieser Knechtschaft. Vollkommene Wahrheit im Weltdasein ist jedoch möglich, denn Gott sieht hier alle Dinge mit den Augen der Wahrheit. Vollendete Seligkeit in der Welt ist möglich, denn Gott freut sich aller Dinge im Bewusstsein unbeeinträchtigter Freiheit. Auch wir können uns dieser Wahrheit und Seligkeit erfreuen, die im Veda amrtam, Unsterblichkeit, genannt wird, wenn wir unser egoistisches Dasein abwerfen und aufgehen in vollkommener Einheit mit Seinem Wesen und somit einwilligen, die göttliche Wahrnehmung und die göttliche Freiheit zu empfangen.

      Die Welt ist eine Bewegung Gottes in Seinem eigenen Sein. Wir sind die Zentren und Knotenpunkte des göttlichen Bewusstseins, die den Ablauf Seiner Bewegung zusammenfassen und tragen. Die Welt ist Sein Spiel mit Seiner eigenen selbstbewussten Freude – das Spiel dessen, der allein ist, der unendlich ist, frei und vollkommen. Wir sind die Selbstvervielfältigungen dieser bewussten Freude, die ins Sein ausgesandt wurden, um Seine Spielgefährten zu sein. Die Welt ist eine Formel, ein Rhythmus, ein System von Symbolen, durch das Gott Sich selbst Seinem eigenen Bewusstsein gegenüber zum Ausdruck bringt. Sie